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Science Fiction
Gute Filme haben ein extrem philosophisches Element

Science-Fiction-Filme spiegeln immer auch die Gedanken und Hoffnungen einer Gesellschaft. Im Westen etwa gibt es in Filmen dieses Genres derzeit kaum noch positive Utopien. In China dagegen erlebt Science Fiction einen riesigen Boom, der aber nicht nur etwas mit den Erwartungen an die Zukunft des Landes zu tun hat.

Von Andreas Beckmann | 28.01.2016
    Als das Raumschiff Orion vor 50 Jahren zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen zu seinen intergalaktischen Patrouillen aufbrach, da verbreitete Science Fiction noch Optimismus. Aber das war auch nicht schwer, denn auf Erden erreichte gerade das Wirtschaftswunder seinen Höhepunkt und ließ die Gesellschaft beinahe euphorisch in die Zukunft blicken.
    "Science Fiction gibt uns Zukunftsentwürfe, aber (...) was uns eigentlich interessiert an Science Fiction, ist das Problem, was wir mit der Gegenwart haben. Was sich heute andeutet, wird weiterentwickelt und experimentell weiter gedacht."
    Die Raumfahrt galt lange als Inbegriffs des Fortschritts, erinnert sich der Philosoph Rüdiger Zill vom Einstein Forum Potsdam. Er war gerade acht, als die Orion an den Start ging. Mit großen Augen verfolgte er in den nächsten Jahren, wie sich die Supermächte einen Wettlauf zum Mond lieferten. Und wie verwegene Forscher schon davon träumten, nicht nur den gesamten Kosmos zu erobern, sondern gleich auch noch das Weltall umzubauen und Himmelskörper in neue Umlaufbahnen zu setzen. Solche Visionen fanden ihren Niederschlag in der Serie "Orion".
    (Aus: "Raumpatrouille Orion) "Diese merkwürdigen Signale, Commander. ... Das sind keine irdischen Signale. ... – Frogs? - Kann sein. - Die müssen un-wahrscheinliche Feldverstärker haben. - Warum nicht? Wenn sie in der Lage sind, einen Planeten aus der Bahn zu werfen. – Dann können wir uns ja auf einiges gefasst machen."
    Diese Frogs, mit denen es die "Orion" immer wieder zu tun bekam, symbolisierten nicht nur die Technikgläubigkeit der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, sondern auch deren Ängste.
    "Auch im Film wurde natürlich der Kalte Krieg ausgetragen. ... Man kann sagen, ... früher waren es einfach Aliens, die von außen kamen und die Erde erobert haben oder die Erde bedroht haben, aber es war dann auch schon die Atombombe."
    Dystopien, also negative Utopien, gehören seit jeher zum Genre. Nicht nur aus erzählerischen Gründen, weil drohende Katastrophen genau jene Herausforderungen bilden, die den Protagonisten der Filme erst die Gelegenheit bieten, zu Helden zu werden.
    "Science Fiction ist ein hervorragendes Instrument für gesellschaftliche oder politische Kritik, weil sie wissenschaftlichen Anspruch und gute Unterhaltung verknüpft. Um Alarm zu schlagen, können Autoren düstere Szenarien entwerfen, indem sie Entwicklungen, die sie für gefährlich halten, grell überzeichnen."
    In manchen Werken, so die Medienwissenschaftlerin Christine Cornea von der University of East Anglia, habe Science Fiction sogar die Zukunftsversprechen des eigenen Genres kritisch hinterfragt. Zum Beispiel in der ZDF-Serie "Das blaue Palais" in den 70er-Jahren. Dort eröffnen Ärzte einer High-Tech-Krankenstation ihren Patienten eines Tages, dass sie eine Therapie entwickelt hätten, die ewiges Leben ermögliche.
    (Aus: "Das blaue Palais") Darüber sind Sie sicher sehr glücklich! – Glücklich? Nein, eher enttäuscht. Gelangweilt. Ja, mich drängt nichts mehr. Was ich heute nicht begreife, begreife ich vielleicht übermorgen. Oder in 50 Jahren. So ist es doch, wenn man es richtig überlegt."
    "Es ist ein Phänomen, dass man Symbole, die man vorher positiv gedeutet hat, jetzt anfängt, negativ zu deuten. Der Blick, den die Apollo-8-Astronauten auf die Erde hatten, die haben sie fotografiert. Das war lange Zeit noch in den 60er-Jahren ein Symbol der positiven Zukunft, das Weltraumzeitalter ist angebrochen, und ist sehr schnell in den 70er-Jahren umgeschlagen in ein Symbol für die Verletzlichkeit der Erde."
    "Fast zeitgleich erschienen Filme mit einem post-apokalyptischen Szenario. Sie zeigten die Erde als einen Planeten, der unbewohnbar geworden war, nach Kriegen oder Umweltkatastrophen oder wegen der Überbevölkerung. Science Fiction wurde zu einem Medium des Protests gegen den Raubbau an der Natur."
    Diese eher pessimistische Variante, betont Rüdiger Zill, habe sich allerdings nur in den Produktionen der westlichen Länder durchgesetzt.
