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Selbstgestrickte Netze

IT.- Neben dem festgelegten Programm kommt auf dem Chaos Communication Congress auch die Spontaneität nicht zu kurz: Jede Menge Arbeitsgruppen entstehen aus der Laune heraus und beschäftigen sich mit den verschiedensten Themen rund ums Hacking. Heraus kommt nicht selten fast Unglaubliches.

Wissenschaftsjournalist Jan Rähm im Gespräch mit Manfred Kloiber | 27.12.2010
    Manfred Kloiber: Das ganz Besondere an diesem Kongress ist ja, dass er nicht nur Vorträge und Diskussionen bietet, sondern auch eine ganze Menge Arbeitsgruppen hier spontan anzieht, die sich auch spontan hier bilden und die sich dann mit allen Themen rund ums Hacking beschäftigen. Und damit die Hacker ihre Ideen und Ansätze sofort austesten können, dafür wurde hier im Berliner Kongresszentrum von den Aktivisten eine ganz spezielle Infrastruktur aufgebaut. Jan Rähm, wie sieht diese Infrastruktur aus?

    Jan Rähm: Diese Infrastruktur bilden vier Arten der Kommunikation - einmal das Netzwerk verdrahtet und einmal drahtlos und auf der anderen Seite die Telefonie via DECT und Mobilfunk GSM, also die haben hier ein eigenes Mobilfunknetz.

    Kloiber: Dann reden wir doch zunächst mal über das Computernetzwerk, wie sieht das aus?

    Rähm: Das Spannende daran ist, es ist über ein 15 Kilometer langes Glasfaserkabel direkt an das echte Internet angebunden. Das heißt, wir vom BCC liegt im Keller eine Glasfaser, die geht direkt in ein anderes Rechenzentrum, wird dort aufgeteilt auf mehrere...

    Kloiber: Das haben die einfach hier durch die Stadt gezogen, das Glasfaserkabel?

    Rähm: Genau, das liegt hier quasi unterirdisch in dieser Stadt, in U-Bahn-Kanälen, in sonstigen Schächten und das geht bis ans andere Ende der Stadt in ein Rechenzentrum. Und dort wird diese Anbindung aufgesplittet auf mehrere Anbieter. Die sind alle Sponsoren, das heißt, das kriegt der Kongress einfach so. Und insgesamt haben wir eine Bandbreite von acht Gigabit - das muss man sich vorstellen. Das ist ungefähr das 500-Fache von einem normalen ADSL-Anschluss, den man zu Hause hat. Und das Spannende daran ist, 95 Prozent dieser wirklich großen Bandbreite werden komplett ausgenutzt. Es gibt allerdings noch eine andere Besonderheit: Ich hatte ja eben gesagt, wir sind direkt hier an das Internet angeschlossen. Hier gibt es keine Zwischenstufen ... wie es möglicherweise bei anderen Anbietern der Fall ist. Und dadurch gibt es aber auch keine erhöhte Sicherheit - hier muss jeder selber dafür sorgen.

    Kloiber: Damit jeder auch alles ausprobieren kann im Internet, ist es eben ein freier Zugang für alle Datenformen, alle Kommunikationsformen über das Internet. Aber Sie sagten ja, es gibt nicht nur Internet, sondern auch Telefonnetze wurden hier aufgebaut. Kann jeder hier einfach ein Telefon mitbringen und wenn ja, was für eins?

    Rähm: Ganz genau. Hier kann jeder ein Telefon mitbringen. Das kann entweder ein altes Handy sein oder ein DECT-Telefon. Das kennt man von zu Hause, das sind diese ganz normalen schnurlosen Telefone. Damit geht der Besucher dann zum Phone Operation Center, das heißt kurz POC und wird dort manuell ins Netz eingebunden, automatisiert geht das noch nicht. Dann kann er mit diesem DECT-Telefon einfach kostenlos untereinander hier mit anderen Teilnehmern telefonieren oder auch ins Festnetz oder als Besonderheit ins eigene Mobilfunknetz des Kongresses.

    Kloiber: Das Mobilfunknetz des 27C3 hat ja eine ganz, ganz spezielle Bedeutung. Die müssen Sie uns erklären.

