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Seele in der Philosophiegeschichte
"Die Seele hängt im Hades wie eine verschrumpelte Fledermaus"

Die Vorstellung, dass der Mensch eine Seele hat, gab es zur Zeit der griechischen Antike nicht, sagte Richard David Precht im DLF. Die Seele war damals nur ein "belebendes Prinzip", das nach dem Tod eines Menschen den Körper verlassen hat.

Der Philosoph Richard David Precht im Gespräch mit Susanne Fritz | 12.10.2015
    Richard David Precht, Autor, Schriftsteller und Philosoph
    Die Vorstellungen von Seele und Seelenwanderung bei den antiken Philosophen (imago/Sven Simon)
    Susanne Fritz: Herr Precht, heute erscheint Ihr neues Buch "Erkenne die Welt – Eine Geschichte der Philosophie". Darin sind Sie immer wieder auf die menschliche Seele zu sprechen gekommen, denn sie ist ein uraltes philosophisches Thema. Zunächst taucht die Seele jedoch bei antiken Dichtern wie Homer auf. Inwiefern?
    Richard David Precht: Unsere heutige Vorstellung, die wir uns vom Leib machen und auch von der Seele machen, die gab es in der Welt des 7./8. Jahrhunderts vor Christus noch gar nicht. Es gab gar keine klare Vorstellung vom Leib. Also wir sprechen ja vom menschlichen Körper als den Leib, als etwas Ganzem. Und für die Griechen zerfiel das eigentlich in mehrere Teile. So kennen wir das jedenfalls von Homer und von Hesiod – man hat Arme, man hat Beine und einen Rumpf, aber Leib hat man eigentlich gar nicht. Das ist ein viel späterer Begriff. Und das gleiche gilt auch für die Seele. Die Vorstellung, dass der Mensch eine Seele hat, die seinen Charakter bestimmt und die möglicherweise unsterblich ist – diese Vorstellung gab es nicht. Sondern die Seele ist eigentlich nur so ein belebendes Prinzip. Wenn ein Mensch tot ist, dann hat die Seele offensichtlich den Körper verlassen. Man kann also negativ feststellen, dass der Mensch eine Seele hat. Und im elften Gesang der Odyssee wird dann berichtet, wie die Seele in den Hades kommt und da hängt sie dann quasi wie eine eingeschrumpelte Fledermaus rum. Das hat mit unserer komplexen Vorstellung von Seele als Träger der menschlichen Eigenschaften eigentlich gar nichts zu tun.
    Fritz: Warum messen wir Dichtern wie Homer eine so große Bedeutung zu, wenn es um die Vorstellungswelt der Menschen in der Antike geht?
    Precht: Wir haben ja aus diesen frühen Jahrhunderten fast gar keine Schriftdokumente. Das Wenige, was wir haben, sind halt die Quellen Homer oder Hesiod. Und die waren unglaublich verbreitet. Also es hat in der gesamten griechischen und römischen Welt keinen so erfolgreichen Text gegeben wie die Ilias von Homer. Und wir können davon ausgehen, dass sie die Lebenswirklichkeit der Menschen beeinflusst hat. Das heißt, dass diese Texte breit gekannt wurden und erzählt wurden. Deswegen spielten zur Orientierung im Leben solche Erzählungen wie die Helden- und Göttergeschichten bei Hesiod oder bei Homer – oder auch bei Hesiod die alltäglichen Belehrungen der Bauern, wie sie zu leben hatten, wie sie einen Acker bestellen sollten – eine ganz große Rolle.
    Unser ganzes Leben ist von Mythen durchsetzt
    Fritz: Dann geschieht etwas ganz Seltsames. In diese durch die Mythen gut erklärte antike Welt bricht eine andere Art zu denken ein. In Griechenland – der Wiege unserer Kultur – treten die ersten Philosophen auf den Plan. Im 6. Jahrhundert vor Christus versuchen sie die Welt vernünftig und rational zu erklären – ohne den Verweis auf die Götter. Die Vernunft und die Logik bekommen dabei einen neuen geradezu göttlichen Charakter. Inwiefern?