    "Mein Eindruck ist, dass in den DDR-Filmen, aber auch in den sowjetischen, die positive Haltung gegenüber dem Fortschritt stärker war. Dass man sagte, wir haben eine neue Gesellschaft, wir entwickeln die, auch mithilfe unserer Technologien, und wir werden es schaffen, der Sozialismus wird sie-gen."
    Als das niemand mehr glauben wollte, stellte die DEFA ihre Science-Fiction-Produktionen in den 80er-Jahren stillschweigend ein. Gleichzeitig erlebten im Westen Dystopien angesichts der Stationierung neuer amerikanischer Atomraketen noch einmal einen Boom.
    Im vergangenen Jahr hat nun der Disney-Konzern versucht, die vermeintlich guten Zeiten der Zukunftsgläubigkeit wiederzubeleben. Der Film "Tomorrowland" greife die alte Idee wieder auf, technologischer Fortschritt könne der Menschheit eine goldene Zukunft bescheren, erklärt der Züricher Kulturwissenschaftler Simon Spiegel.
    "Interessant ist, dass hier Politik explizit als Störfaktor bezeichnet wird. Es gibt eine Kaste Auserwählter, die können tun und lassen, was sie wollen, aber irgendeine Form von sozialer oder politischer Kontrolle findet nicht statt."
    Eine solche Zeit, als mutige Unternehmer und visionäre Ingenieure sich frei entfalten konnten, habe es in den USA einmal gegeben, behauptet der Film. Und zwar in den Jahren des Apollo-Programms.
    "Weil wir nicht mehr so aktiv sind im Weltraum, deshalb haben wir keine Hoffnung mehr auf die Zukunft. Hier gibt es einen offensichtlichen Widerspruch. Erst heißt es, wir brauchen eine Welt ohne Politik und dann wird das Apollo-Programm so gelobt. Wenn es eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts gibt, die klar politisch motiviert war, dann das Apollo-Programm."
    Simon Spiegel zweifelt deshalb, ob man einen derartig schwach fundierten Film überhaupt als wissenschaftliche Fiktion bezeichnen sollte.
    "Das ist keine Zukunft, die wir hier sehen. Das ist etwas Vergangenes. Man kann eigentlich sagen, 'Tomorrowland' ist ein Film über eine längst vergangene Zukunft. Wo ist das, was uns in den 50er- und 60er-Jahren versprochen wurde, was ist daraus geworden?"
    Für eine solche Art nostalgischer Science Fiction gibt es jedoch offenbar keinen Markt. "Tomorrowland" war an der Kinokasse ein Flop. Einen rasanten Aufschwung erlebt Science Fiction dagegen derzeit in China, berichtet Mingwei Song, Literaturwissenschaftler am Wellesley College in Massachusetts.
    "Es gab schon mal ein goldenes Zeitalter der Science Fiction in China. Das war während der letzten Jahre des Kaiserreichs, also am Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals hofften Millionen Chinesen auf eine rasche Modernisierung, die Demokratie und Wohlstand bringen sollte. Das Land wurde von einer Welle des Optimismus erfasst."
    Als sich die Hoffnungen auf schnellen Fortschritt aber weder in der Republik China nach dem Ersten Weltkrieg noch später in Maos Volksrepublik erfüllten, starb das Genre fast völlig aus. Trockener Realismus habe jahrzehntelang sowohl Chinas Literatur als auch sein Kino dominiert, erklärt Mingwei Song.
    "In den ersten Jahren der Reformen nach Maos Tod kam wieder Science Fiction auf, aber sie wurde sofort verboten. Die Autoren hatten sensible Themen wie die Verbrechen der Kulturrevolution angesprochen. Davon wollte die Partei nichts hören. Inzwischen unterdrückt die Zensur aber nicht mehr aus Prinzip das gesamte Genre und deshalb sehe ich Chancen für ein neues goldenes Zeitalter."
    Die Chinesen gierten geradezu nach Science Fiction, erzählt Mingwei Song, weil die Realität des Landes fantastischer sei als jede Zukunftsvision. Da sei zum einen der märchenhafte Aufstieg des Landes. Aber zum anderen gebe es eine Bürokratie, die die Menschen überwache und drangsaliere, aber unfähig sei, das Land angemessen zu verwalten. Und eine Wirtschaft, die Umweltkatastrophen von gigantischen Ausmaßen provoziere.
    "Die Medien dürfen diese Realität nur oberflächlich beschreiben und müssen Kritik weitgehend vermeiden. Einige bekannte Journalisten sind deshalb dazu übergegangen, ihre Recherchen nicht mehr als Berichte zu veröffentlichen, sondern sie in Science-Fiction-Form zu publizieren. Indem sie ihre Geschichten in eine fiktive Zukunft verlegen, können sie nicht nur die Zustände offen ansprechen, sondern ihr Publikum auch anregen, von Alternativen für ein besseres China zu träumen."
    Moderne Science Fiction beinhalte sowohl utopische wie dystopische Elemente, meint der Potsdamer Philosoph Rüdiger Zill. Und sie tue kaum noch so, als wisse sie wirklich, was die Zukunft bringen wird.
    "Es geht viel mehr darum zu sagen, wir gucken auf das, was jetzt möglich ist und denken das weiter und wir spielen das durch und wir stellen uns in diesem Genre selbst Fragen. ... Die guten Science Fiction-Filme haben ein extrem philosophisches Element."