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Seehofer-Besuch in Russland
Um die russische Wirtschaft zu entlasten, "ist jeder Gast recht"

Der Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau, Johannes Voswinkel, hält den Besuch von Horst Seehofer in Moskau im Grundsatz für richtig, um in einen Dialog zu treten. Im DLF sagte er mit Blick auf den Konflikt in der Ost-Ukraine und die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, in dieser Frage dürfe man nicht einknicken.

Johannes Voswinkel im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 03.02.2016
    Der Kreml in Moskau
    Der Kreml, Sitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin. (dpa/Jens Kalaene)
    Die Destabilisierung der Bundesregierung sei für manche Kräfte in Moskau eine Chance, den harten Kurs der Bundespolitik gegenüber Russland abzuschleifen, sagte Voswinkel. Offenbar gebe es von russischer Seite die Hoffnung, dass die Strafmaßnahmen aufgehoben werden. Wenn dadurch der Haushalt entlastet werden könnte, sei einem jeder Gast recht, so Voswinkel im DLF.
    In Russland sehe man die Aufnahme von großer Zahl Flüchtlinge in Deutschland und Europa skeptisch. Führende russische Ideologen sähen die Flüchtlingspolitik in Westeuropa als weiteren Beweis für die Dekadenz des Westens, der nach deren Auffassung nicht nur verdorben sei, sondern sich selbst zerstöre.
    Finanzierung der AfD durch Russland würde ins Bild passen
    Darüber ob der Kreml rechtspopulistische Parteien wie die AfD oder den Front National finanziere, habe er keine genauen Informationen. Es würde aber durchaus ins Bild passen, so Voswinkel.
    Es sei wichtig, in der Syrienfrage zu versuchen, mit Russland zusammenzuarbeiten. Dabei dürfe "man sich aber nicht so über den Tisch ziehen lassen, dass man mit allem in der Ostukraine passiert, einverstanden ist."

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Horst Seehofer weiß, wie man provoziert. Darüber sollte nach den Auftritten der vergangenen Monate nun wirklich kein Zweifel mehr bestehen. Wieder und wieder hat er in der Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik Spitzen gegen die Kanzlerin gesetzt. Und so versteht auch mancher Politiker die heutige Reise des CSU-Chefs. Seehofer dürfte jetzt schon im Flugzeug sitzen. Ein Direktflug München-Moskau dauert so etwa drei Stunden und für circa 13 Uhr ist die Landung in Moskau angekündigt. Die Bundesregierung sagt, es ginge dabei weniger um deutsche Außenpolitik. Seehofer selbst spricht aber klassische außenpolitische Themen an: Flüchtlingspolitik, Sanktionen. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Johannes Voswinkel. Er ist Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Guten Tag, Herr Voswinkel.
    Johannes Voswinkel: Ja, guten Tag.
    Büüsker: Herr Voswinkel, die eine Sache ist ja, wie ein Besuch gemeint ist. Die andere ist, wie er aufgenommen wird. Was glauben Sie, was erwartet die russische Seite von Seehofers Besuch?
    Voswinkel: Es mag sicherlich auch wirtschaftliche Interessen geben, aber das große überspannende Interesse ist natürlich das, in einen Dialog mit dem Westen zu kommen, der vielleicht letztendlich in der Aufhebung der Sanktionen enden könnte. Das hängt damit zusammen, dass die Sanktionen durchaus fühlbar sind in der jetzigen Wirtschaftskrise, wenngleich sie sicherlich nicht den Hauptgrund darstellen. Und um die russische Wirtschaft, aber insbesondere natürlich das russische Budget, den Haushalt zu entlasten, wäre es schon dienlich, wenn man wirtschaftlich wieder stärker mit dem Westen zusammenarbeiten könnte, und da ist einem jeder Gast recht.
    "Destabilisierung der Bundesregierung für manche Kräfte eine Chance"
    Büüsker: Aber Seehofer ist eigentlich nicht der richtige Gast dafür. Eigentlich müssten dann ja Gespräche mit Merkel folgen.
    Voswinkel: Man ist durchaus interessiert daran, Differenzen, die beispielsweise in der Koalition, aber auch, wenn man auf eine höhere Ebene geht, innerhalb der Europäischen Union existieren, zu nutzen für die eigenen Interessen, für die eigenen Zwecke. Und eine Destabilisierung der Bundesregierung ist für manche Kräfte zumindest in Moskau eine Chance, so sehen sie es, eventuell den harten Kurs der Bundeskanzlerin in der Außenpolitik, in der Frage beispielsweise der Sanktionen gegenüber Russland, abzuschleifen.
