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Sehnsucht nach Männlichkeit

Die wichtige Diskussion um die Erinnerung an Bombennächte und an das Kriegsende vor 60 Jahren verdeckt ein wenig, dass sich hinter dieser Debatte auch eine Tendenz verbirgt, deutsche Verbrechen und den Holocaust zu relativieren. Das zielt oft darauf ab, die Veränderungen nach 1945 und vor allem das, was mit 1968 verbunden wird, über Bord zu werfen. Dieser durchaus "gebildete" Diskurs der Neo-Konservativen kommt leise daher, mischt sich aber überall dort ein, wo es um Gleichheit und Aufklärung geht. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Gabriele Kämper hat jetzt versucht, diesem Diskurs in ihrem umfangreichen Buch "Die männliche Nation" auf die Spur zu kommen.

Von Thomas Kleinspehn | 13.06.2005
    Dafür hat sie sich den einflussreichen, von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebenen Sammelband "Die selbstbewusste Nation" aus den 90er Jahren vorgenommen. Dessen Ausgangspunkt war der Essay "Anschwellenden Bocksgesängen" von Botho Strauß. In ihm trafen bekannte Konservative wie Ernst Nolte, Hans Jürgen Syberberg oder Michael Wolffsohn überraschend mit Intellektuellen zusammen, die eher zum Mainstream des deutschen Feuilletons gehören, wie etwa der Philosoph Rüdiger Safranski. Gabriele Kämper will beweisen, dass sie alle aus dem gleichen Bodensatz schöpfen. Denn sie bedienen sich durchaus bekannter konservativer Denkmuster, in denen letztlich Ungleichheit von Menschen und Nationen propagiert wird. Doch die Autorin sieht darin noch mehr.

    "Meine Idee, das tatsächlich auf der Ebene von Geschlechterbildern zu analysieren, beruht zum einen auf meiner methodischen These, dass ich davon ausgehe, dass diese Texte ganz stark über Emotionalität funktioniere, dass sie sozusagen Attraktivität entwickeln, indem sie Menschen bei ihren Gefühlen und Emotionen ansprechen. Und dass diese Emotionen ganz stark von den Selbstbildern und Bildern der Menschen abhängen, die wiederum mit deren Geschlecht zu tun haben. [..] Ich habe das entwickelt aus der Lektüre der Texte, weil es mir doch ganz stark ins Auge gesprungen ist, wie stark die mit Geschlechterbildern arbeiten."

    Dieser Blick auf neo-konservative Texte enthält auf den ersten Anschein etwas sehr Plausibles. Doch fragt man sich bei der Lektüre, ob ihre geschlechtsspezifische Ausrichtung allein hinreichen kann, um den Neo-Konservativismus zu erfassen, der in sich auch sehr widersprüchlich ist. Für ihren Ansatz kann Gabriele Kämper durchaus auf Vorarbeiten zurückgreifen. Was vor Jahren der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit für die Phantasien der soldatischen Männer herausgearbeitet hat, verfolgt sie nun in den scheinbar modernen Texten aus der Gegenwart.

    " Da konnte ich wirklich auf Analysen zurückgreifen, dass diese Bilder von Körperpanzern, von starrer Körperlichkeit, von der Betonung von Grenzsetzung, von Grenzziehung, von Verhärtungen, von Unbeugsamkeiten, all diese Körperbilder ganz stark eine Tradition haben der Abwehr gegenüber das, was als weiblich konnotiert wird: alles weiche, aufgelöste, dumpfige, massige, sumpfige, da gibt es ein breites Feld an Metaphern und das wird beinahe schulmäßig abgerufen von den Autoren, die ich da untersucht habe. Und auf dieser Ebene funktionieren die Texte hervorragend, weil sie immer wieder jenseits dessen, womit sie sich gerade thematisch befassen, auf dieser Bildersprache eindeutig bleiben und jedes Thema quasi immer wieder in diese Bilder einbetten. "

