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Selbsternannte Menschenrechtskrieger

Der Sudan ist nun offiziell ein geteiltes Land. Doch die Konflikte halten an: Weder die UNO noch die Hilfsorganisationen sind in der Lage, die Brandherde zu löschen. Und gerade diese Missionen nimmt der indische Historiker Mahmood Mamdani in "Blinde Retter" ins Visier.

Von Helge Buttkereit | 18.07.2011
    Im Dezember 2006 machte eine prominent besetzte Delegation ihre Aufwartung im New Yorker UN-Hauptquartier. Angeführt von Schauspieler George Clooney warb sie für eine UN-Intervention im westsudanesischen Darfur:

    "Wir sind nicht nur als besorgte Bürger hier, sondern als Zeugen der Zerstörung im Sudan. Die Situation wird dort jeden Tag schlimmer, 2,5 Millionen Flüchtlinge, fast ohne jede Hilfe, ohne Schutz und ohne Hoffnung. Sie sind allein. Die Helfer verlassen das Land oder werden rausgeschmissen, und die Menschen im Sudan können nur zusehen, wie in ihrer Familie einer nach dem anderen stirbt."

    Nach Worten des indischen Politikprofessors Mahmood Mamdani handelt es sich bei der Save-Darfur-Kampagne um die größte außerparlamentarische Protestbewegung in den Vereinigten Staaten seit den 1960er-Jahren. Clooney & Co. kann man allerdings mit dem Titel von Mamdanis neuem Buch als "blinde Retter" bezeichnen. Mamdani, der vor seiner Berufung nach New York an mehreren afrikanischen Universitäten lehrte, thematisiert in seinem Buch den historischen und politischen Konflikt im Sudan und kritisiert die Darfur-Kampagne scharf. Im Westsudan fanden zunächst 1987 bis 1989 und nach dem Scheitern diverser Friedenspläne ab 2003 blutige Bürgerkriege statt, das sei richtig, schreibt er. Die Kampfhandlungen eskalierten dabei nach 2003 und wurden von beiden Seiten, den Rebellen mit Land und den vor allem von der sudanesischen Regierung unterstützten Nomaden und bewaffneten Banden, erbittert und mit vielen zivilen Opfern geführt. Der Vorwurf des Völkermords mit dem Ziel einer Militärinvasion stütze sich aber auf die Unwissenheit der Menschen, argumentiert Mamdani. Was aber sind die Hintergründe des Konflikts? Dieser Frage geht Mamdani im größten Teil seines neuen Buches detailliert nach. Er geht weit in die Geschichte zurück und erklärt, warum die Trennung in Araber und Afrikaner bei Weitem nicht so klar ist, wie dies heute im Westen erscheint. Denn die Unterscheidung zwischen den beiden ethnischen Gruppen, die nach der oberflächlichen Darstellung in Darfur gegeneinander kämpfen, stammt von der englischen Kolonialverwaltung. Dabei gehe es im Darfur nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern um einen Kampf ums Dar, also das Land, so der Autor.

    "Der ethnische Konflikt in Darfur entwickelte sich entlang zweier Achsen: Auf einer Nord-Süd-Achse kämpften die Kamelnomaden des Nordens gegen die sesshaften Stämme des Südens, und auf einer Süd-Süd-Achse bekriegten sich die Rindernomaden des Südens untereinander. In beiden Fällen handelte es sich um Auseinandersetzungen zwischen denen, die über ein Dar verfügten und denjenigen, die keines hatten."

    Der Konflikt zwischen Kamelnomaden, Rindernomaden und sesshaften Bauern bekam schon deshalb eine ethnische Dimension, weil die meisten Nomaden nach kolonialer Definition als Araber gelten, die meisten Landbesitzer als Afrikaner. Dabei waren die Grenzen immer durchlässig, so Mamdani. Der Konflikt entspringt dabei zum einen der Marginalisierung der Nomaden, die sich als Stämme ohne Land nicht selbst verwalten durften. Zum anderen hat er seine Ursache in den immer schwierigeren klimatischen Bedingungen in der Sahelzone, weswegen die Nomaden des Nordens nach Süden drängten. Dies ist auch der Hintergrund für die zwei Hauptlager, die im Bürgerkrieg seit den 1980er-Jahren auszumachen sind.

    "Die Spannungen zwischen ihnen waren zu früheren Zeiten vom ständigen Ringen um natürliche Ressourcen (...) sowie vom Viehraub bestimmt gewesen, und zwar vor dem Hintergrund der von den Kolonialherren betriebenen Retribalisierung der darfurischen Landverteilung und Verwaltung."

    Zu den Spannungen vor Ort kamen bewaffnete Konflikte im Südsudan, im Nachbarland Tschad und die Eingriffe insbesondere von Libyen und den Vereinigten Staaten, die in der Region Stellvertreterkriege führten. Eine Gemengelage, in der der Bürgerkrieg ums Land eskalierte, auch weil die Regierung des Sudans gegen die meist sesshaften Rebellen neben den regulären Streitkräften auch bewaffnete arabische Banden einsetzte. Bei einer diktatorisch agierenden und arabisch ausgerichteten Militärregierung in Sudans Hauptstadt Khartum wurde aus der fraglos grausamen Wirklichkeit für die westlichen Darfur-Retter ein Völkermord der Araber an den Afrikanern. Mamdani kritisiert, dass im Zuge des Kampfes gegen den Terror sämtliche historischen und wirtschaftlichen Ursachen von den Aktivisten der Save-Darfur-Kampagne außer Acht gelassen wurden. Für ihn führe nur eine afrikanische Lösung aus diesem Dilemma heraus:

    "Die Herausforderung für Afrika – wie in Südafrika, in Mosambik, in Uganda und im Sudan – besteht darin, das Streben nach Gerechtigkeit zwar nicht aufzugeben, aber Formen von Gerechtigkeit zu entwickeln, die Konflikte beilegen helfen, anstatt sie zu verlängern."

    Das ist ein richtiger Ansatz. Er kann aber nur greifen, wenn man die Gründe für das Interesse der Interventionsmächte klärt, die laut Mamdani hinter der Save-Darfur-Kampagne stehen. Doch diese Interessen betrachtet er bei seinem Versuch kaum, die Ursachen des Konflikts im andauernden Kolonialismus zu finden. Aber warum interessieren sich einflussreiche Kräfte in den Vereinigten Staaten für den Sudan und unterstützen die Save-Darfur-Kampagne im Hintergrund? Es ist wieder einmal das Öl, das im Sudan liegt. Während es im Süden des Landes von den Chinesen ausgebeutet wird, ist der Zugriff auf das Darfur-Öl noch nicht geregelt. Der Stellvertreterkrieg im Sudan ist also wieder einmal ein Kampf um Rohstoffe. Dass Mamdani dies nicht genauer analysiert, ist ein gravierendes Versäumnis. Denn so schlägt sein durchaus richtiger Ansatz fehl, nach einer afrikanischen Lösung zu suchen. Der Konflikt aber muss in seiner ganzen weltpolitischen Dimension verstanden werden. Bedenkt der Leser dies allerdings bei der Lektüre, kann er von Mamdani eine ganze Menge lernen: Über Afrika, den Sudan und über selbsternannte Menschenrechtskrieger.

    Mahmood Mamdani: "Blinde Retter. Über Darfur, Geopolitik und den Krieg gegen den Terror". Edition Nautilus, 384 Seiten, 29,90 Euro. ISBN: 978-3-89401-736-1.