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Seidenstraßen-Pläne
Italien reicht China die Hand

Italien will sich an dem sogenannten Seidenstraßen-Projekt beteiligen. Die Gefahr, dass Italien von der gigantischen Wirtschaftsmacht China überrollt wird, sieht Michele Geraci nicht. Er hat die neue Partnerschaft eingefädelt.

Von Jörg Seisselberg | 21.03.2019
Michele Geraci, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Italiens hält eine Rede am 1. Oktober 2019 in Rom auf einem Treffen der neu gegründeten "China Task Force".
Michele Geraci war als Investmentbanker in China tätig, bevor er 2018 nach Italien zurückkehrte und zum Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ernannt wurde. (imago/Cheng Tingting )
Von der Decke hängt ein Leuchter mit Lüstern, hinter dem geschwungenen Glasschreibtisch ein Ölgemälde mit historischem Küstenmotiv und draußen rauscht der Verkehr auf der Via Veneto. Hier, im Arbeitszimmer von Michele Geraci im vierten Stock des Wirtschaftsministeriums, ist das erdacht und ausgearbeitet worden, was die Partner Italiens in helle Aufregung versetzt: Die geplante italienisch-chinesische Absichtserklärung, mit der sich Rom der sogenannten Seidenstraßen-Initiative Pekings anschließt. Geraci nimmt die Bedenken unter anderem aus Berlin, Paris und London mit einem Lächeln zur Kenntnis:
"Die anderen befreundeten europäischen Staaten haben überhaupt keinen Grund zu befürchten, dass Italien ein Einfallstor für China sein kann, das dann genutzt wird, um auch in die anderen europäischen Staaten einzudringen."
Trotz der Beruhigungsversuche aus Rom sehen die europäischen Partner, aber auch Washington, die Gefahr, dass China im Rahmen der Seidenstraßen-Initiative wirtschaftliche Abhängigkeiten schafft, die Peking dann auch politisch nutzen. Italien, als bislang einziger Staat der G7, der Gruppe der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, ist nun bereit, China die Hand zu reichen bei dessen zentralem, weltweit angelegten Infrastrukturprojekt. Eingefädelt hat diesen spektakulären Deal Michele Geraci. Zehn Jahre lang war er als Investmentbanker in China tätig, schon damals warb er für wirtschaftliche Kooperation mit China. Vor einem Jahr ist der mit Lega-Führer Matteo Salvini befreundete Geraci nach Italien zurückgekehrt - und wurde von der neuen populistischen Koalition in Rom gleich auf den Stuhl des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium gespült. Seitdem verfolgt der fließend Mandarin sprechende und in Peking exzellent vernetzte Geraci ein klares Ziel:
"Ich bin zurückgekehrt, beseelt von der Idee, dass Italien seien Platz zurückerobert als wirtschaftlich bedeutendes Land. Nicht nur der Form nach, sondern in der Substanz."
Ein Wirtschaftsprofi unter politischen Neulingen
Italiens neue wirtschaftliche Kraft, so Geracis Plan, soll maßgeblich aus der Kooperation mit China kommen. Einen Plan, den Wirtschaftsprofi Geraci in einer Regierung, die mit vielen politischen Neulingen besetzt ist, in den vergangenen Monaten konsequent durchgesetzt hat - trotz der auch in Italien vorhandenen Bedenken. Der italienische EU-Parlamentspräsident Tajani von der Berlusconi-Partei Forza Italia beispielsweise sieht die Gefahr, dass Italien China die Tür öffnet und dann von der gigantischen Wirtschaftsmacht schnell dominiert wird:
"Wolltet ihr jemand Fremden im Haus haben, der euch alles wegkauft? Küche, Schlafzimmer, Möbel? Dann seid ihr sehr schnell Gäste im eigenen Haus. Ich finde das nicht richtig. Vor allem weil ich nicht dasselbe machen kann, wenn ich nach China gehe."
Aufholen bei Exporten nach China
Die Angst, dass mit dem geplanten Abkommen chinesische Unternehmen Häfen, wichtige Betriebe und vielleicht sogar die Telekommunikation in Italien aufkaufen, ist laut Geraci abwegig. Zum einen handele es sich beim Abkommen um eine Absichtserklärung, die Italien zu nichts verpflichte und China keine Rechte gebe. Zum anderen werde die Regierung in Rom ihr bestehendes Widerspruchsrecht bei allen strategisch wichtigen Investitionen beibehalten. Aber, sagt Geraci, natürlich hoffe Italien durch das Abkommen auf mehr wirtschaftliches Engagement aus China und umgekehrt auf mehr Exportchancen für italienische Unternehmen. Deutschland exportiere derzeit siebenmal mehr nach China als Italien, die kleine Schweiz immer noch doppelt so viel.
"Mit dem jetzigen Memorandum of understanding versuchen wir, verlorene Zeit aufzuholen. Die Deutschen haben das in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren sehr gut gemacht. Wir aber haben nicht mehr zehn Jahre Zeit. Was wir jetzt machen, ist ein Hilfsmittel zur Beschleunigung."
Ein Beschleunigungsprogramm made by Geraci. Chinas Präsident Xi wird nach der Unterzeichnung des Abkommens am Samstag - und das ist durchaus ungewöhnlich - noch einen Abstecher nach Palermo machen. Eine kleine Geste der Freundschaft. Denn dort ist Italiens Staatspräsident Mattarella zu Hause - und der Vater des Abkommens auf italienischer Seite, Michele Geraci.