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Seine Sicht der Dinge

Es sollte wohl das Sportbuch des Jahres werden. Doch Theo Zwanzigers Autobiografie rief teils harsche Kritik hervor. Das Buch sei indiskret, ein Nachtreten, Selbstdarstellung. Zwanziger hat die Chance verpasst wirkliche Neuigkeiten zu präsentieren und schreibt stattdessen von seinen Lieblingsprojekten als DFB-Präsident.

Von Moritz Küpper | 29.12.2012
    Was ist nicht alles geredet worden, über diese, die "Zwanziger Jahre" in Buchform:

    "Dass Theo Zwanziger kein guter Präsident ist, wusste ich schon lange. Dieses Buch wird, nach seinem mehr als peinlichen Rücktritt, ihn endgültig in die Isolation treiben. Mehr ist dazu nicht zu sagen."

    "Ich weiß nicht, warum man diese Dinge überhaupt mitteilt. Weil, es sind ja am Ende des Tages auch Indiskretionen und ich sage, ein DFB-Präsident muss auch stil- und niveauvoll mit seinen Indiskretionen oder Diskretionen umgehen und sollte sie nicht unbedingt dann so der Öffentlichkeit gut tun."

    "Also, ich kenn’ jetzt nicht Inhalte im Detail. Und ich werde es auch nicht lesen, um ehrlich zu sein."

    Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern München, der Vorstandsvorsitzende der Bayern, Karl-Heinz Rummenigge oder als Letzter, der ehemalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Sie alle haben eine eindeutige Meinung: Theo Zwanzigers Buch, das er mit Stefan Kieffer, Sportredakteur bei Zwanzigers Heimatzeitung, der "Rhein-Zeitung", geschrieben hat, ist kein Gewinn. Sondern: Indiskret, ein Nachtreten, Selbstdarstellung.

    Das sind die Vorwürfe, die wohl der gesamte deutsche Fußball dem ehemaligen DFB-Präsidenten macht. Das alles, es könnte für ein spannendes Buch sprechen, wie beispielsweise Toni Schumachers Werk "Anpfiff", in dem der ehemalige Nationaltorhüter einst Dopingpraktiken im Fußball öffentlich machte und dafür vom Establishment geächtet und aus der Nationalmannschaft geworfen wurde. Doch, um es kurz zu machen: Wirkliche Enthüllungen bieten "Die Zwanziger Jahre" nicht.

    Denn die Indiskretionen beschränken sich auf einen Klogang mit Gerhard Mayer-Vorfelder und Franz Beckenbauer sowie Gedankenspiele um eine Ablösung von Bundestrainer Jürgen Klinsmann vor der letztlich erfolgreichen WM 2006. Gekoppelt mit einer Exklusiv-Vereinbarung mit der "BILD"-Zeitung entstand daraus der übliche Medien-Hype.

    "Man weiß ja, wie es gemacht wird, dass man dann Sequenzen oder auch Satzstücke raus nimmt und dann eine Schlagzeile darüber macht. Das ist nun mal so. Aber das muss man wissen. Wenn man ein Buch schreibt, dann muss man halt wissen, was das Ergebnis sein wird."

    Sagt Franz Beckenbauer, ebenfalls "BILD"-Kolumnist, zum Zwanziger-Buch. Selbst fühlt sich Zwanziger allerdings missverstanden. Bei der Buchvorstellung, Anfang November in Berlin, bei der Günter Netzer wegen der schon begonnenen Boulevard-Schlacht abgesagt hatte, meinte Zwanziger:

    "Es ist halt so, wenn ein öffentlicher Eindruck erweckt wird, als sei dieses Buch in der Tat nicht das, was ich selbst damit verbinde, nämlich eine Liebesklärung an den Fußball, sondern sei ein Abrechnungsbuch und ein Buch, indem Indiskretionen nach draußen getragen werden und was ist da alles für ein Quatsch geschrieben worden."

    Dabei hätte genau einer wissen können, was passiert: Theo Zwanziger. Denn vor gerade einmal 16 Monaten hatte Nationalmannschaftskapitän Philipp Lahm sein Buch "Der feine Unterschied: Wie man heute Spitzenfußballer wird" – auch mit exklusivem Vorabdrucksrecht veröffentlicht und darin unter anderem Kritik am ehemaligen Nationaltrainer Rudi Völler geübt. Zwanziger ließ damals in einer DFB-Stellungnahme mitteilen:

    "Unsere Nationalspieler müssen sich ihrer besonderen Verantwortung in der Öffentlichkeit bewusst sein. Philipp hat für mich den Fehler gemacht, dass er die durch die Vorab-Veröffentlichung seines Buches entstehende Eigendynamik und mögliche Interpretationen nicht richtig eingeschätzt hat."

