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Seelsorge in Pattaya
Hilfe für gestrandete Rentner in Thailand

Im thailändischen Badeort Pattaya leben Tausende Deutsche, darunter auch viele Rentner. Viele hofften, hier besser finanziell klar zu kommen mit ihrer Rente als in Deutschland. Etliche haben inzwischen nicht einmal das Geld für einen Rückflug. Ihnen versuchen das Evangelische Begegnungszentrum oder auch katholische Nonnen zu helfen.

Von Achim Nuhr | 18.01.2015
    Die Walking Street in Pattaya in Thailand bei Nacht.
    Die Walking Street in Pattaya in Thailand bei Nacht. (Imago)
    Als ihr Mann in den Ruhestand ging, freute sich Elisabeth Wagner auf ein ruhiges Leben im Warmen:
    "Ich hatte mir Pattaya völlig anders vorgestellt: Hatte irgendwo im Hinterkopf so einen hübschen Mittelmeer-Ort mit gepflegten Anlagen. Und das ist halt weiß Gott nicht der Fall. Jetzt sind wir fast drei Monate hier und jetzt habe ich mich an vieles gewöhnt. Und das hier trägt dazu bei - das nennt sich ein 'Village', in dem wir wohnen - dass wir hier wohnen und dass es hier sehr ruhig ist. Und es ist ein Stückchen, ja, heile Welt hier hinten. Das ist schön, ja."
    Zuvor hatte ihr Mann im beschaulichen deutschen Kurort Bad Boll an einer Evangelischen Akademie gearbeitet. Als Wolfgang Wagner in den Ruhestand ging, fragte die Kirche, ob das Ehepaar ein Projekt in Pattaya betreuen wolle: ein Begegnungszentrum für Deutsche. Das klang interessant, obwohl die Wagners zuvor noch nie in Pattaya gewesen waren. Erst vor Ort im Begegnungszentrum bemerkten sie, welche spezielle Klientel hier lebt:
    "Wenn mir die Gespräche am Stammtisch zu bunt werden - dass es sich immer nur um das eine Thema dreht - dann stehe ich auf und gehe weg. (lacht) Das überlasse ich dann diesen Männern. Also am Anfang hat es mich schon, naja, was heißt schockiert. Ich dachte: Mein Gott, gibt es denn wirklich auf der Welt keine anderen Themen und Ideen in den Köpfen dieser Männer als ihre Gefährtinnen und wie die letzte Nacht war."
    "Es gibt ungeheure soziale Probleme"
    Weil Pattaya nah am Flughafen Bangkok und zudem am Strand liegt, gibt es hier auch ganz normale Urlauber: zum Beispiel Familien, die sich vor dem langen Rückflug noch ein wenig erholen wollen. Der Ortskern zieht allerdings die anderen an: Allein reisende Männer jeden Alters, darunter viele Rentner, die sich für einheimische Prostituierte und preiswerten Alkohol interessieren. Auch diese Menschen kommen in das evangelische Begegnungszentrum: Weil das Zentrum für alle da ist, viele Langeweile haben und mit der Zeit auch Probleme. Pfarrer Wagner:
    "Hier gibt es Tausende von Deutschen, man glaubt es nicht. Sehr viele sind jetzt als Rentner hergekommen, haben zuerst ein lustiges Leben angestrebt oftmals mit knapper Rente - weil sie dachten, dass sie hier besser zu Recht kommen als zuhause. Das ging auch eine Zeit lang so. Aber jetzt, wo der Euro im Verhältnis zum thailändischen Baht etwas abfällt, wird es knapp für viele. Dann gibt es ungeheure soziale Probleme."
    Wagner kooperiert mit dem "Deutschen Hilfsverein" von Pattaya: Weil sich auch der Verein um die wachsende Zahl deutscher Rentner kümmert, die an ihrem eigenen Lebensstil scheitern. Nun fährt Wagner mit dem Helfer Werner Kühnel in das öffentliche Krankenhaus von Pattaya. Der hat ihn auf einen neuen Fall aufmerksam gemacht: Willi.
