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Selbstfindung mit Makkabi

Am 18. Juli beginnt in Israel ein riesiges Sportereignis: die Makkabiade - die Weltspiele des Judentums mit 9000 Teilnehmern aus mehr als 70 Nationen. Darunter ist auch die deutsche Golferin Michèle Prigoschin, die nicht nur an den Sieg denkt, sondern vor allem an ihre jüdischen Wurzeln.

Von Ronny Blaschke | 13.07.2013
    Mehr als 200 Sportler aus Deutschland reisen in diesen Tagen nach Israel. Dort beginnt am 18. Juli das zahlenmäßig drittgrößte Sportereignis der Welt. 9000 junge Frauen und Männer aus mehr als siebzig Nationen nehmen an der Makkabiade teil, an den Weltspielen des Judentums. Zum Beispiel die Golferin Michèle Prigoschin:

    "Ich glaube, Israel wird mir sehr, sehr gut gefallen. Mama meinte, ich darf da nur hinfahren, wenn ich auch zurückkomme. Ich glaube, deshalb kommt sie auch mit, damit sie mich ja wieder zurückholt nach Deutschland. Ich werde sehr viele geschichtliche Sightseeing-Touren mitmachen und möchte einfach mehr vom Land sehen. Ich finde, ich bin es meinen Vorfahren schuldig, um auch besser zu verstehen, wie sie es hatten, als Juden zu leben."

    Michèle Prigoschin: 17 Jahre alt, Jura-Studentin, talentierte Golferin. Sie ist eines der Gesichter des deutschen Teams bei der 19. Makkabiade. Alle vier Jahre werden in Israel Sieger in mehr als vierzig Sportarten ermittelt, doch den Organisatoren geht es um mehr: Sie wollen, wie es heißt, den "jüdischen Stolz durch Sport aufbauen".

    Das Klubheim von Makkabi Berlin liegt im Grünen. Im Saal des Flachbaus feiert ein russischstämmiges Mitglied seinen Geburtstag. Für viele der jüdischen Einwanderer aus Osteuropa war Makkabi Anfang der neunziger Jahre die erste Anlaufstelle. Die 37 deutschen Ortsvereine helfen ihnen bei der Integration in die Gemeinden. Immer mehr erforscht Michèle Prigoschin ihre jüdischen Wurzeln. Sie liest viel, besucht Museen, schreibt literarische Texte. Mit ihrer Familie wird sie nun das erste Mal nach Israel reisen, dank des Sports. Wie sie haben sechzig Prozent der deutschen Athleten Wurzeln in Osteuropa. Makkabi gehört zu ihrer Kultur.

    "Die Leute sind sehr offen, sehr gelassen, sehr kontaktfreudig, immer gut drauf, immer für einen Spaß zu haben."

    Mehr als 30000 Zuschauer werden im Teddy-Stadion von Jerusalem die bunte Eröffnungsfeier der Makkabiade verfolgen. Im Hauptquartier der Bewegung in Ramat Gan nahe Tel Aviv laufen die letzten Vorbereitungen. Auf den Schreibtischen des Bürogebäudes stapeln sich Kartons. Faxgeräte rattern, Telefone klingeln. Zwischen zwei Konferenzen nimmt sich Amir Peled Zeit für ein Interview. Sein Vater hat Makkabi über viele Jahre geprägt, seine Tochter stellte Rekorde im Schwimmen auf, er selbst leitet seit 2009 die Planung der Makkabiade, ehrenamtlich.

    "Zwanzig der Delegationen kommen zum ersten Mal nach Israel, zum Beispiel Kuba, Montenegro oder Slowenien. Wir haben dafür ein besonderes Programm aufgelegt, wir nennen es ,Die Suche nach den verlorenen Gemeinschaften’. Ein großer Teil unseres Gesamtetats von 50 Millionen Dollar fließt in Kultur- und Bildungsprojekte. Wir lassen tausende Touren in den Alltag der Sportler einfließen. Dazu gehören Besichtungen von Sehenswürdigkeiten oder Gedenkstätten. Die Erfahrung früherer Spiele hat gezeigt, dass etwa fünf Prozent der Athleten später nach Israel übersiedeln. Sie werden zum Beispiel Studenten."

