Freitag, 19. April 2024

Archiv

Seismologie
Sensoren zeichnen Vorboten eines Erdbebens auf

Seismologie. - Erdbeben sind nicht vorhersagbar, ihr Zeitpunkt ist daher unerwartet. Dennoch gibt es im Untergrund Vorbereitungen, die man mit hochmodernen Messnetzen beobachten kann. Bei dem schweren Beben, das am 1. April 2014 die nordchilenische Hafenstadt Iquique traf, ist das in bislang einmaliger Präzision gelungen. In "Science" berichten Seismologen über die Entstehung des Bebens mit Magnitude 8,2.

Von Dagmar Röhrlich | 25.07.2014
    Kinder sitzen im Vordergrund vor einem Zelt und blicken über Ziegel- und Wellblechhütten auf Hochhäuser im Hintergrund.
    In Iquique, Nordchile, ereignete sich am 1. April 2014 nach über 130 Jahren ein schweres Erdbeben. (picture alliance/dpa)
    1877 hatte das letzte sehr schwere Erdbeben im nordchilenischen Iquique erschüttert. Seit damals war es dort vergleichsweise ruhig geblieben, so dass die Seismologen bereits auf das nächste große Ereignis warteten. Schließlich sinkt knapp vor der Küste Iquiques die pazifische Meereskrustenplatte mit 65 Millimeter pro Jahr unter die Südamerikanische Kontinentalplatte: An dieser Subduktionszone sollte sich also das Potenzial für ein neuerliches Starkbeben aufgebaut haben:
    "Deshalb haben wir die Region seit 2007 mit einem modernen Netzwerk aus Seismometern und GPS-Stationen überwacht. So konnten wir die Bodenbewegungen vor und während des Erdbebens vom 1. April 2014 genau verfolgen. Diese Daten sind ein Traum für uns Seismologen."
    Denn sie erlaubten erstmals, das Entstehen eines starken Bebens nachzuvollziehen: also zu sehen, wie sich die lange Zeit ineinander verhakten tektonischen Platten voneinander lösten, erklärt Raul Madariaga von der Universität École Normale Supérieure in Paris:
    "Sobald das Netzwerk lief, beobachteten wir an der Subduktionszone vor Iquique eine unerwartete Aktivität in Form von Schwärmen kleiner Erdbeben. Weil wir erst seit 2007 messen, wissen wir nicht, wann diese Schwärme eingesetzt haben, aber wir sahen, dass sie in einem Gebiet auftraten, um dann zu verschwinden und an anderer Stelle wieder einzusetzen. Das war der Anfang."
    Im Juli 2013 erhöhte sich die Aktivität: Ein erster Schwarm von stärkeren Beben der Magnitude 5 setzte ein. Im Lauf der darauffolgenden Monate folgten weitere Schwärme, auch mit Beben vergleichbarer Magnitude:
    "Zwei Wochen vor dem Hauptbeben ereignete sich dann ein Vorbeben der Stärke 6,7. Von da an verlagerten sich die Bebenschwärme in das Gebiet hinein, wo am 1. April das Hauptbeben entstehen sollte. Durch das seismische Netzwerk konnten wir also die Vorbereitung zu diesem großen Erdbeben verfolgen - und zwar in Echtzeit."
    Stille Beben als Vorboten
    Die Bebenschwärme waren nicht das einzige Signal, mit dem sich das Ereignis vom 1. April ankündigte. Auch den inzwischen ausgewerteten GPS-Daten zufolge "braute" sich in der Erdkruste etwas zusammen: Denn sie zeigen, dass die Vorbereitungsphase von einem sogenannten Stillen Erdbeben begleitet wurde. Dabei entladen sich tektonische Spannungen nicht ruckartig, sondern erschütterungslos über Tage und Wochen hinweg.
    "Nach dem großen Vorbeben der Stärke 6,7 beschleunigten sich die Bewegungen des Stillen Erdbebens. Wir sehen also, wie an der Subduktionszone der Zusammenhalt zwischen beiden Erdkrustenplatten nachlässt."
    Anders jedoch als die Bebenschwärme, die sich langsam auf den Bereich zubewegten, wo am 1. April das Hauptereignis beginnen sollte, lief dieses Stille Erdbeben die ganze Zeit im Zentrum des Geschehens ab. Und so urteilt Raul Madariaga:
    "Ein Erdbeben entsteht nicht aus dem Nichts, sondern es muss Vorbereitungen geben. Das Problem ist, diese Phase zu erkennen, und nun haben wir sehr gute Daten, die das beweisen."
    Trotzdem seien Erdbeben immer noch nicht vorhersagbar, urteilt Raul Madariaga: Nicht jedes Erdbeben werde von so deutlichen Vorbeben begleitet, und nicht auf jedes Magnitude 5 Erdbeben folge ein großes Ereignis. Die Daten von Iquique bedeuteten jedoch einen großen Schritt vorwärts. Und weil immer mehr Subduktionszonen mit Hightech-Netzwerken ausgerüstet werden, hoffen die Seismologen auf weitere Daten, die ihnen beim Enträtseln der Erdbeben helfen.