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Seehofer und die CDU
"Das Verhältnis ist besser geworden"

Horst Seehofers Auftritt auf dem CDU-Parteitag zeigt, wie geschickt er ist, meint der Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Er sei bewusst anders aufgetreten als beim CSU-Parteitag und habe nun mit seinem "konzilianten" Ton die Wogen wieder geglättet, sagte er im DLF. Gleichzeitig sei er in der Sache hart geblieben.

Jürgen Falter im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 15.12.2015
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter (picture alliance / Erwin Elsner)
    Ann-Kathrin Büüsker: Miesmutig - so vergrätzt hat man Angela Merkel selten gucken sehen wie beim CSU-Parteitag vor gut drei Wochen in München, als Horst Seehofer ihr eine echte Predigt gehalten hat, wie die CSU denn die Sache mit der Flüchtlingspolitik sieht. So manch ein politischer Journalist sah da bereits den Bruch der Union kommen, nachdem Seehofer die Kanzlerin so gedemütigt hat. Heute könnte Merkel sich revanchieren: Beim CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe ist heute Horst Seehofer als Gast geladen. Wie geht es jetzt weiter für die Union? Darüber möchte ich sprechen mit Professor Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Uni Mainz. Guten Tag, Herr Falter!
    Jürgen Falter: Guten Tag!
    Büüsker: Wie beurteilen Sie nach Seehofers Auftritt jetzt das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien?
    Falter: Es ist besser geworden, und zwar deswegen, weil Seehofer im Ton sehr konziliant war. In der Sache ist er durchaus hart geblieben, aber er hat mit semantischen Spielereien versucht, ein wenig davon abzulenken, dass es doch noch einen großen Unterschied gibt zwischen der CSU und der CDU, und das hat mit der berühmten Obergrenze zu tun. Das hat er allerdings mit Humor und etwas Witz auch überspielt, sodass ich glaube, dass das Verhältnis wirklich besser geworden ist nach dieser Rede, übrigens auch besser geworden ist natürlich nach der gestrigen Entscheidung über den Leitantrag, und die CSU sich wieder angenähert fühlt an die CDU und die CDU sich nicht abgestoßen fühlt von der CSU.
    "Die Kanzlerin hat absolutes Oberwasser gestern bekommen"
    Büüsker: Das heißt, verbal sind jetzt die Wogen geglättet, aber inhaltlich ist man ja immer noch unterschiedlicher Meinung. Seehofer möchte weiterhin eine Obergrenze, Merkel sagt nein.
    Falter: Wenn es eine nennenswerte Reduzierung gäbe, dann käme das ja dem Gedanken der Obergrenze schon fast nahe. Da könnten die Bayern auch mit leben. Sie sind ja die allerersten, die tatsächlich mit den Flüchtlingsströmen konfrontiert sind. Daher auch ein bisschen ihre harte Haltung, die harte Haltung der CSU, die übrigens verbreitet ist unter den Bürgermeistern und Landräten jeder Couleur in Bayern, weil die nämlich tatsächlich tagtäglich das bewältigen müssen. Und Seehofer ist ein bisschen deren Sprachrohr. Er tritt eben anders auf. Er ist beim CSU-Parteitag anders aufgetreten als beim CDU-Parteitag. Das zeigt im Übrigen, wie geschickt er auch ist.
    Büüsker: Das heißt aber, in der CDU selbst gibt es viele Kritiker, die sich nicht so richtig trauen, gegen die Kanzlerin anzusprechen?
    Falter: Nein! Die Kanzlerin hat absolutes Oberwasser gestern bekommen. Sie ist ja von einer Woge der Begeisterung hochgetragen worden. Man fühlte sich plötzlich wieder zuhause und vereint. Sie hat eine ganz grandiose Rede gehalten, mit der sie diesen Parteitag hinter sich bekommen hat, obwohl man gemerkt hat am Beifall dann, den Seehofer bei bestimmten Passagen bekommen hat, dass auch in der CDU es durchaus Unzufriedene gibt, die nicht glauben, dass man jetzt mit Semantik das Problem lösen könne, sondern die tatsächlich konkrete Lösungen haben wollen. Und das sind vor allen Dingen die Delegierten aus den ostdeutschen Bundesländern.
    "Wer in der Partei etwas werden will, der lege sich besser nicht mit Angela Merkel an"
    Büüsker: Aber wie kann es denn sein, dass diese Kritiker Merkel gegenüber so abtauchen und ihr gegenüber nicht Stellung beziehen?