    Rähm: Die Hacker oder Organisatoren oder Forscher, wie immer man sie auch nennen mag, wollen hier GSM weiter erforschen. GSM an sich ist zwar schon ein relativ alter Standard, er ist auch offen einsehbar. Aber sowohl die Hersteller als auch die Telefonanbieter halten sich sehr bedeckt, was Sicherheitslücken angeht. Und da haben die Hacker ein Problem. Weil sie dürfen in die regulären Netze nicht rein, dürfen dort nicht nach Sicherheitslücken suchen, dürfen die dort nicht testen, sind also ausgeschlossen. Deswegen: Hier gibt es ein eigenes Netz und da kann sich jeder einbuchen und die Hacker können hier in diesem Netz alles ausprobieren, was sie schon immer ausprobieren wollten.

    Kloiber: Ich kann mir vorstellen, dass die Netzbetreiber das gar nicht so lustig finden, dass jetzt auf einmal eine Gruppe von Hackern da ist, die sich ihr eigenes Netz baut, eine eigentlich sehr komplizierte Infrastruktur, und jetzt mal einfach testet. Das ist ja schon sehr speziell.

    Rähm: Das ist schon sehr speziell und auch die Netzanbieter und die Hersteller dieser Hardware werden sich wahrscheinlich warm anziehen müssen, denn es ist davon auszugehen, dass so einige Sicherheitslücken gefunden werden.

    Kloiber: Letztes Jahr war ja auch schon ein Fehler in der Verschlüsselung der Gespräche hier entdeckt worden - hier in Berlin. Herr Rähm, wie sieht denn eigentlich das GSM-Netz hier jetzt konkret aus? Was ist hier konkret aufgebaut worden?

    Rähm: Also ganz konkret befinden wir uns hier in einer sogenannten GSM-Funkzelle. Dafür sind auf allen Etagen Antennen aufgebaut. Und es gibt natürlich auch eine Genehmigung der Bundesnetzagentur. Das heißt, es ist ein völlig reguläres Netz. Die Hardware, die dem Ganzen zugrunde liegt, kann eigentlich fast jeder im Internet frei kaufen oder auch bei speziellen Herstellern.

    Kloiber: Die gibt in Internetauktionshäusern zu kaufen, weil die ausgemustert werden und dann noch einmal verkauft werden.

    Rähm: Genau. Diese Hardware ist wirklich regulär zu kaufen, ist auch wohl gar nicht so teuer. Das Besondere ist, die Software hat man von Grund auf komplett selbst entwickelt, da gab es nichts gutes, was man hätte einsetzen können oder es war verschlossen. Diese eigenentwickelte Software ist Open Source.

    Kloiber: Und dann gibt es hier auf dem Kongress auch noch einen eigenen digitalen Fernsehsender. Es wird immer mehr, mich hat es verwundert. Was wollen die hier mit einem eigenen digitalen Fernsehsender? Auch hacken?

    Rähm: Nee. Das Fernsehnetz wollen sie in dem Fall nicht hacken. Da geht es einfach darum, den Kongress zu dokumentieren. Das Kartenkontingent war auch in diesem Jahr erstens wieder limitiert, zum Zweiten sehr, sehr schnell ausverkauft - und damit die ganzen Leute, die keine Tickets bekommen konnten, vielleicht doch teilnehmen können, zumindest aus der Ferne, dafür gibt es diesen DVB-T-Sender, der steht hier, hat eine Leistung von sechs Watt und laut Aussage der Organisatoren soll er ungefähr das Stadtgebiet abdecken. Die Besonderheit ist jetzt: Jeder Saal - also es gibt ja hier mehrere Säle, wo die Vorträge stattfinden - ist ein eigener Kanal. So kann man dann zu Hause bequem im Wohnzimmer sitzen und sich den Kongress nach Hause holen und zwischen den Sälen hin und her zappen.

    Kloiber: Herr Rähm, was hat sie persönlich denn am meisten oder am stärksten fasziniert von diesen ganzen Netzen, von dieser Technik?

    Rähm: Also ich muss ganz ehrlich sagen, das Mobilfunknetz, das ist das, was mich persönlich hier wirklich beeindruckt. So einfach ein eigenes Mobilfunknetz aufbauen, also so ein verkabeltes LAN, das hat man ja heutzutage schon zu Hause, WLAN. Da stellt man sich so eine Kiste hin, drückt den Schalter, aber ein Mobilfunknetz, das ist nichts, was man selber bauen kann.

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