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Segelnde Spinnenarten
Achtbeiner ahoi

Während einer Forschungsreise bemerkte Charles Darwin einst Spinnen, die, an dünnen Fäden hängend, über den Ozean geflogen kamen und sich in den Schiffsmasten verfingen. Was der Forscher damals nicht wusste, haben nun britische Zoologen herausgefunden: Selbst wenn die Tiere ins Wasser fallen, ist ihre Reise noch nicht zu Ende - sie können auf dem Meer weitersegeln.

Von Lucian Haas | 03.07.2015
    Kleine Welle am Strand
    Wenn die an Fäden fliegenden Spinnen ins Meer fallen, haben sie - anders als bislang angenommen - durchaus noch gute Überlebenschancen: Dank eines Tricks. (Jan-Martin Altgeld)
    Es gibt kleine Spinnen, die fliegen können. Sie erzeugen extra einen dünnen Seidenfaden, damit dieser vom Wind erfasst werden kann. So werden sie fortgetragen. Ballooning nennen Fachleute diese Verbreitungsstrategie. Einige Spinnenarten können so Dutzende Kilometer durch die Lüfte zurücklegen und sich neue Lebensräume erobern. Manchmal fallen sie dabei allerdings auch ins Wasser. Bisher rechneten Biologen dann nur mit geringen Überlebenschancen für die Spinnen, wie Morito Hayashi berichtet.
    "Wenn die fliegenden Spinnen vom Wind aufs Wasser getrieben werden, dann ist das einfach ein unglückliches Ballooning. Es ist Pech, dass sie dann sterben."
    Diese Sichtweise war dem Zoologen vom Naturhistorischen Museum in London allerdings schon länger suspekt. Warum sollten die Spinnen ein so riskantes Verhalten wählen, fragte er sich. Immerhin sind rund 70 Prozent der Erde von Wasser bedeckt.
    "Ich habe deshalb Spinnen auf Wasser gesetzt und einfach drei, vier Tage lang beobachtet. Dabei zeigte sich, dass sie Fähigkeiten besitzen, sich auch auf dem Wasser mit der Kraft des Windes fortzubewegen."
    "Als ich das das erste Mal sah, konnte ich meinen Augen kaum trauen"
    Und das tun sie auf faszinierende Weise. Morito Hayashi untersuchte 20 Zwergspinnenarten und eine Kieferspinnenart. Dabei offenbarten alle getesteten Spinnen, die zum Ballooning fähig waren, auch Seefahrerqualitäten. Ihre Beine sind wasserabstoßend, sodass die kleinen Spinnen auf der Wasseroberfläche stehen können wie Wasserläufer. Kommt Wind auf, was der Forscher bei seinen Versuchen mit einem Ventilator simulierte, strecken die Spinnen zwei ihrer acht Beine wie Segel in die Höhe. So lassen sie sich ohne weitere Anstrengung einfach über das Wasser schieben. Manche knicken auch ihren Hinterleib nach oben und halten ihn in den Wind. Morito Hayashi bezeichnet diese Stellung als "upsidedown sailing".
    "Als ich das das erste Mal sah, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Das war wirklich verblüffend. Ich konnte gar nicht aufhören, ihnen zuzuschauen.
    Morito Hayashi beobachtete auch, dass einige der Spinnen auf dem Wasser einen langen Seidenfaden hinter sich herziehen. Der wirkt wie ein Treib-Anker. So können die Spinnen – je nach Länge des Fadens – beim Segeln ihre Geschwindigkeit anpassen und ihre Lage stabilisieren.
    "Die Spinnen können ziemlich lange auf dem Wasser überleben. Da das Segeln eine sehr energiesparende Form der Fortbewegung ist, könnten sie auf diese Weise recht große Distanzen zurücklegen."
    Bei neu entstandenen Inseln im Meer haben Forscher beobachtet, dass Spinnen häufig zu den ersten Landtieren gehören, die sich dort ansiedeln. Bisher galt immer das Ballooning als Erklärung dafür, wie die Spinnen das schaffen. Morito Hayashi geht allerdings davon aus, dass es eine Kombination von Luft- und Seefahrt ist, die die Achtbeiner dorthin bringt.
    "Eine Insel ist ja wie ein kleiner Punkt mitten im Meer. Selbst wenn Spinnen per Ballooning große Strecken fliegen können, müssten sie diesen Punkt genau treffen. Das ist sehr schwer. Das Segeln auf dem Wasser kann ihre Überlebenschancen erhöhen, wenn sie einfach nur im Umfeld der Insel niedergehen. Wenn man sich jetzt Seewindsysteme vorstellt, wo der Wind tagsüber vom Meer zum Land hin weht, haben die Spinnen vermutlich größere Chancen, an Land zu kommen."
    Das Meer kann freilich sehr aufgewühlt sein, von Stürmen gepeitscht. Inwieweit die fliegenden und segelnden Spinnen auch mit solchen Bedingungen zurechtkommen, wie gut sie zwischenzeitlich auch unter Wasser überleben können – das ist die nächste Frage, der Morito Hayashi nachgehen will.