    "Pass auf Willi, sieht gar nicht so schlecht aus für dich. Du musst nur zwei Sachen machen: Essen ist wichtig für dich und Bewegung. Ja? Frauen lässt du weg, Alkohol lässt du auch weg."
    (Willi, mit schwacher Stimme) "Ah, Frauen interessieren mich nicht."
    In Pattaya aus der Kurve geflogen
    Kein Zweifel: Willi hat es übel erwischt. Er ist nur mit einer Windel bekleidet und sieht sehr mitgenommen aus.
    "Hast du irgendeinen Wunsch? Brauchst du was?"
    "Ne. Ich kann von der Seite nichts sehen. Wenn etwas zu trinken da ist, das sehe ich nicht."
    "Wenn alle Stricke reißen, dann verkloppen wir deinen Goldzahn."
    "Der ist schon versprochen. Aber nicht mich hier liegen lassen."
    "Aber nein, das machen wir nicht. Du bist doch kein fauler Apfel."
    "Ne, noch nicht. Ich habe auch noch Zähne zum Beißen."
    Willis Zähne machen allerdings auch nicht mehr viel her: Viele sind dunkel verfärbt, einige nur noch Stümpfe – solche Gebisse sieht man sonst nur in Entwicklungsländern. Willi hat zwar die meiste Zeit seines Lebens in Deutschland verbracht. Doch viel mehr ist den beiden Helfern nicht bekannt. Der Verein kümmert sich um die gestrandeten Rentner, die in Pattaya aus der Kurve geflogen sind: die meisten, weil sie einfach weiter gemacht haben, als ihr Budget für Frauen, Alkohol und Hotelzimmer irgendwann zur Neige ging.
    "Wir wollen doch, dass du fit wirst. Du willst doch zurück nach Deutschland, oder?
    "Ja sicher."
    "Na also. Wenn du mitmachst, frag den Pfarrer, dann bist du nächste Woche in Deutschland."
    "Ich glaub da nicht mehr dran."
    "Doch, doch, doch, doch. Weißt du, von wem das abhängig ist? Von dir ganz alleine!"
    "Das weiß ich."
    "Bist du schon hier im Zimmer gelaufen?"
    "Ne."
    "Ich sehe mal zu, dass du eine Gehhilfe bekommst."
    "Sehhilfe?"
    "Keine Sehhilfe, eine Gehhilfe!"
    Krankenversicherung vor Jahren abgelaufen
    In Thailand bringen nach alter Sitte Verwandte den Kranken ihr Lieblingsessen mit. Bei Willi funktioniert das aber nicht: Seine Angehörigen leben weit weg in Deutschland, und sie haben seit acht Jahren nichts mehr von ihm gehört. Seine Frau will nichts mehr von ihm wissen, weil er damals einfach abgehauen ist: Richtung Sonne, Strand, jungen Frauen und starken, preiswerten Getränken. Damals war Willi noch fit und finanzstark. So hat er es zumindest seinen beiden Helfern erzählt.
    Wie alt er heute ist, weiß er gerade selber nicht genau. Im Zweifel jünger, als er aussieht: nämlich Mitte 60. Die Ärzte des Krankenhauses haben lebensgefährliche Herzprobleme festgestellt. Die Helfer können nur versuchen, Geld für einen Rückflug in einem normalen Touristen-Flugzeug aufzutreiben, und ihn dann schnell nach Deutschland zu verfrachten. Willis Krankenversicherung scheint bereits vor Jahren abgelaufen zu sein.
    Der Helfer Werner Kühnel hat mit dieser Szene nichts zu tun: Er wohnt dauerhaft in Pattaya, aber aus anderen Gründen als Willi: Er gehört zu den soliden Existenzen, die arbeiten oder in Ruhe ihre Pension ausgeben - im Stile von Mallorca-Rentnern. Kühnel lebt hier mit seiner Familie.