    Precht: Diese Entwicklung ist natürlich nicht über Nacht passiert und wir tappen auch ein bisschen im Dunkeln. Früher hat man gerne vom griechischen Wunder gesprochen. Oder man hat gesagt, der Logos, der Vernunftglaube, die Rationalität habe den Mythos quasi ersetzt. Das ist so im Lichte der neueren Forschung etwas, was man so einfach nicht mehr sagen kann. Also noch in der heutigen Welt im 21. Jahrhundert wird unser ganzes Leben von Mythen und Glaube und halb Verstandenem und Erzählungen durchsetzt. Denken Sie an die Menschen, die an Horoskope glauben oder an ihr Schicksal oder an vieles anderes mehr. Also man kann nicht sagen, der Logos tritt statt des Mythos in die Welt, aber er ergänzt den Mythos. Am Anfang der Philosophiegeschichte stehen Menschen wie Thales, wie Anaximenes, wie Anaximander. Die leben in Kleinasien, also an der schönen Küste der Türkei am Ägäischen Meer. Wir wissen, dass sie Ingenieure wahrscheinlich waren, Techniker waren, die praktische Aufgaben bewerkstelligt haben, Bewässerungsgräben ziehen oder Festungen bauen und Ähnliches mehr. Und die fangen nun an, zu rechnen und abzuschätzen und abzuwägen. Und im gleichen Maße, wie diese Berufe entstehen, entsteht auch so etwas wie der Stellenwert des logischen Denkens.
    Fritz: Welche Rolle spielt nun das logische Denken in den Philosophien der Denker im 6. vorchristlichen Jahrhundert?
    Precht: Ja, es macht eine ganz, ganz steile Karriere. Wenn wir beispielsweise an Heraklit denken, der im Ephesos, also ebenfalls im Gebiet der heutigen Türkei ansässig war, für den ist der Logos etwas, was weit über dem Menschen steht. Man kann sagen der Logos ersetzt eigentlich den griechischen Götterhimmel. Die Griechen hatten ja keine monotheistische Religion, sondern – wie wir alle wissen – ein riesiges Ensemble an Göttern für verschiedene Funktionen und für verschiedene Aufgaben und Rollen und mit verschiedenen Charakteren. Das wird jetzt ersetzt durch das große gleichsam göttliche Prinzip der Logos, die Weltvernunft. Und der Mensch kann, wenn er besonders begünstig ist, besonders intelligent ist, sich ein bisschen in diese Welt versetzen, ein bisschen von dieser Welt in sich aufnehmen. Dann durchdringt sie in und dann wird man klüger und weiser als alle anderen Menschen. So in etwa lässt sich der Logos bei Heraklit verstehen.
    Die Unsterblichkeit der Seele lässt sich gut erklären
    Fritz: Der Logos ist die Welt des Abstrakten, des Zeitlosen, des Idealen – und das ist die wahre Welt im Unterschied zu der sinnlich wahrnehmbaren Welt, die uns umgibt.
    Precht: Ja, wir erleben im 6. und im 5. Jahrhundert vor Christus, dass die Erfahrungswelt, in der die Menschen leben, veruneigentlicht wird. Plötzlich ist die eigentliche Welt, diese Welt des Logos, eine sphärische Welt und die sinnlich wahrnehmbare Welt und auch meine Sinne, die diese sinnlich wahrnehmbare Welt ausmachen werden als etwas Minderes und etwas Täuschungsanfälliges disqualifiziert.
    Fritz: Der Logos wird zu einer Art Religion – Sie haben es gerade angedeutet, in der die Vernunft und die Logik einen absoluten Stellenwert bekommen. Was für ein Bild haben diese Denker im 6. Jahrhundert vor Christus von der Seele?
    Precht: Es gibt eigentlich keine geschlossene Vorstellung von der Seele. Aber in dem Moment, wo der Logos auftaucht, wird die Seele natürlich mit dem Logos in Verbindung gebracht. Das heißt, die Seele ist ein Organ, mit dem ich in irgendeiner Form mit dem Logos in Kontakt treten kann. Das ist jetzt von Denker zu Denker sehr unterschiedlich – die Vorstellung, aber irgendwo die menschliche – meistens nur exklusiv die menschliche – Seele irgendwo vom Logos beseelt. Und das macht sie zu etwas ganz Besonderem und das unterscheidet sie dann auch von der Tierseele oder von der Pflanzenseele.
