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See frisst Land

Umwelt. - Über Land ziehende Wirbelstürme verursachen Schäden in Millionenhöhe und hinterlassen eine Spur der Zerstörung. Manche Folgeschäden sind irreversibel. Starke Stürme, die auf die Küsten prallen, tragen allmählich die Sandstrände ab. Forscher in der EU haben jetzt ein spezielles Computermodell entwickelt, mit dem sich simulieren lässt, wie weit die Erosion der Urlaubsstrände bereits fortgeschritten ist.

von Volker Mrasek | 25.10.2005
    Wenn Hurrikans wie "Katrina" oder "Wilma" auf Land treffen und gewaltige Flutwellen entfesseln, dann hinterlässt das tiefe Spuren an der Küste. Dann sind Feuchtgebiete zerpflückt und Strände erodiert, ihr Sand von der Flut abgetragen.

    "Die Erosion durch Sturmfluten ist meist beträchtlich. Da ergreift man dann immer gleich Wiederherstellungsmaßnahmen."

    Es gibt aber auch so etwas wie einen schleichenden Verlust von Sandstränden. Der ist vielen vielleicht nicht so bewusst. Doch er bekümmert Gerben Boot vom holländischen Ingenieurbüro Delft Hydraulics mindestens genau so:

    "Wenn man die Küste nicht durch Deiche oder Ähnliches schützt, dann trägt das Meer den Sand ab. Die See frisst das Land, könnte man fast sagen. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Das ist ein langsamer Prozeß. Aber wenn man ihn nicht aufhält, dann gibt es am Ende keinen Strand mehr."

    Dieser schleichende Prozess wird sich weiter zuspitzen. Damit rechnen Experten wie Umweltingenieur Boot jedenfalls. Auslöser ist der Klimawandel. In einem wärmeren Treibhaus nimmt auch die Oberflächentemperatur der Ozeane zu. Ihr Wasser dehnt sich thermisch aus, der Meeresspiegel steigt. Plus zehn bis plus 90 Zentimeter könnten es im Laufe des Jahrhunderts werden, je nachdem, wie viel Kohlendioxid der Mensch noch in die Luft abgibt. Das besagen aktuelle Schätzungen. Schon jetzt erhöht sich der Meeresspiegel langsam, aber stetig. Das Meer rückt stärker vor, die Erosion nimmt zu: Knapp drei Viertel aller Sandstrände weltweit zeigen heute schon Erosionserscheinungen.

    Mit dem Blick auf Klima und Küste haben Boot und andere Forscher in der EU nun ein spezielles Computermodell entwickelt. Mit ihm lässt sich simulieren, wie es mit der Erosion der Urlaubsstrände weitergeht. Wie viel mehr Sand durch den Anstieg des Meeresspiegels in Zukunft fortgespült werden dürfte. In dem Modell stecken die Küstenlinien aller Kontinente bis auf die Antarktis. Um das Programm laufen zu lassen, braucht es keinen Supercomputer. Dafür genügt ein gewöhnlicher Heimrechner. So kann das Modell jeder verwenden. Die Wissenschaftler wollen es auch Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung stellen. Sie sollen es dann für regionale Studien nutzen. Noch hat es solche detaillierten Simulationen nicht gegeben. Aber doch erste Testläufe. Unter der Leitung des Geographen Richard Klein. Auch er ist Holländer, arbeitet aber am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung:

    "Die Strände in Norddeutschland, in den Niederlanden, am Mittelmeer - manche davon zeigen jetzt schon Erosion. Und das wird voraussichtlich schlimmer werden. Also, unser Modell zeigt klar, dass ein Meeresspiegelanstieg zu einer weiteren Erosion dieser Strände leitet."

    In Spanien oder in den Niederlanden ist es bereits üblich, Strände wieder aufzufüllen. Vorzugsweise mit ausgebaggertem Material von Sandbänken in Landnähe. Doch es gibt auch Küsten, da tragen starke Strömungen den Sand weit hinaus ins Meer. Und Sandbänke, die man abbaggern könnte, fehlen …

    "... zum Beispiel in Zypern. Es gibt in der Nähe von Zypern eigentlich keinen Sand. Das heißt also, Sand muss von ziemlich weit kommen. Dann kann es sein, dass es sich irgendwann nicht mehr lohnt, diese Strände zu regenerieren für Tourismus."

    Gerben Boot nennt ein anderes Beispiel: Australien.

    "Dort fällt der Küstenschelf sehr steil ab. Die Sandbänke liegen tief im Meer und sind nur schwer zu erreichen."

    Werden Urlaubstrände also komplett verschwinden? Zumindest gebietsweise? Die Forscher wollen das nicht ausschließen. Wo das Risiko am größten ist, das sollen die künftigen regionalen Studien mit dem neuen Erosionsmodell zeigen.