    Wenig Zeit für theologiosche Debatten
    "Meine Frau Bualoi ist ja Thai, sie ist hier zuhause. Wir sind eigentlich nach Pattaya gekommen wegen der Rund-um-Versorgung. Ob medizinische Versorgung, ob europäische Versorgung – das ist hier in Pattaya ja wegen des vielen Tourismus gegeben. Landschaftlich wäre ich lieber in den Norden oder in den Osten gegangen, aber da hat Bualoi mir abgeraten. Da hat sie gesagt: Das ist nichts für dich, einen Farang."
    "Farang" werden in Thailand die Ausländer genannt.
    "Allein - allein wäre ich nicht hier in Thailand. Da bin ich ganz ehrlich. Erst mal die Sprache kann ich nicht. Und die Mentalität der Thais ist oft sehr schwer zu verstehen, sage ich mal. Alleine kommt man hier schnell unter die Räder. Das ist hier so."
    Wagner und Kühnel fahren vom Krankenhaus zum Evangelischen Begegnungszentrum. In Deutschland organisierte Wagner Dialoge zwischen Christen und Buddhisten. Das hat ihn neugierig gemacht: Deshalb nahm er gleich das Angebot seiner Kirche an, nach Pattaya zu gehen. Für theologische Debatten hat er hier allerdings weniger Zeit.
    "Was Pattaya gegenwärtig eigentlich bedeutet, das habe ich eigentlich noch gar nicht richtig herausgefunden. Es ist ja nicht einfach ein Stück Thailand, sondern es ist etwas Multikulturelles. Manche sagen, hier trifft sich der Abschaum der Welt. Das ist ganz negativ. Manche sagen, hier treffen sich interessante Leute. Als ich hierherkam, hatte ich im Blick, dass mir gesagt wurde: Hier sind viele ältere Deutsche mit, wie hieß es da, mit gebrochenen Biografien oder irgend so etwas ähnlichem. Also die einfach Seelsorge brauchen."
    Ein Bürotisch dient als Altar
    Das Begegnungszentrum ist ein thailändischer Profanbau im Stile eines Parkhausdecks: Boden, Decke und Stützpfeiler sind aus Beton. An zwei Seiten fehlen die Wände, damit ordentlich Luft hereinkommt. Nachts werden Stahlgitter heruntergelassen, um Diebe und Straßenhunde draußen zu halten. Aushänge für Selbsthilfegruppen richten sich an Menschen mit psychologischen Problemen oder Raucherlunge. Im hinteren Teil liegt hinter abgedunkelten Scheiben ein klimatisierter Gebetsraum: Ein Bürotisch dient dort als Altar, über ihm hängt ein großes Kreuz. In Aushängen stellt Pfarrer Wagner das Zentrum als Treffpunkt für "Menschen gleich welchen Glaubens oder Unglaubens" vor.
    Nun kommt ein bärtiger Herr mit rotem Gesicht und einem gewaltigen Bierbauch herein. Er legt sein Smartphone auf einen Tisch. Dessen Bildschirm zeigt ein Foto einer jungen Thai in einer weißen Bluse. Der Herr ist Deutscher und über 60 Jahre alt. Pfarrer Wagner hat ihm schon erzählt, dass wir gerade von Willi kommen.
    "Es gibt hier Tausende, ich sag mal, Penner, die nie mehr zurückfliegen können, weil sie dafür das Geld nicht mehr haben. Die haben sogar einen Geheimcode. Wenn Sie irgendwo einen Luftballon aufgeblasen sehen, dann wissen Sie: Aha, da hat jemand Geburtstag. Da ist ein Fest. Dann gibt es meistens Grill, ein Buffet. Und dann über Handy rufen die die anderen an: Hier ist was los. Deshalb sind die Lokale dazu übergegangen: Die machen es erst später um 8 oder 9 Uhr. Dann sind die Meisten auch schon betrunken. Und kommen gar nicht erst hin, ja. Aber das ist ein arges Problem hier, leider."