    Es sind genau solche Hintergründe, die mehr über Theo Zwanziger aussagen als seine Autobiographie. Zwar schildert der ehemalige DFB-Präsident, der als Mann der Amateure ins Amt gekommen war, sehr anschaulich seinen Werdegang: Die Jugend im Westerwald, die Zeit in der Politik, das Kennenlernen des ehemaligen DFB-Präsidenten und späteren Mentors, Egidius Braun.

    Das Buch ist in einem sachlichen Ton verfasst und gut zu lesen. Es hat seine Stärken darin, dass Zwanziger sein Engagement abseits des Rasens schildert. "Der Kampf für Integration und Fair Play: Mein Kerngeschäft", heißt ein Kapitel. Und später ist in voller Länge beispielsweise seine beeindruckende Rede bei der Trauerfeier für Robert Enke abgedruckt, der sich das Leben genommen hatte.

    Es war wohl Zwanzigers stärkster Moment seiner Amtszeit – und auch im Buch ist dieses Kapitel interessant. Doch wie in der zweiten Hälfte seiner Präsidentschaft, in der es eher bergab ging, verpasst es Zwanziger auch in seiner Autobiographie, die Episoden von damals aufzuarbeiten: Gelingt es bei dem öffentlichkeitswirksamen Streit vor Gericht mit einem Journalisten noch teilweise, so geht er auf die Hintergründe rund um die Schiedsrichter-Affäre mit dem damaligen Obmann Manfred Amerell, das Management beim Selbstmordversuch des Schiedsrichters Babak Rafati sowie den teilweise skandalumtosten Umgang mit der A-Nationalmannschaft nur oberflächlich ein.

    Stattdessen – und hier lässt das Buch tief blicken – schildert er andere Punkte im Detail, beispielsweise bei der Kokain-Affäre des Beinah-Bundestrainers Christoph Daum, die Anfang der 2000er-Jahre Schlagzeilen machte. Über dessen Aufarbeitung, schreibt Zwanziger:

    "Als die Staatsanwaltschaft in Koblenz ein Verfahren gegen ihn eingeleitet hatte, suchte er bei mir Rat, denn ich hatte immer noch gute Kontakte in die entsprechenden Justizkreise und kannte den Vorsitzenden Richter wie auch den Staatsanwalt in Koblenz. Ich traf mich mit ihm an der Autobahnraststätte in Montabaur, und wir führten während eines langen Spaziergangs ein intensives Gespräch."

    Selbstgefällig und – für einen ehemaligen Landtagsabgeordneten aus Rheinland-Pfalz und Koblenzer Regierungspräsidenten – erschreckend ignorant gegenüber der Souveränität der einzelnen Institutionen: Zwanziger gefällt sich in seiner Macht – und hat kein Unrechtsbewusstsein. Das passt ins Bild: Zwanziger kritisiert in seinem Buch Journalisten und Kritiker, hier in erster Linie den damaligen Manager des FC Bayern, Uli Hoeneß, und hatte doch selbst während seiner Amtszeit wenig übrig für andere Meinungen.

    Und so sind "Die Zwanziger Jahre" der Versuch eines Sportfunktionärs, die Geschichtsschreibung mit zu gestalten. Seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Das ist legitim. Doch das Ergebnis ist entlarvend: Theo Zwanziger war – vor allem zum Ende seiner Amtszeit – etwas, was er nie sein wollte: ein typischer Sportfunktionär, der Funktionen vermengt und sich selbst mehr als die Sache in den Mittelpunkte stellte.

    Und – Ironie des Schicksals – das Sportbuch 2012 sind die "Zwanziger Jahre" nun auch nicht geworden. Eine einzige Woche lang stand das Buch in der "Spiegel"-Bestseller-Liste, Anfang November auf Platz 15. Wochenlang hielt sich dagegen das Buch des Sportjournalisten Thomas Kistner in den oberen Verkaufsrängen. Sein Werk "FIFA Mafia" beschäftigt sich mit der Korruption im Fußball-Weltverband, dessen Exekutiv Komitee-Mitglied im übrigen auch Theo Zwanziger ist. Auch er hat sich in seinem Buch mit der FIFA und deren skandalumtostem Präsidenten Sepp Blatter beschäftigt:

    "Nach meinem ersten Jahr im FIFA-Exekutiv-Komitee und den bisherigen Ergebnissen des Reformprozesses kann ich feststellen: Es war richtig, auf Sepp Blatter und seinen Reformwillen zu setzen."

    Die Leser – so scheint es angesichts der Verkaufszahlen – erwarten mittlerweile eher andere Sätze.

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    Theo Zwanziger (mit Stefan Kieffer): Die Zwanziger Jahre. Die Autobiographie
    Bloomsbury Verlag, Berlin
    335 Seiten, 19, 90 Euro
    ISBN: 978-3827011145