    Büüsker: Wenn Sie jetzt sagen, manche Kräfte, wen meinen Sie damit konkret?
    Voswinkel: Das ist manchmal schwer zu sagen, wer hinter welcher politischen Ausrichtung in Russland steht. Allgemein wird dann gerne gesagt, der Kreml. Es sind bestimmte Kreise, die sicherlich eher beispielsweise zu einem starken Staat und zu den Sicherheitsorganen, häufig stammen sie auch aus denselben, tendieren. Aber nicht nur das: Es gibt natürlich auch politische Kreise, die durchaus entweder, weil sie glauben, dass das im Moment die richtige Politik sei, vielleicht auch aus Opportunismus oder weil sie ganz überzeugt davon sind, eine gewisse Isolation Russlands und eine gewisse zurückhaltende bis abwehrende Haltung gegenüber dem Westen für richtig halten. Wenn Sie - und das kann man eigentlich häufig nur über dritte oder vierte Personen - ein bisschen in das Befinden der russischen Unternehmer und der Wirtschaft hineinhören, bekommen Sie ein ziemlich anderes Echo, aber die sind nicht diejenigen, die die russische Politik im Moment definieren.
    "Russland hat eine relativ restriktive Politik gegenüber Flüchtlingen"
    Büüsker: Und welche Position nimmt Wladimir Putin da ein?
    Voswinkel: Ich glaube, es ist eine Position, die wir auch an anderen Anzeichen in der letzten Zeit ablesen konnten: Eine Position, die heißt, wir müssen wieder mit dem Westen aus rein praktischen Gründen, nämlich aufgrund der eigenen Interessen, insbesondere der Wirtschaftslage, der Wirtschaftskrise wegen in besseren Kontakt kommen. Die beste Position wäre im Grunde genommen, wir gestehen uns ein, ich vereinfache das ein bisschen, dass im Vergangenen einiges falsch gelaufen ist, und fangen am besten bei null an. Business as usual ist so etwas, wovon die russische Seite häufig geträumt hat. Und wenn es gelingt, die westliche, durchaus einheitliche Position gegenüber Russland, insbesondere natürlich gegenüber dem Vorgehen Russlands in der Ukraine aufzuweichen, dann wäre das ein wichtiger Schritt in diese Richtung aus russischer Perspektive.
    Büüsker: Wenn wir jetzt mal auf die konkreten Themen gucken, mit denen Horst Seehofer auch im Gepäck dort hinfährt. Das ist einmal die Flüchtlingspolitik, die Bekämpfung der Fluchtursachen. Da dürfte Seehofer Putin grundsätzlich näher stehen als Angela Merkel, oder?
    Voswinkel: In vieler Hinsicht, glaube ich, schon. Russland hat eine relativ restriktive Politik gegenüber Flüchtlingen, die ins Land kommen, und sieht die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen in Westeuropa, insbesondere natürlich führend in Deutschland, sehr skeptisch. Im Grunde genommen wird das von manchen, die so ein bisschen den derzeit führenden russischen Ideologen, das Wort ist ein großes Wort, aber denen, die so ein bisschen diese Politik auch ideologisch unterfüttern, für die sieht die Flüchtlingspolitik in Westeuropa eigentlich nach einem weiteren Beweis für - jetzt zitiere ich ein bisschen das, was als Vokabular häufig gebraucht wird - die Dekadenz des Westens an, der nicht nur verdorben ist, sondern auch noch nicht für die eigenen Interessen eintritt, sondern sich selbst zerstört. Und das ist natürlich eine Position, die genau nicht der russische Präsident hat. Er steht für ein hartes und konsequentes Eintreten der russischen Interessen. Das ist seine Politik und entsprechend ist er auch in der Flüchtlingsfrage, wenn es ums eigene Land geht, sehr zurückhaltend. Sicherlich findet er aber da ein gemeinsames Thema mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, und sei es nur, um auf die westliche Politik Einfluss zu nehmen.
    "Minsker Friedensprozess ist wichtig - auch wenn er fehlangelegt ist"
    Büüsker: In diesem Kontext wird hier in Deutschland auch immer wieder darüber gesprochen, dass der Kreml rechtspopulistische Parteien finanzieren würde, in Frankreich konkret den Front National, hier in Deutschland soll die AfD Gelder aus Moskau bekommen. Wissen Sie da etwas drüber?