    Der Herr stellt sich vor*: Er komme aus Bielefeld und Pattaya. Im Hintergrund nervt nun Baulärm: Zwischen dem Kirchenzentrum, dem deutschen Restaurant "Marburg" und einer angeblich "Deutschen Sauna" wird ein neuer Biergarten gebaut. Er zeigt eine ganze Fotosammlung junger Frauen: Eroberungen der letzten Monate. Er ist ein Pattaya-Veteran, und stolz darauf:
    "Das ist der größte Puff der Welt"
    "Ich kenne nun Pattaya schon sehr, sehr lange, schon Jahrzehnte. Das war mal ein nettes Fischerdorf, bis die Amerikaner hierherkamen und die haben das als Freizeitstützpunkt genutzt. Und haben aus dem Fischer-Dörfchen ein kleines Bordell gemacht. Die letzten Amerikaner habe ich noch mit verabschiedet. Und dann habe ich Pattaya wachsen sehen. Aus einem Dörfchen mit 5.000 Menschen ist eine Millionenstadt geworden. Wo ich wirklich blindlings sagen kann: Das ist der größte Puff der Welt. Hier läuft halt alles herum."
    Eine Millionenstadt ist Pattaya nicht wirklich: Bei einer letzten Volkszählung wurden 2007 nur 100.000 Einwohner ermittelt. Aber thailändische Behörden kalkulieren bereits mit mehr als 300.000 Einwohnern, Experten mit mehr als einer halben Million Menschen, die permanent oder zumindest länger in Pattaya wohnen. Den genauen Überblick haben wohl alle längst verloren - während Pattayas rasantem Aufstieg zum "internationalen Badeort", wie die Stadt in Prospekten genannt wird. Mein Gesprächspartner redet lieber Klartext:
    "Hier diese Open Air-Bars, in dieser Masse gibt es nirgendwo auf der Welt. Das ist für den Touristen, vor allem für den Sextouristen, natürlich sehr bequem. Du gehst über die Straße, guckst in die Bars herein: Ach, da sind ein paar nette Mädchen, da setze ich mich mal hin. Nach dem dritten Bier sind sie sowieso alle schön. Und da bleiben sie dann sitzen und nehmen sich ein Mädchen mit, wenn sie denn will. Denn eine Thai muss auch zustimmen, sonst passiert nichts."
    St.Pauli mal Hundert
    Während er schwadroniert, schicke ich vorsichtshalber eine SMS, um den Treffpunkt für meine nächste Verabredung zu verlegen: Denn meine nächste Interviewpartnerin könnte Reißaus nehmen, falls sie sogleich auf diesen Herrn treffen würde. Stattdessen mache ich mich selbst auf den Weg zu dem kirchlichen Orden der "Guten Hirtinnen".
    Dort arbeiten neben einheimischen Nonnen auch internationale Helferinnen - unter ihnen Freiwillige des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Die jungen Frauen kümmern sich um Barmädchen. Bevor ich bei ihnen ankomme, eilen mir schon vier junge Europäerinnen entgegen. In T-Shirts, Shorts und Badelatschen sind sie auf dem Weg zu ihrem nächsten Einsatz an der Walking Street, der Fußgängerzone. Dort liegt das größte Rotlichtviertel von ganz Pattaya, und das will etwas heißen: unzählige Bars, Massagesalons und Stundenhotels – St. Pauli mal Hundert, sozusagen. Claudia Wülbeck, eine Freiwillige aus Backnang, erklärt, was die jungen Frauen vorhaben:
    "Wir gehen jetzt in die Bars und verteilen kleine Handzettel. Und dann noch größere Flyer, wo das genau beschrieben ist. Das ist eigentlich alles. - Und was ist es genau, was Sie anbieten? – Eine Schule, ein Zentrum, wo die Frauen Massage, Friseuse, Englisch, Deutsch und Thai lernen können. Sie müssen einen kleinen Betrag am Anfang zahlen und dann ist es kostenlos. Manchmal sind sie noch ein bisschen verschlossen und sagen: Nein, nein, wir wollen nicht. Aber dann, wenn man es genauer erklärt, nehmen sie den Zettel meistens. Aber ob sie darauf reagieren, wissen wir dann natürlich nicht."