    Fritz: Das heißt also, die menschliche Seele hat Anteil an dieser Vernunft, an dieser absoluten göttlichen Vernunft?
    Precht: Ja. Sie ist das Einfallstor, über die die Vernunft, die göttliche Vernunft, die ganz unpersönlich ist, die nichts mit dem Menschen zu tun hat, aber mit dem Menschen korrespondieren kann und in den Menschen eingehen kann.
    Fritz: Ist die Seele unsterblich bei diesen Denkern?
    Precht: Meistens können wir davon ausgehen oder zunächst einmal davon ausgehen, dass die Seele unsterblich ist, denn der Logos ist ja unsterblich. Und wenn die Seele Anteil am Logos hat, dann ist sie kraft dieses Anteils am Logos auch unsterblich. Die spannende Frage ist dann, ob dann der Leib auch unsterblich ist. Das gibt es viele verschiedene Antworten. Aber die Unsterblichkeit der Seele lässt sich über den Logos relativ gut erklären. Es fängt aber auch schon früh an – ich denke denn so im 5. Jahrhundert, Ende des 5. Jahrhunderts, Anfang des 4. Jahrhunderts, dass dieses Konzept brüchig wird und dass die Unsterblichkeit der Seele dann auch ernsthaft in Frage gestellt wird.
    Fritz: Etwa in derselben Zeit gibt es in Griechenland und Süditalien die religiöse Gemeinschaft der Orphiker. Sie bezieht sich auf den mythischen Sänger Orpheus, der in der griechischen Sage mit seinem Gesang Menschen, Pflanzenwelt, Tiere und Götter betören konnte. Die Orphiker glaubten daran, dass die Seele unsterblich ist. Und sie glauben auch an die Seelenwanderung.
    Precht: Ja. Also viele glauben ja, der Gedanke der Seelenwanderung, das sei jetzt exklusiv ostasiatisches Gedankengut. Wir denken an die Buddhisten oder wir denken an die Hindus. Aber ganz offensichtlich ist es auch uraltes mediterranes Gedankengut, mediterrane Volksreligion möglicherweise sogar. Und irgendwann im 6. Jahrhundert wurden Erzählungen um diesen Sänger Orpheus, die in Thessalien entstanden, im nördlichen Griechenland, verbreiteten sich in der griechischen Welt. Und besonders fruchtbar wurden sie im südlichen Italien, in Sizilien. Das waren griechische Kolonien, also Teil der Magna Graecia, der kolonialisierten Gebiete außerhalb Griechenlands. Und dort gründeten sich Zirkel, orphische Zirkel. Wahrscheinlich so für die aristokratische Oberschicht, die sich dann in heiligen Hainen traf und vielleicht auch kleine Tempel baute, um sich dann diesem orphischen Gedankengut hinzugeben. Der zentrale Gedanke dahinter war die Seelenwanderungslehre, die Vorstellung, dass der Mensch sich immer wieder in neuen Lebewesen re-inkarniert.
    Als was kann ich denn wiedergeboren werden?
    Fritz: Inwiefern haben die Orphiker mit ihren Vorstellungen von der Seele und der Seelenwanderung Einfluss auf die antiken Philosophen?
