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Seehofers Absage an Schwarz-Grün ist "Theaterdonner"

Die Ablehnung schwarz-grüner Koaltionsgespräche durch CSU-Chef Horst Seehofer verbucht der Politologe Everhard Holtmann unter "Theaterdonner". Durch Ausschluss dieser Option würde die Union den Preis für eine Große Koalition unnötig in die Höhe treiben. Diese sei indes die wahrscheinlichste Perspektive.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Gerd Breker | 24.09.2013
    Gerd Breker: Der Souverän, das Volk hat gesprochen und Politik muss nun damit umgehen. Die Botschaft der Wähler lautet: Ohne Mutti geht hierzulande nichts mehr. Angela Merkel soll Bundeskanzlerin bleiben. Nur dazu fehlt ihr und der Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU ein weiterer Partner, und dieser Koalitionspartner soll die SPD werden, jedenfalls nach dem Willen des Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der sich heute wiederwählen lassen will.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann.

    Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Horst Seehofer schließt Verhandlungen mit den Grünen aus. Schwächt er damit nicht die Position von Angela Merkel?

    Holtmann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Horst Seehofer an diesem Diktum sehr beharrlich festhalten wird, denn in der Tat würde er damit ja eine der möglichen, der wenigen noch möglichen Optionen, zu Regierungsformaten nach diesen Wahlen zu kommen, einschränken, auch im Hinblick auf die von ihm ja offenbar präferierten Verhandlungen mit der SPD, denn aus der Sicht der Unions-Parteien bedeutet ja die alternative Möglichkeit, es auch mit den Grünen möglicherweise zu können, eine Art Druckmittel gegenüber der SPD, um dort die Preise nicht allzu hoch schnellen zu lassen. Nach meiner Einschätzung ist das eher unter dem Etikett "Theaterdonner" einzuordnen.

    Breker: Aber es wirft auch einen kleinen Blick darauf, dass es für Angela Merkel möglicherweise ein Glück war, dass es nicht zu einer Mandatsmehrheit für die Union gekommen ist, denn mit dieser CSU hat es kein leichtes Spiel.

    Holtmann: Anders herum, denke ich mal, wäre es für sie trotzdem komfortabler, denn wenn es tatsächlich zu einer absoluten Mehrheit der Union gekommen wäre – sie ist ja jetzt auch nur nicht sehr viele Mandate davon entfernt, trotz der durch Ausgleichsmandate erhöhten Zahl oder vergrößerten Zahl des Bundestages -, ich denke, selbst wenn es dazu gekommen wäre, sicherlich hätte die CSU ihr größeres Gewicht stärker und nachhaltiger fraktionsintern, koalitionsintern ausgespielt, aber doch nicht mit dem ernsthaften Willen, es auf Sollbruchstellen ankommen zu lassen. Die Kanzlerin hat in der jetzigen Konstellation nach meiner Einschätzung doch die größeren Probleme, zu einer stabilen Regierung zu kommen.

    Breker: Wunschpartner ist die SPD. Diese Große Koalition, die ist zur Wunschkonstellation geworden. Doch die SPD ziert sich, und aus gutem Grund?

    Holtmann: Ja, da gibt es sicherlich verschiedene, auch nachvollziehbare Gründe. Zum einen: Es wäre ja eher seltsam, wenn die SPD, ohne weitere Verzögerungen und auch ohne die jetzt ja wie bei allen anderen Fraktionen anstehenden primären innerfraktionellen und innerparteilichen Klärungsprozesse abzuwarten, gleich zu winken und zu sagen, hier sind wir. Und zum anderen: Die SPD ist ja in der Tat hin- und hergerissen zwischen staatspolitischen Erwägungen auf der einen Seite und den leidigen Erfahrungen mit der letzten Großen Koalition auf der anderen Seite. Das ist ja offenbar auch die Stimmungslage, die sich in die neue Fraktion hinein verlängert, und in der Tat – Ihr Bericht hat das eben ja auch angesprochen -, es ist ja auch nicht so ganz berechenbar, ausrechenbar, wie sich die vergleichsweise große Gruppe der Newcomer, der neu gewählten, frisch gewählten Bundestagsabgeordneten in diesen Fragen positioniert.

    Breker: Sie haben die staatspolitische Verantwortung aller Parteien, also auch der SPD erwähnt, Herr Holtmann. Wer würde denn am meisten unter Neuwahlen leiden? Kann sich die SPD Neuwahlen überhaupt leisten?