    Frauen sollen sich verständigen können
    In Pattaya sind die meisten Menschen mit dem "Baht-Taxi" unterwegs: Das sind Pick-ups mit Sitzbänken, die die Hauptstraßen abfahren. Sie halten auf ein Zeichen, man fährt mit, solange die Richtung stimmt und zahlt zum Schluss pauschal 30 Cents dafür. Eine Fahrt im Baht-Taxi kann zum Erlebnis werden, weil hier sehr verschiedene Menschen aufeinander treffen: Familien, Betrunkene, Prostituierte, Rucksacktouristen, Hotel-Angestellte, Transvestiten und "Ladyboys“. "Ladyboys" sind Männer, die sich gekonnt als Frauen verkleiden und schon vielen Alleinreisenden eine faustdicke Überraschung beschert haben. Nun fahren auch die katholischen Freiwilligen mit. Sie werden von einer einheimischen, sprachkundigen Nonne begleitet.
    "Unser Ziel ist es praktisch, die Frauen dahingehend zu stärken, dass sie sich in einer Beziehung mit einem Deutschen verständigen können. Weil ein Deutscher nicht unbedingt Thai spricht und die Thai-Frauen eben auch nicht Deutsch. Und wenn sie dann wenigstens miteinander sprechen können, dann können die Frauen auch mal sagen: Nein, ich möchte das nicht. Es gibt dem Ganzen einen ein wenig menschlicheren Umgang, finde ich. Und nebenbei versuchen wir natürlich auch, unsere Frauen ein bisschen zu stärken, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein zu geben. Hier gibt es auch viele deutsche Restaurants oder Hotels, wo man englisch- oder deutschsprachige Kräfte gebrauchen kann. Und das wäre zum Beispiel so eine Jobalternative."
    Bars werden zur Geldwäsche genutzt
    Ob man’s glaubt oder nicht: Prostitution ist in Thailand offiziell verboten. Daher sind einschlägige Betriebe als Cafés, Restaurants und Gesundheits-Institute registriert. Deshalb erheben die Helferinnen für ihre Arbeit eine eigene Statistik: Bald haben sie 25 Bars sowie ein Dutzend Massagesalons notiert und über hundert Bar-Frauen angesprochen. Es ist etwa 19 Uhr. Pro Bar warten meist etwa zehn Frauen auf Gäste. Doch zu dieser Stunde sind bloß wenige Ausländer unterwegs: Nur hier und da nippt einer an einem Bier. Viele Bars sollen von reichen Thailändern vor allem zur Geldwäsche genutzt werden. Hier arbeitet zurzeit kein Barbesitzer mit Gewinn: Es werden kaum Getränke verkauft. Viel wichtiger für das geschäftliche Kalkül ist ohnehin die Prostitution. Wenn ein Gast mit einer Frau gehen will, muss er der Bar eine Prämie zahlen: meist etwa 13 Euro, weil die Frau dann keine anderen Gäste mehr animieren kann in dieser Nacht. Und für die Bar-Damen sind Prämien für verkaufte Getränke ebenfalls nur Peanuts: Wenn sie ernsthaft verdienen wollen, müssen sie sich selbst verkaufen. Eine der vier Helferinnen, eine junge Dänin, stößt auf einen unwirschen englischen Gast.
    "You think this should not be said? I think so. What is good about prostitution? – This is not prostitution - It is not? So what is prostitution for you?"
    "Ich habe ihn gefragt, ob er Prostitution gut findet und er sagt, die Bar habe mit Prostitution nichts zu tun. Und die Frauen müssten ja nicht hier sitzen. Da habe ich gefragt: Glauben Sie wirklich, dass die Frauen das freiwillig machen? Ich bin so enttäuscht von den europäischen Männern. Wir sind alle geschockt, wenn wir hier 25-jährige Jungens antreffen. Die meisten Gäste sind aber zwischen 40 und 60 Jahre alt. Für die Barmädchen ist das alt. Denn die sind gerade mal um die 20, wie ich. Aber ich bin sehr froh, dass ich in meinem Leben andere Optionen habe."
