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Sechs schöne Töchter

Erechteion, so wird der Nebentempel des Parthenonheiligtums auf dem Akropolishügel genannt. Und weltberühmt ist er vor allem wegen seiner sechs weiblichen Marmorfiguren, den Karyatiden oder auch Koren, wie man im Fachjargon sagt. Im Griechischen bedeutet das Worte Kore "Tochter".

Von Marianthi Milona | 13.01.2013
    Eine dieser Töchter ist im Jahre 1811 von Lord Elgin nach England verschifft worden. Die fünf übrigen Karyatiden stehen heute im Akropolismuseum.

    Und weil die Forschung auf der Welt sich niemals Grenzen aufsetzen lässt, haben Antikenforscher viel Neues über die Karyatiden herausgefunden.

    Marianthi Milona nach Athen gereist und hat dort eine der bekanntesten Karyatidenforscherinnen getroffen. Dr. Katherine Schwab hat mit den Karyatiden auf der Uni ihrer Heimatstadt Fairfield für großes Aussehen gesorgt.

    Hell ist es im neuen Akropolismuseum in Athen. Auch an diesem Tag im Spätherbst. Von überall kann das strahlend griechische Licht die Ausstellungsräume überfluten. Ganz so wie es von den Architekten vorgesehen war. Wer das neue Akropolismuseum schon einmal besucht hat, der weiß ganz genau wovon hier die Rede ist. Transparenz zwischen Innen und Außen, das ist ein wichtiges Gestaltungskriterium bei der Planung dieses einzigartigen Museums gewesen.

    Wie ein solches Museums darüber hinaus noch mehr Lebendigkeit versprühen kann, darüber haben sich inzwischen auch die Antikenforscher Gedanken gemacht. Eine unter ihnen ist Dr. Katherine Schwab, Kunsthistorikerin an der Fairfield Universität in Connecticut. Ihr überaus erzählenswertes Projekt will sie demnächst auch in Athen durchführen.

    "Ich träume davon 6 Models zu haben. Alles junge Griechinnen. Mit sehr langen Haaren. Wir flechten Ihnen lange umfangreiche Zöpfe, wie wir das bereits auf dem Campus unserer Uni in Fairfield ausprobiert haben. Diese erwecken die berühmtesten Mädchenfiguren der Antike, die Karyatiden, zu neuem Leben. Dieses Experiment tauften wir auf den schönen Namen "Caryatid-Hairstyling Project". Es wurde in der Uni ein großer Erfolg."

    Seitdem hat Dr. Katherine Schwab auch immer ein wenig Herzklopfen, wenn sie vor den echten Karyatiden steht, den weiblichen Original-Marmorfiguren, die die südliche Vorhalle des Erechteions auf dem Akropolishügel einst schmückten. Kaum jemand weiß über die Karyatiden so viel, wie Katherine Schwab. Deshalb konnte auch nur sie diese weiblichen Säulenstatuen zu neuem Leben erwecken.

    "Stellen Sie sich vor, welche Wirkung das auf die Gäste haben könnte: Sechs hübsche Mädels mit langen Gewändern schreiten in den Räumen des Akropolis-Museums in Athen hin und her."

    Jedes Jahr reist die Expertin in Sachen altgriechischer Kunst und Architektur nach Athen. Studiert und erforscht dort "die Vorhalle der Jungfrauen", wie die Karyatidensäulen auch genannt werden. In den Fachbüchern werden sie als Kore A - F bezeichnet. Die Karyatiden tragen Körbe auf den Kopf und einen langen weiten Umhang. Professorin Schwab hat mit einem ganz neuen Forschungsansatz bei den Karyatiden begonnen:

    "Als ich mir Nahaufnahmen der Karyatiden anschaute, fielen mir auf einmal ihre aufwendigen Zöpfe auf der Rückseite auf. Ich schaute sie an und fragte mich: Was ist denn das? Ist so was realistisch? Lässt sich so etwas überhaupt rekonstruieren? Ich musste das herausfinden, um zu verstehen, ob die Mädels in der Antike tatsächlich so frisiert werden konnten."