    Die Entstehung Makkabis ist eng mit dem aufkommenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert verbunden: 1895, noch vor dem ersten Zionistenkongress in Basel, gründeten deutsche Soldaten in Konstantinopel den ersten jüdischen Turnverein. Der Arzt Max Nordau prägte den Begriff des Muskeljuden. Er rief Juden dazu auf, Leistungsfähigkeit und Selbstachtung durch Sport zu stärken. Zehn Jahre später gab es in Europa mehr als 100 Vereine. 1932 fand in Tel Aviv die erste Makkabiade statt, mit 400 Sportlern. Die Premiere wurde mit Bedacht gewählt: Genau 1800 Jahre nach dem Aufstand des Freiheitskämpfers Judas Makkabäus gegen die griechischen Besatzer. Stella Syrkin forscht im Hauptquartier von Makkabi zur Geschichte und leitet dort regelmäßig Führungen durch das einzige jüdische Sportmuseum der Welt.

    "Menschen aus Palästina fuhren mit Schiffen nach Europa. Dort fuhren sie auf Motorrädern von einer Gemeinde zur nächsten. So luden sie Sportler zur Makkabiade ein, lange vor der Erfindung des Internets. Und die Leute kamen tatsächlich, das ist doch beeindruckend."

    An der zweiten Makkabiade 1935 nahmen auch 134 deutsche Sportler teil, gegen den Willen der Nazis. Dutzende Athleten blieben im britischen Mandatsgebiet Palästina und überlebten den Holocaust. Nach dem Krieg wurden die Vereine langsam wieder aufgebaut. 1969 nahm dann wieder eine deutsche Delegation an der Makkabiade teil. Fünf Jahre später trat Isaak Lat Makkabi in Berlin bei. Der Zahnarzt ist in Riga aufgewachsen und engagiert sich seit Jahrzehnten für die Bewegung:

    "Das ist die Botschaft gerade für die Bundesrepublik, um zu zeigen: Judentum ist wieder nach Deutschland eingekehrt. Wir sind da, man hat uns doch nicht vernichten können. Das ist die Geschichte und mit der haben wir alle zu leben. Da ist für viele immer noch diese Neugier: Wie ist es? Ach, es kommt doch von Jahr zu Jahr eine größere Gesandtschaft aus Deutschland. Und da kriegt man natürlich auf einige Fragen, sicherlich von Mal zu Mal weniger. Und wir hoffen, dass es auch so weiter geht. Und dass wir das auch an die Jugend und unsere Sportler auch weitergeben können."

    Junge Athleten wie Michèle Prigoschin verkörpern die Bewegung. Zuletzt hat sie an einem biografischen Projekt teilgenommen: Sie erforschte das Leben von Rahel Varnhagen von Ense, einer jüdischen Schriftstellerin, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts für die Emanzipation der Frauen einsetzte. Michèle Prigoschin hat einen Text über sie verfasst, der demnächst in einem Buch erscheinen wird. Zudem hospitierte sie beim ZDF und im Bundestag. Doch vorerst denkt sie nur an die Makkabiade.

    "Die Eröffnungsfeier wird sehr rührend werden. Es wird bestimmt eine tolle Atmosphäre sein. Es ist ziemlich bombastisch, wenn man sich das vorstellt. Ich meine, ich habe jüdische Vorfahren, ich lebe in Deutschland und repräsentiere Deutschland in Wettkämpfen."

    Heute sind weltweit in 400 jüdischen Gemeinden mehr als 400000 Sportler aktiv. Zu ihren 56 Heimatländern gehören Simbabwe, Taiwan oder die Marshallinseln. Die Bewegung wächst, und mit ihr auch das jüdische Leben.