    Holtmann: Ich halte Neuwahlen zum derzeitigen Zeitpunkt für keine realistische Alternative, denn das Parlament so, wie es jetzt ist, muss im Grunde genommen das ihm von den wählenden Bürgern anvertraute Mandat annehmen und es gibt meines Erachtens auch keine ernsthaften Kriterien oder Aspekte, die daran denken lassen könnten, jetzt gleich über Neuwahlen zu reden. Denn es gibt in diesem neu gewählten Bundestag für die Union zwei mögliche alternative Koalitionspartner und es ist sicherlich auf der einen Seite richtig, es wird immer wieder betont, dass zumal zwischen Union und Grünen nicht nur Atmosphärilien eine Rolle spielen, sondern dass es auch in der Tat ja gravierende sachpolitische Unterschiede gibt, aber auf der anderen Seite: Die Demokratie in Deutschland sollte in der Tat so reif sein, die parlamentarische Demokratie, dass sich die Partner, die sich dort jetzt gegenüber stehen, auch zu fragmatischen Koalitionsverhandlungen verständigen können. Man muss den Lackmustest der Koalitionsverhandlungen dann ja auch erst einmal probieren, und wenn es dann überhaupt nicht klappt, nun ja, dann kann man auch über Alternativen jeweils nachdenken.

    Breker: Alternative wäre eine Minderheitsregierung der Union?

    Holtmann: Kann ich mir schwer vorstellen. Man mag aus der Tatsache, dass die Union ja an der absoluten Mandatsmehrheit gewissermaßen gekratzt hat, aber es ist eben doch noch eine zweistellige Zahl, die dem vergrößerten Bundestag fehlt, man mag daraus einen gewissen Anreiz für eine solche Minderheitsregierung beziehen. Auf der anderen Seite: Stabile Regierungen sehen anders aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Kanzlerin Merkel darauf einlassen mag, sozusagen vielleicht mit wechselnden Mehrheiten, mit wechselnden sachpolitischen Mehrheiten zu agieren. Das ist auch im Blick auf die anstehenden Herausforderungen, Stichworte weitere Bewältigung der Euro-Krise, Festzurren der haushaltspolitischen Perspektiven und nicht zuletzt auch die Ausbalancierung der Strukturschwächen der sozialen Sicherungssysteme, nicht realistisch und aus meiner Sicht auch nicht erwünscht.

    Breker: Halten Sie denn die Große Koalition, also Union und SPD, für wahrscheinlich?

    Holtmann: Ich denke, wenn man alles zusammennimmt und auch unter Berücksichtigung des Zögerns, des begründbaren Zögerns der SPD, dann könnte sich am Horizont doch das als die realistische Perspektive herausstellen. Die SPD wird sicherlich aus ihrer Sicht darauf achten wollen, dass sie ihren Markenkern unterbringt. Das heißt, sie wird und kann dann auch die Prämie ihrer Regierungsbeteiligung entsprechend hochtreiben. Und das heißt ja jetzt nicht vordergründig, auf die Zahl der ihr zufallenden Minister zu schielen, sondern vor allen Dingen darauf zu achten, dass sie in Politikfeldern, die ihr Identifikationspotenzial ausmachen, Stichworte vor allen Dingen Sozialpolitik, dass es ihr da gelingt, sich auch von der Union trotz aller Koalitionsräson entsprechend abzukoppeln. Denn wenn die Große Koalition käme, dann wäre die SPD ja einer doppelten Opposition von links ausgesetzt, von Grünen und von Linkspartei, und dann würde sie schon sehr darauf achten müssen, dass sie da nicht gerade in den Fragen, die ans Eingemachte rühren, von den anderen beiden Parteien vor sich hergetrieben wird.

    Breker: Denn für die Partner von Angela Merkel haben sich Koalitionen bislang nicht ausgezahlt?

    Holtmann: Ja, das ist richtig, wobei man sagen muss in der Zusammenschau, das ist nicht unbedingt nur auf das Konto von Angela Merkel zu buchen. Man könnte auch sagen, Angela Merkel hat die Freiräume besetzt, die ihr eine erschreckend konturenlos und auch zum Teil ja fahrig und wenig konsequent agierende FDP als kleiner Koalitionspartner gleichsam angeboten hat. Die hat sie mehr oder weniger überlegt auch ausnutzen können.

    Breker: Everhard Holtmann war das. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg. Herr Holtmann, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Holtmann: Bitte schön!


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