    So fing sie auf dem heimatlichen Campus an mit den Karyatiden zu experimentieren. Katherine Schwab engagierte eine Hairstylistin. Suchte sich 6 junge Studentinnen mit kräftigen langen Haaren aus und fragte, ob sie bereit zu einem "Caryatid-Hairstyling-Projekt" wären. Als diese nicht eine Sekunde zögerten mitzumachen, bat sie die Uni-Leitung um ein kleines Budget. Vor allem um die Stylistin zu bezahlen. Und schon konnte sie mit dem Projekt beginnen. Bis zu 8 Stunden mussten die Studentinnen, für die aufwendigen Locken und Flechten still halten. Die eine hatte ganz glattes, die andere ganz lockiges Haar. Eine hatte ganz trockenes, eine andere ganz fettiges Haar. Sandra Cimino offerierte ihre lockigen Haare für die Kore A - Karyatide und stellte zum ersten Mal interessante Zusammenhänge in der antiken Kunst fest:

    "Ich erkannte, dass das Aussehen einer Skulptur für die Kunst ungemein wichtig war. Dabei spielte die Frisur eine primäre Rolle. Das ist etwas, wo man sofort hinschaut. Und du fragst Dich auf einmal, warum trug die Statue diese Frisur? Wir haben heutzutage alle möglichen Werkzeuge, um unsere Haare zu stylen. Denn wir können heute gar nicht ohne die passende Frisur leben. Aber wie haben die Mädchen in der Antike sich die Locken gemacht?"

    Für Friseurin Milexy Torres war die Rekonstruktion der Karyatiden Frisuren eine echte Herausforderung. Doch sie hat es geschafft. Und weil die Mädchen mit den antiken Frisuren auf einmal so aristokratisch wirkten, nannte sie sie kurzerhand nicht mehr Koren, sondern Diven.



    Beim Nachahmen der antiken Flechtenfrisuren dachte sie über die Arbeitsweisen ihrer antiken Vorahnen nach.

    "Die Haare mussten damals, so wie heute, unterschiedlich beschaffen gewesen sein. Es muss Eingriffe gegeben haben mit Heizstäben, vermutlich Holz- oder Metallstäbe, um die das feuchte Haar gewickelt wurde und um beim Trocknen eine bestimmte Form zu erhalten. Ich merkte auch, dass schon in der Antike die meisten Flechtarten bekannt gewesen sind. Ich frage mich aber schon, was sie wohl für Produkte benutzten? Ich bin mir fast sicher, dass sie Bienenwachs für die Haare verwendeten."

    Als Professorin Katherine Schwab die "modernen" Karyatiden im Garten der Fairfield Universität in exakt der gleichen Stellung, wie die Originale aus Marmor, aufstellen ließ, wurde ihr die Besonderheit die Figuren der jungen Frauen noch mehr bewusst.

    "Die Frisuren demonstrierten den sozialen Status der Mädchen in der Athener Gesellschaft. Sie müssen alle nicht älter als 15 gewesen sein. Sie waren mit Sicherheit alle Jungfrauen. Und sie durften offenbar eine religiöse Prozession leiten. Wir wissen aber nicht welche. Auf jeden Fall waren sie sehr privilegiert. Die aufwendigen Flechtfrisuren gehen in den nach hinten auslaufenden Mantel über, der in der griechischen Kunst immer dann dargestellt wurde, wenn es sich um Führungspersonen handelte."

    Kunsthistorikerin Schwab glaubt, dass ihr Karyatiden-Projekt das Zukunftsprojekt im Akropolismuseum werden könnte. Sie steht zwar noch ganz am Anfang ihrer Forschungsarbeit an den Frisuren der Karyatiden. Aber sie weiß zum Beispiel jetzt schon, dass die Frisuren der Karyatiden bei heißen Tagen sich sehr gut dafür eignen, den Kopf kühl zu behalten. - Und sie sieht darin bereits einen Frisurentrend der kommenden Jahre voraus. Und vielleicht können schon bald alle weiblichen Gäste im Akropolismuseum sich eine exklusive Karyatidenflechte ganz im Stil der antiken Originale machen.
    Eine junge Studentin nimmt am Caryatid-Hairstyling-Projekt teil
    Eine junge Studentin nimmt am Caryatid-Hairstyling-Projekt teil (Deutschlandradio / Marianthi Milona)