    Precht: Es gibt eine sehr, sehr bedeutende Figur des klassischen Griechenland – Pythagoras, der ursprünglich aus Samos stammte, von dort weggehen musste – vermutlich aus politischen Gründen und sich dann in der Magna Graecia in Süditalien ansiedelte und dort einen Kreis von Jüngern um sich scharte. Und der hat dieses orphische Gedankengut aufgegriffen und er hat eine ganz Menge verschiedener philosophischer Versatzstücke mit diesem orphischen Gedankengut zusammengebracht. Auch die Pythagoreer waren felsenfest davon überzeugt, dass es eine Seelenwanderungslehre gab. Allerdings entsteht ein großes Problem, dass man immer hat, wenn man von Seelenwanderung spricht, dass nicht ganz klar ist, wovon hängt das denn eigentlich ab, wenn ich sterbe, als was ich denn wiedergeboren werde. Also einmal die spannende Frage, was kommt überhaupt in Frage, kann ich als Stein, als Pflanze wiedergeboren werden oder nur als anderer Mensch oder als Tier. Und die zweite Frage ist, wovon hängt das ab. Da gibt es schon sehr früh einerseits die Vorstellung, dass es das Schicksal ist, dass man das gar nicht beeinflussen kann, sondern dass es ein 3000- oder 30.000-jährigen Kreislauf gibt, in dem die Menschen immer alle Stationen der Schöpfung quasi noch einmal durchmachen. Oder aber dass ich sage, es hängt von meiner moralischen Lebensführung ab, in welcher Form ich wiedergeboren werde. Je jünger diese Theorien der Seelenwanderung sind, also je mehr sie auf unsere Zeit zugehen, umso mehr spielt die Moral dabei eine Rolle.
    Fritz: Wie war das bei Pythagoras, welche Rolle spielt die Moral bei seinen Vorstellungen?
    Precht: Wir wissen über Pythagoras selber fast gar nichts, er ist eine mythische Figur, denn alles das, was wir an Texten haben, die angeblich von Pythagoras stammen sollen, stammt erst aus römischer Zeit. Deswegen tappen wir da ziemlich weit im Dunkeln, aber von einigen bekannten Pythagoras-Schülern gehen wir davon aus, dass die Vorstellung, dass es ein moralisches Gericht gibt, dass die schon eine große Rolle gespielt hat, dann das hat ja auch wichtige Folgen. Das heißt diese Wiedergeburtslehre ist komplett amoralisch. Und darauf konnte es damals nicht ankommen. Es musste wichtig sein, dass man die Wiedergeburtslehre moralisierte. Und dann heißt es, je reiner ich lebe, je besser ich lebe, je eher ich mich an die Vorschriften einer para-religiösen Gemeinschaft halte, umso eher habe ich die Chance, als besonders reines Lebewesen wiedergeboren zu werden und optimaler Weise von diesem merkwürdigen Kreislauf der Wiedergeburt irgendwann auch wieder befreit zu werden, so dass meine so sphärisch wird, wie sie es ihrer Natur nach auch sein sollte oder ursprünglich mal gewesen ist.
    Vegetarier, um die Vorfahren nicht zu essen
    Fritz: Also für Pythagoras ist der Körper das Gefängnis der Seele. Man kann das Schicksal seine Seele beeinflussen, in dem man gut lebt. Aber wie lebt man denn gut bei Pythagoras?
    Precht: Freundschaft spielt eine große Rolle. Man soll ein sehr netter und geselliger Mensch sein. Man soll sich aber auch sehr viel um sich sorgen – bis hinein in die Ernährung. Es gibt sehr strenge Vorschriften im Hinblick auf die Diätetik, also die Art und Weise der körperlich gesunden Lebensführung, der Ernährung. Dazu gehört beispielsweise auch kein Fleisch zu essen, was ja eine logische Konsequenz der Seelenwanderungslehre ist. Wenn es sein kann, dass ich im nächsten Leben als Kaninchen wiedergeboren werde oder als Hirsch, dann ist es schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich Hirsche oder Kaninchen esse, denn damit esse ich ja eigentlich jemand, der auch Mensch sein könnte oder vielleicht schon mal Mensch gewesen ist. Und deswegen wurde die vegetarische Lebensweise festgeschrieben in den pythagoreischen Gemeinschaften.
    Fritz: Die Philosophen haben sich auch mit den Naturgesetzen beschäftigt. Einige hatten medizinische Kenntnisse oder waren sogar Ärzte. Wir sprechen von einer Zeit, in der die Wissenschaften noch nicht voneinander getrennt sind wie heute. Was dachten diese Denker, wo sich die Seele im menschlichen Körper befindet?