    Gabriele Kämper befragt die neo-konservativen Texte nach den Bildern und Metaphern, die jenseits der eigentlichen Aussagen stecken. Dort entdeckt sie vor allem männliche Rhetorik. Sie zeige sich auch dann noch, wenn z.B. der Schiller-Biograph Rüdiger Safranski - durchaus in Übereinstimmung mit anderen Kulturkritikern - die Infantilisierung unserer Gesellschaft beklagt. Aus dieser Kritik folge jedoch bei ihm keine Gesellschaftskritik, sondern nur eine verächtliche Abwertung der "naiven" Massen, die er als verweichlicht, dekadent und auf Vergnügen ausgerichtet beschreibe. Safranski führe diese Verformung letztlich auf die Auflösung von Autorität in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition und auf deren verfehlte Ideale zurück, die bis heute in alle Bereiche der Gesellschaft hineinwirken. Als Gegenentwurf zur übersättigten und vergnügungssüchtigen postmodernen Gesellschaft schlichen sich auch bei Safranski Metaphern von Mannhaftigkeit, Kraft und väterlicher Potenz ein; Bilder, die seit den sechziger Jahren massiv in der Kritik standen und die nun im Rahmen der neuen intellektuellen Rechten wieder salonfähig werden, argumentiert die Autorin.

    " Wenn ich dann am Ende meiner Analyse ... dazu komme zu sagen, dass diese Texte im Grunde eine Sprache der Sehnsucht sprechen, die Sehnsucht nach einer glatteren, weniger brüchigen, nicht hinterfragten, nicht herausgeforderten Männlichkeit, die es eigentlich so nie gegeben hat, die aber als Utopia, als Phantasma dort beschworen wird. Man sagt ja, die kulturelle Moderne, wie wir sie erleben, stellt Männlichkeit ganz stark in Frage - durch Frauen, die im Berufsleben ihre Funktionen mehr oder weniger vehement einfordern durch Ideen von Gleichstellung, Lebensentwürfe, die nicht mehr dem patriarchalen Familienmodell entsprechen ... all das, was in diesen Bereich gehört, kann als eine Herausforderung verstanden werden für eine Männlichkeit, die sozusagen von alleine, unhinterfragt Überlegenheit für sich beansprucht. "

    In diesem männlichen Diskurs entdeckt die Berliner Literaturwissenschaftlerin eine antidemokratische Tendenz. So z.B. wenn behauptet werde, die Frauenbewegung strebe eine "anthropologische Neutralisierung" an, leugne also die Biologie. Das diene letztlich dazu, vorhandene Ungleichheit zu untermauern.

    " Das ist die Schlussfolgerung, die ich daraus ziehen, dass es jenseits dessen, was die Texte an sich sagen, quasi für die Gesellschaft Angebote macht, warum es richtig und gut und wünschenswert ist, von diesen Ideen der Gleichheit und Gleichberechtigung wieder wegzugehen und warum das andere Modell richtiger und schöner ist. Und das machen diese Texte aber nicht, indem sie politisch argumentieren, sondern ganz auf diese Sprache und Körperbildebene bezogen. "

    Darüber teilen sich Botschaften mit, die auf der expliziten Ebene eigentlich nicht konsensfähig sind. Versteckt hinter Metaphern und Bildern lasse sich aber auch heute gegen gesellschaftliche Aufklärung oder Gleichstellung argumentieren.

    " Auf der argumentativen Ebene würde das kein Mensch, der ernst genommen werden will, mehr sagen können. Das trauen sich ja nicht mehr Politiker dieser extremen Rechten, weil es nicht funktionieren würde. Aber es funktioniert auf dieser emotionalen Ebene und das hat damit zu tun, dass die Geschlechterverhältnisse – wahrscheinlich wie immer, aber z. Zt. in einer Krise sind. Es ist einfach ein hochemotionales Thema ... Meiner Meinung nach ist ein ganz wichtiger Teil, der ausgeblendet wird: was macht diese Ideologien eigentlich so attraktiv. "

    Selbst wenn man nicht jeder Verästelung von Gabriele Kämpers Interpretation folgen mag, und wenn man sich fragen kann, ob ihre Analyse an manchen Stellen zu stark auf die Geschlechterdimension allein fixiert ist, so liest sich ihr Buch doch mit viel Gewinn. Nach der Lektüre dürfte es schwer fallen, die neo-konservative Idylle weiterhin mit Kuscheleinheiten zu überziehen und zu verharmlosen.

    Die männliche Nation.
    Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten
    Von Gabriele Kämper
    (Böhlau Verlag).