    Falter: Das ist Selbsterhaltungstrieb, würde ich zunächst einmal sagen. Wer in der Partei etwas werden will, wer etwas bleiben will, der lege sich besser nicht mit Angela Merkel an. Seehofer kann das, er ist der Chef einer eigenständigen Partei. Die CSU ist ja nicht einfach ein Zweig, der bayerische Zweig der CDU, sondern wirklich eigenständig. Das können aber andere nicht so einfach. Haseloff hat es ja gemacht, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, indem er eine Obergrenze forderte. Viele Delegierte fordern das dann auch im Interview. Aber getragen von dieser Woge der Begeisterung, da verstummt praktisch jede Opposition. Man hat das gestern sehen können, wie so dynamische Kräfte, eigendynamische Kräfte einen Parteitag bewegen können.
    Büüsker: Merkel hat sich jetzt erst mal durchgesetzt. Aber wie nachhaltig ist das? Nehmen wir mal an, an den Flüchtlingszahlen ändert sich nichts, kann es dann noch gefährlich für sie werden?
    Falter: Dann wird es gefährlich für sie werden, ohne Zweifel, denn dann hält sie ja auch nicht, was sie angekündigt hat, dass sie auf eine Reduktion hinarbeiten wolle, und die eigentliche große Unbekannte ist natürlich, wie sie in Europa sich durchsetzen kann, ob sie da die europäischen Nachbarn, die EU-Nachbarn zu einer Solidaritätsgeste bringen kann, die mehr ist als eine symbolische Geste. Wenn ihr das nicht gelingt - und das sieht im Augenblick tatsächlich nicht so aus -, dann wird sie wahrscheinlich an ihren Worten gemessen werden und dann werden auch in der CDU wieder viele sehr unzufrieden sein. Das wäre Wasser auf die Mühlen der AfD.
    "Die CDU hat sich von Merkel auf ihr Grundsatzprogramm zurückführen lassen"
    Büüsker: Wir haben ja jetzt die Parteitage der zwei großen Volksparteien hinter uns: Erst die SPD, wo viele mit dem Kurs ihres Vorsitzenden nicht zufrieden sind und ihn dafür abgestraft haben, dann jetzt die CDU, wo auch viele mit dem Kurs ihrer Vorsitzenden nicht zufrieden sind, sich aber geschlossen hinter sie stellen. Warum ticken diese beiden Parteien so unterschiedlich?
    Falter: Die haben immer unterschiedlich getickt und sie werden es wahrscheinlich auch tun. Die SPD ist eine Partei, die von Grund auf viel stärker programmatisch denkt, wo auch die Auseinandersetzungen über das Programm viel intensiver sind. Die SPD ist eine Partei, die Gesellschaftsveränderung, Gesellschaftsverbesserung sich auf die Fahnen geschrieben hat. Die CDU ist eher eine Partei, die sagt, Veränderung, Verbesserung ja, aber sachte. Sie ist ja eine konservative Partei. Da spielt das Programmatische eine viel geringere Rolle. Da spielt eine größere Rolle, an der Macht zu sein und an der Macht zu bleiben. Und dann stellt man sich natürlich auch leichter hinter den Machtgaranten, und das ist nun mal Angela Merkel.
    Büüsker: Wir haben ja in der Gesellschaft gerade eine große Debatte über die Werte, die unser Land ausmachen, und auch über den Umgang mit Flüchtlingen. Ist da so eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Parteiprogrammen, wie es die SPD macht, nicht eigentlich besser als das, was die CDU macht, indem sie Meinungen abbügelt?
    Falter: Na ja, gut. Die CDU hat ja Folgendes gemacht: Sie hat sich von Angela Merkel sozusagen auf ihr Grundsatzprogramm zurückführen lassen. Mit der Berufung auf das christliche Menschenbild, was ja ein Kernbestand ist des CDU-Grundsatzprogrammes, hat sie es hinbekommen, die Menschen, die Delegierten hinter sich zu bekommen. Und in der CDU wird auch gestritten, es wird nur anders gestritten. Es wird nicht so in die Öffentlichkeit und vor der Öffentlichkeit gestritten, stärker hinter der Bühne, und die Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU können wir durchaus auch als einen Familienstreit ansehen, der in der SPD, weil es nur eine Bundespartei gibt, anders ausgetragen wird.
    Büüsker: Professor Jürgen Falter, Politikwissenschaftler an der Uni Mainz. Danke für das Gespräch.
    Falter: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.