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Selbstheilende Kunststoffe
Mit dem Föhn wieder in Form

Ob kaputtes Telefon-Display oder verbeulte Autotür: Selbstheilende Kunststoffe könnten die Reparatur defekter Bauteile enorm erleichtern. Ingenieure aus Karlsruhe haben dazu Materialien entwickelt, die sich durch Wärme wiederherrichten lassen.

Von Martina Preiner | 30.07.2014
    Ein schwarzes Mobiltelefon liegt mit zersplittertem Display auf dem Boden.
    Einmal föhnen und alles wieder gut - so könnte die Handyreparatur in Zukunft aussehen (dpa / picture alliance / Peer Grimm)
    Für einen erheblichen Schaden am Auto braucht es nicht viel. Ein kleine Unachtsamkeit, schon ist die Tür verbeult und die Autowerkstatt verlangt mehr als 1000 Euro. Die Tür muss ausgebaut und entbeult oder ersetzt werden. Doch Wissenschaftler arbeiten an einem einfacheren Weg:
    "Angenommen, es ist eine Beule reingefahren, dann müssen sie das Bauteil ausbauen, einfach nur wieder über dieselbe Form legen, die die Karosserie oder das Bauteil vorher geformt hat, kurz warm machen, dann hat es wieder die alte Form und sie können das Teil wieder einbauen."
    Christopher Barner-Kowollik vom Karlsruher Institut für Technologie beschreibt hier, wie eine verbeulte Autotür mit dem von seinem Doktoranden Kim Öhlenschläger entdeckten Material repariert werden könnte.
    Harter Stoff
    Wenn Barner-Kowollik mit der Faust auf ein Probeexemplar klopft, klingt es nahezu metallisch. Zwischen ihm und Öhlenschläger liegt ein 20 mal 20 Zentimeter großes, dünnes Quadrat aus einem Kunststoff, der nicht wie Kunststoff wirkt.
    Preiner: "Also ich hatte mir das schon weicher vorgestellt, aus was besteht das denn?"
    Öhlenschläger : "Es ist ein Karbonfasernetzwerk, welches in so einer selbstheilenden Schmelze eingetaucht wurde."
    Barner-Kowollik: "Man sieht auch, dass es im Prinzip glänzend ist und es muss natürlich hart sein, weil hieraus können sie ein Autobauteil bauen. Sie wollen das ja nicht labbrig haben."
    Doch die Härte ist nicht das Außergewöhnliche an dem Kunststoff der beiden Chemiker. Ihr Produkt braucht gerade einmal 120 Grad Celsius zum Weich werden - durchschnittlicher Stahl braucht beispielsweise über 1000 Grad. Zudem braucht das Polymer erstaunlich wenig Zeit, erst weich und dann wieder fest zu werden.
    "Und wenn Sie auf eine ganz bestimmten Stelle auf diesem Quadrat eine Heizschlange legen, dann wird es an der Stelle warm und dann können sie mit den Händen das ganz einfach an der Stelle verbiegen. Nehmen sie die Hitze wieder weg und zack, ist es hart und Sie haben das Ganze zu einem V gebogen. Sie können natürlich alles Mögliche draus biegen. Oder Sie legen das jetzt auf eine Form und dann passt sich das dieser Form an."
    Immer wieder neu in Form
    Der Karlsruher Kunststoff kann nicht nur sehr schnell, sondern im Idealfall unbegrenzt oft wieder in eine neue Form gebracht werden - eine Eigenschaft, die herkömmliche Polymere nicht besitzen. Beispielsweise beim Kautschuk: Ist er erst einmal vulkanisiert, gibt es kein Zurück, der Prozess der Polymerisierung ist eine Einbahnstraße.
    Das reversible Geheimnis der Chemiker liegt in den Polymermolekülen selbst. Darin sind flächendeckend chemische Sollbruchstellen eingebaut, also Bindungen, die sich leichter lösen lassen als andere, sich aber ebenso leicht wieder neu zusammenfügen. Sie verheilen quasi ohne Narbenbildung.
    "Also angenommen, sie haben einen Stab von diesem selbstheilendem Rohmaterial und Sie zerbrechen den. Dann können Sie den an dieser Stelle wieder perfekt selbst heilen. Wenn Sie das mit einem normalen Polymer machen, können sie das auch wieder versuchen aufeinanderzudrücken und warm zu machen und das wird auch wieder ein bisschen halten, aber nur dadurch, dass die Polymere, die an der Grenzfläche sind, so ein bisschen miteinander verschlaufen. Aber wenn Sie das ziehen, bricht das genau an derselben Stelle wieder auseinander. Wenn Sie das mit unserem Material machen, bricht das nicht an derselben Stelle."
    Weil es sich an der Stelle chemisch nicht vom Rest des Stabes unterscheidet. Es wird durch das erneute Erwärmen sogar noch stabiler.
    Industrie zeigt großes Interesse
    Barner-Kowollik und sein Team werden aufgrund dieser Entdeckung von der Industrie belagert.
    "Also wir haben Anfragen von Handyherstellern, die sich das so vorstellen: Sie lassen Ihr Handy fallen, der Screen ist gesplittert und Sie können einfach mit dem Föhn drüber gehen und alles wird wieder gut."
    Der Wissenschaftler sieht die Entwicklung aber mehr in der Bauteilindustrie. Dort könnte man verbogene oder kaputte Konstruktionen mühelos mit ein bisschen Wärme wieder in Form bringen, statt sie auszutauschen oder mühselig auszubeulen.
    Die Weiterentwicklung haben die Karlsruher Forscher jetzt an die Industrie abgegeben. Aber nicht nur für den Materialwissenschaftler stellt sich letztlich die Frage:
    "Zu welchen Kosten will man so etwas produzieren, und ist es dem Kunden das wert? Also wenn sie jetzt einen Golf für 25.000 Euro haben und VW sagt aber: ich gebe Ihnen denselben Golf für 35.000 Euro, aber der hat selbstheilende Bauteile - würden sie das machen? Wär Ihnen es das wert?"