    Hoffen auf einen Job im Friseurladen
    Das Personal zu interviewen, erweist sich als unmöglich: Die Barfrauen versuchen lieber, die wenigen Passanten in ihr Lokal zu zerren. Außerdem ist das Thema Prostitution in Thailand tabu. Deshalb bitte ich die begleitende Nonne, später in ihrem Zentrum Kurs-Teilnehmerinnen auf ein Interview anzusprechen.
    Am nächsten Morgen sind auch die erst zurückhaltend - obwohl sie schon seit Monaten zu den Kursen der "Guten Hirtinnen" kommen. Schließlich erklären sich zwei Frauen zu einem Gespräch bereit. Beide wirken, als wären sie etwa Mitte 30. Nach dem genauen Alter oder gar den Namen zu fragen, wäre jetzt sehr unhöflich.
    "Ich möchte keineswegs mein ganzes Leben in Pattaya bleiben. Ich will zurück in meine Heimatstadt und dort anwenden, was ich hier im Zentrum lerne: als Friseuse arbeiten, traditionelle Thai-Massage anbieten und Gemüse anbauen für meine Familie. Wir bekommen hier auch gute Ratschläge, wie wir unsere Gesundheit schützen können. Wir möchten nur, dass unsere Familien glücklich und friedlich leben können."
    Der "Gesundheitsschutz" im Bar-Gewerbe meint gewöhnlich Kondome. Und ältere Barfrauen wechseln später oft in Massagesalons, in denen klassische Massagen angeboten werden - oder in normale Friseurläden, wo sie anspruchsvollen Kundinnen die Haare schneiden.
    Das preiswerte Leben lockt
    "Meine Eltern sind Farmer. Ich bin aus unserem Dorf zuerst nach Bangkok umgezogen und habe dort in einer Fabrik für Auto-Ersatzteile gearbeitet. Dann hat meine Schwester einen Ausländer geheiratet. Da meinte sie, dass ich in der Fabrik nicht genug verdienen würde, um unsere Eltern zu ernähren. Sie meinte, ich solle zu ihr nach Pattaya kommen. Unsere Eltern wissen, dass wir in Pattaya sind."
    Beide Frauen kommen aus dem Nordosten, dem Issan. Im ärmsten Teil Thailands leben die meisten Menschen von der Landwirtschaft. Viele Familien können sich zwar ernähren, aber nicht am rasant wachsenden Konsum teilhaben. Und so schicken viele eine Tochter nach Bangkok oder Pattaya – um in einem Büro zu arbeiten, einer Fabrik oder eben in einer Bar, wo sie oft das meiste Geld verdienen können. Das Interview wird übersetzt von Oberschwester Anurak, die dabei bald ihre Stirn in Falten zieht.
    "Am besten kommen die Frauen gar nicht erst hierher. Wenn sie eine Ausbildung haben und ein Stück Land, können sie bleiben, wo sie sind. Die, die stattdessen hierher kommen, werden auf jede denkbare Weise missbraucht. Wir möchten ihnen helfen, unabhängiger zu werden."
    Das klappt in Einzelfällen. Doch in Pattaya werden sicher noch sehr lange junge Thai-Frauen auf deutsche Rentner treffen – auf Männer wie den bärtigen Herrn mit dem dicken Bauch:
    "Wenn ich jetzt mal auf den Pastor zurückkomme: Der ist jetzt hier herein in einen Sündenpfuhl (lacht) und muss jetzt erst einmal sondieren: Was kann ich hier tun, was ist meine Aufgabe? Hier Touristen zu bekehren, das kann er sich sowieso schon einmal abschminken."
    "Warum sind Sie hier?"
    "Weil es hier preiswert zum Leben ist. Und ich kann als älterer Mann mir eine 25-jährige Frau nehmen, die ich in Deutschland nie mehr kriege. Da müsste der Zufall eine Rolle spielen. Und der kommt nicht."
    (*Anmerkung der Redaktion: Den Gesprächspartner haben wir auf seine Bitte hin nachträglich anonymisiert.)