    Voswinkel: Wir wissen oder ich weiß nichts darüber. Es gibt darüber keine genauen Informationen. Es ist aber sehr gut möglich. In einem Fall, bei der Front National in Frankreich, wissen wir ja auch, dass es einen Kredit über eine russische Bank, die in Prag ansässig ist, gegeben hat. Darüber hinaus ist nichts bekannt. Aber es würde, sage ich mal vorsichtig, durchaus ins Bild passen, eine solche Unterstützung rechtspopulistischer Parteien in Europa.
    Büüsker: Wie kann unter all diesen Voraussetzungen wieder eine Annäherung zwischen Europa und Russland funktionieren?
    Voswinkel: Ich denke, dass natürlich der Minsker Friedensprozess sehr, sehr wichtig ist, so vielleicht in vieler Hinsicht er auch fehlangelegt ist. Es ist das, was man im Moment hat und woran man sich festhalten muss. Auf der anderen Seite glaube ich, dass es dabei wichtig ist, nicht der russischen Seite zu signalisieren, dass man relativ bald zu business as usual übergehen könnte, oder beispielsweise die Sanktionen relativ bald schrittweise abbauen will, sondern man muss deutlich machen, wir haben eine feste Position und bestimmte Prinzipien in Westeuropa, die wir verteidigen wollen. Wichtig ist, dann natürlich zu sehen, zu welchen Schritten Russland bereit ist, insbesondere in der Ostukraine. Im Moment hat Moskau eine relativ einfache Position, weil es sagen kann, Kiew verzögert den Minsker Friedensprozess dadurch, dass die Souveränitätsrechte für die Ostukraine bisher nicht im Parlament durchgebracht sind. Aber man muss dann natürlich auch darauf dringen, dass Russland seinen Einfluss geltend macht, um beispielsweise die Grenze zwischen der Ostukraine und Russland für die ukrainische Regierung überwachbar zu machen. Also eine harte Position, die dazu führt, dass tatsächlich Fortschritte in der Ukraine erzielt werden und nicht nur der Konflikt, wie es im Moment ist, quasi eingefroren wird.
    Syrien: "Man darf sich nicht über den Tisch ziehen lassen"
    Büüsker: Aber wir haben ja noch einen Konflikt, in dem Russland eine sehr wichtige Rolle spielt, und das ist der Syrien-Konflikt, wo die Fronten noch viel verhärteter scheinen als im Ukraine-Konflikt. Müsste der Westen gerade mit Blick auf diesen Konflikt nicht noch mehr auf Russland zugehen und auf Russland einwirken?
    Voswinkel: Ich finde es wichtig, dass man versucht, mit Russland im Syrien-Konflikt zusammenzuarbeiten. Man darf sich dabei aber nicht, ich will es salopp sagen, so über den Tisch ziehen lassen, dass man mit mehr oder minder allem - ich übertreibe ein bisschen -, was dann in der Ostukraine passiert, einverstanden ist. Insbesondere darf man das Problem der Ostukraine nicht aus den Augen verlieren bei dem Versuch, eine gemeinsame Lösung in Syrien zu finden. Man muss klar machen, das eine ist nicht mit dem anderen direkt verbunden. Wenn es elementare Schritte Russlands auf die westlichen Positionen zu gibt, dann kann man natürlich auch darüber nachdenken, entsprechende Schritte von der eigenen Seite aus zu machen. Aber sie müssen erst einmal da sein. Im Moment sind sie noch nicht, insbesondere was die Ukraine betrifft, zu sehen.
    Büüsker: Unter all diesen Voraussetzungen, wie beurteilen Sie den heutigen Besuch von Horst Seehofer? Grundsätzlich eine gute Sache, oder ein Fehler?
    Voswinkel: Ich halte es grundsätzlich für gut - das klingt ein bisschen banal, aber es ist einfach so -, wenn man miteinander spricht und wenn man auch von deutscher Seite aus jede Gelegenheit nutzt, in Russland, sei es mit Herrn Putin und anderen Amtsträgern zu sprechen. Gar keine Frage. Das Wichtige ist, welche grundsätzliche Position man dabei vertritt, dass man grundsätzliche Positionen, was zum Beispiel die Ostukraine, was die Annexion der Krim betrifft, deutlich macht der russischen Seite und nicht da einknickt, wo es keinen Grund gibt einzuknicken. Insofern Gespräche gut, aber es sollte innerhalb der westeuropäischen Position zu insbesondere dem, was in der Ukraine vorgefallen ist, bleiben.
    Büüsker: Johannes Voswinkel war das. Er ist Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Voswinkel.
    Voswinkel: Nichts zu danken. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.