    Precht: Der klassische Kandidat ist ja normalerweise immer das Herz gewesen. Das durchzieht sich ja weit durch die ganze Geschichte des Abendlandes. Aber es ist überraschend, dass zu einem sehr frühen Zeitpunkt – schon im 5. Jahrhundert vor Christus, noch lange vor Platon und Aristoteles – Alkmaion, ein Arzt, der in Kroton praktizierte, also im südlichen Italien, im heutigen Kalabrien, dass der der festen Überzeugung war, dass die Seele im Gehirn verankert ist. Und dass ein Arzt sich mit Philosophie beschäftigt, war für die damalige Zeit völlig verständlich, denn Körper und Geist waren ja nicht wie in unseren heutigen Vorstellungen klar voneinander geschieden. Und die Aufgabe des Arztes war nicht im naturwissenschaftlichen Sinne Gesundheit herzustellen, sondern wenn das Seelengleichgewicht gestört war, so auf den Menschen einzuwirken, dass es wieder zu einem Gleichgewicht kommt. Der Schlüsselgedanke dahinter heißt Isonomie – das heißt der Gleichklang der verschiedenen Seelenvermögen. Man geht also davon aus, dass ein großer Teil der Krankheiten aufgrund von unstabilen Seelengleichgewichten entsteht. In der Medizin waren das Psychische und das Physische nicht geschieden. Etwas, wo ich mir häufig wünsche, dass die Medizin das wieder etwas mehr in den Blick bekommt, als es die Schulmedizin gegenwärtig tut.
    Die Philosophen durften das denken, was sie dachten
    Fritz: Im christlichen Mittelalter konnte es sehr gefährlich sein, sich eine ewige Seele ohne Gott vorzustellen. Mit Pech endete man sogar auf dem Scheiterhaufen. Auch heute gibt es in vielen islamisch geprägten Ländern die Todesstrafe bei Gotteslästerung. Wie war es überhaupt möglich für die griechischen Philosophen, sich die Seele ohne einen Verweis auf die Götter oder die Religion vorzustellen?
    Precht: Also für das sogenannte griechische Wunder spielt es sicher eine große Rolle, dass die Philosophen das, was sie dachten auch denken durften. Das wäre eben vermutlich in den anderen Ländern drum herum – vor allem in den orientalischen Ländern, Ägypten oder Babylonien oder den ganzen Nachfolgestaaten, die es gegeben hat im Mittleren Osten, nicht möglich gewesen. Das waren autoritäre, autokratische, von Großkönigen, Pharaonen regierte Gebiete, in denen die Religion in die Hände einer Priesterschaft war, die für alle verbindlich die Religion vorschrieben. Und das ist im antiken Griechenland nicht gewesen, weil das antike Griechenland war ja gar kein Land. Das Wort Grieche stammt erst von den Römern. Das gab es noch nicht einmal, sondern es gab lauter kleine versprengte Inseln, Stadtstaaten mit vielleicht maximal 20-, 30-tausend Einwohnern. Da konnte sich schon jeder so ungefähr seine eigene Religion flicken und darüber hinaus auch noch persönlich. Das heißt, man hatte seinen Hausgott und seine Hofgott und der konnte von Dorf zu Dorf und vielleicht sogar von Haus zu Haus unterschiedlich sein.
    Fritz: Also es gab eine große religiöse Toleranz?
    Precht: Ja... die Griechen waren Heimwerker des Glaubens. Es gab eine im Vergleich zu anderen Ländern große religiöse Toleranz. Das schloss aber nicht aus, dass man aus religiösen Gründen schon mal den einen oder anderen Ärger kriegen konnte, wie dann die spätere Philosophiegeschichte auch gezeigt hat.
    Fritz: Aber im Grunde genommen war es so, dass diese verhältnismäßig große religiöse Toleranz den Denkern auch die Freiheit gegeben hat, eine Philosophie ohne Gott zu denken?
    Precht: Ja. Das ist tatsächlich möglich gewesen. Und an die Stelle eines Gottes oder mehrerer vorgeschriebener Götter treten Naturkräfte, gleichsam göttliche Naturkräfte. So beginnt eigentlich die griechische Philosophie, in dem man sich die Dinge des Kosmos anfängt ohne die Benennung auf einen Gott zu erklären, sondern gleichsam göttlich wirkende Naturkräfte versucht zu identifizieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.