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"Seine Sätze sind eigentlich anarchisch"

Das Münchner Residenztheater hat sich zwei nicht leicht konsumierbare Werke Jean Pauls vorgeknöpft und auf die Theaterbühne gebracht: "Flegeljahre" und "Der Komet". Dazu kommen gute Schauspieler und das richtige Gespür für das "Jean Paulige", meint Rosemarie Bölts.

Von Rosemarie Bölts | 22.03.2013
    Geburtstage sind eine schöne Gelegenheit zum Feste feiern, und das Bayerische Staatsschauspiel lässt es krachen. Vier Tage "Jean Paul", von oben, von unten, von innen und außen, von vorn bis hinten. Aber alles ganz anders, alles "lebendig", alles von heute, bloß nicht literaturhistorisch, wie es euphorisch aus dem Haus schallt.

    "Jean Paul - Jean Paul - Jean-Paul ... ."

    Und deshalb rauf mit dem 250-jährigen Geburtstagskind auf die Experimentierbühne des Residenztheaters, den rohen Marstall, wo gleich am ersten Abend, nein, nicht "wir sind Jean Paul", aber unter dem Titel: "wir sind ein Feuerwerk, das ein mächtiger Geist in verschiedenen Figuren abbrennt" fünfzehn Stadtschreiber, Musiker, Slam-Poeten, Dichter und Schauspieler zu "Express Brass Band" und "Convertible" rocken, bevor die "Party mit DJ Hell" dann richtig heiß wird. Aber muss man deshalb Jean Paul gleich "zum Kultautor im 21. Jahrhundert" ausrufen? Wenn man ihn als den größten neben Brecht und Büchner sieht, wie der Schriftsteller und Kurator des Festivals, Albert Ostermaier, wohl schon. Schließlich war es auch seine Idee, Jean Paul aus der Versenkung zu holen:

    "Seine Sätze sind eigentlich anarchisch, sie sind wild, er ist eigentlich ein Autor gerade für unser Internet-Zeitalter, weil man ihn auf vielen Ebenen lesen kann. Man muss ihn nicht chronologisch lesen, man kann einsteigen, in verschiedenen Schwierigkeitsgraden, er ist immer seiner Zeit voraus, er ist verunsichernd, er ist provokativ, er ist witzig, er ist erzählerisch, er ist lexikalisch."

    Das Unbekümmerte von schwer Vereinbarem in seiner zusammengeschriebenen Welt, diese verschwurbelte Sprache, mit philosophisch traktierten und gleichwohl spöttischen Spitzen scheint heute wieder "hoch modern". Frei nach dem Motto: verschroben? umso besser! Zumindest einige Kostproben aus "Johann Paul Friedrich Richters Konjektural-kuriositätenkabinett" gab es dann doch zu Beginn, ziemlich werktreu, nämlich als"Prolog", gelesen von Birgit Minichmayr:

    "Wenn jeder von uns etwas Verdrehtes an sich hätte, und wenn zum Beispiel hätte, und wenn der eine statt der Nase einen Fuchsschwanz trüge, oder der andere einen Zopf unter dem Kinn, oder der Dritte Adlerfänge, oder der vierte ordentlich, nicht etwa abgenutzte, mythologische Eselsohren. Ich, für meine Sippe, darf ich wohl bekennen, ginge mit Jauchzen zu einer missgeborenen Knappschaft und Mannschaft an der Spitze als Flügelmann und monströses Muster, und würde Gott danken, wenn ich nicht wäre wie andere Leute."

    Bleibt die Frage aller Fragen zu diesem "ausdenfugengeratenen" Mammutwerk: Wozu ist das für eine Theaterbühne gut? Immerhin hat man für dieses Festival auch noch aus zwei der wirklich nicht leicht konsumierbaren Romane veritable Theaterstücke inszeniert, "Flegeljahre" und "Der Komet". Und, natürlich gibt man es nicht offen zu, aber eigentlich möchte man mit diesem Festival neben dem Bildungsbürger-Publikum aus dem Jean-Paul-Lesezirkel-Alter auch die Jüngeren für die schon von Schiller und Goethe beneidete Sprachvirtuosität begeistern. Die Antwort ist ganz einfach: 1. Man braucht richtig gute Schauspieler, die das Residenztheater haufenweise hat, weil es mit dem Selberlesen zu viel Arbeit bedeutet. 2. Man lässt junge Regisseure, bislang Regieassistenten, mit dem richtigen Gespür für das Jean-Paulige ran. Und dann, so Albert Ostermaier, macht Jean Paul wirklich Spaß:

    "Er ist jemand, der selbst eigentlich ein Sprachkunstwerk ist und auch ein Sprachkörper. Und Schauspieler sind die schönsten Sprachkörper, die wir haben. Theater ist nichts anderes als Text und Körper, Sprache. Man muss natürlich wieder lernen, zu hören und zuzuhören."