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Selbstporträt mit alter und neuer Musik

Am Mikrofon Frank Kämpfer. Ich stelle Ihnen heute zwei neue CD-Alben vor, auf denen sich Komponisten von heute und aus früheren Zeiten begegnen.

Von Frank Kämpfer | 15.07.2007
    " J.J. Froberger, Tombeau sur la mort de Mr. Blancheroche "

    Artistische Geste, finale Verzierung, unvermittelter Absturz ins Nichts. Vorausahnbar und doch überraschend nimmt die Musik ihren Lauf. Das Melancholische an ihr beschwört geistige Nähe - die Harmonik verweist unbestechlich darauf, dass die Komposition einem Jahrhundert entstammt, in dem das Instrument, auf dem sie erklingt, noch lange nicht spruchreif war. Komponist Johann Jakob Froberger, geboren 1616 in Stuttgart, setzt seinerseits mit dem Tombeau sur la mort de Monsieur Blancheroche einem Lautenisten-Kollegen ein Denkmal, der einem Unfall erlag.

    Dokumentation und Diskretion halten sich in Frobergers Tongirlanden die Waage - die barocke Ornamentik merzt scheinbar alles Persönliche aus. Die Anlässe seines Komponierens hingegen - der Tod des Kollegen; die Klage, beraubt und von Soldaten verprügelt zu werden; das Nachsinnen gar übers eigene Sterben - wirken ungewöhnlich privat. Derlei auf dem Akkordeon darzubieten, rückt die 350 Jahre alte Musik seltsame nahe. Teodoro Anzellotti bringt sie auf dem Popularmusik-Instrument auf eine ästhetische Höhe, die seltsam kühl wirkt und Distanz wahren lässt.

    " L. Berio, Sequenza XIII "

    Chanson discrète, so der Titel des Albums, ist eine schöne Werbe-Idee - das Konzept der musikalisch in sich höchst stimmigen Platte bleibt dabei außen vor. Werke verschiedener Jahrhunderte und somit auch verschiedener kompositorischer Sprachen zu kombinieren, ist auf dem Musikmarkt zwar noch immer der Ausnahmefall, heute aber schon kaum mehr sonderlich provokativ. Hier allerdings tritt eine extravagante Kopplung zu tage: Denn Anzellotti, unbestrittener Spezialist für dezidiert neue Musik, stellt dem barocken Melancholiker Froberger seine, Anzellottis Zeitgenossen Berio, Hosokawa und Sciarrino zur Seite - wobei der dominierende Geist der Gegenwartswerke gleichfalls ein introvertiert sinnender ist. Der italienische Instrumentalist realisiert alle drei Kompositionen mit Spürsinn für Farben und Gesten und zeigt dabei faszinierende Klangwelten auf.

    " T. Hosokawa, Slow Motion "

    Ein Ausschnitt aus Toshio Hosokawas Slow motion aus dem Jahre 2002. Diese und weitere Originalkompositionen von Luciano Berio und Salvatore Sciarrino finden sich auf einer neuen Solo-CD mit dem italienischen Akkordeonisten Teodoro Anzellotti, die als Co-Produktion mit dem WDR kürzlich beim Münchner Label Winter & Winter erschienen ist. Konzeptionelles Gerüst und musikalischen Rahmen der Platte geben vier Stücke von Johann Jakob Froberger, die Mitte des 17. Jahrhunderts für Tasteninstrumente entstanden.

    Alt und neu berühren sich auch auf der folgenden Platte - allerdings aus anderer Motivation und mit anderem Material:

    " K. Serocki, Arrangements "

    Vogelstimmen, Orgelpfeifen, dialogisierende Klangsäulen gar erwachsen Kazimierz Serockis graphischer Partitur Arrangements aus dem Jahre 1975. Die vier jungen Instrumentalistinnen des Bläserquartetts QNG haben die Spielanweisung, die 17 Fragmente frei und sinnvoll zu interpretieren, auf sich gemünzt und zu einer sehr vitalen Collage gefügt. - Ein reizvoller Gegensatz: Musik um 1600. Die damals in England beliebten Hexacord Fantasien des Bolognesers Alfonso Ferrabosco erfordern auch von heutigen Spielern Disziplin und Konzentration:

    " A. Ferrabosco, Hexacord Fantasia "

    Gegenwart und Tradition als reizvolle Pole - geeignet zu auffälliger, unakademischer Musikvermittlung und Selbstdefinition. Susanne Fröhlich, Andrea Guttmann, Hannah Pape und Heide Schwarz verstehen sich in der Tat nicht als konventionelle Blockflötengruppe - ihrem Ensemble-Namen getreu (QNG = Quartet New Generation) sind sie vielmehr Performer, Performerinnen, die sich von der klassischen Darbietungsform distanzieren. Das beginnt beim Instrumentarium, das ein ungewohnt vielgestaltiges ist, Nachbauten aus Renaissance und Barock mit heutigen Spezialkonstruktionen vermischt und von den vier Spielerinnen virtuos beherrscht wird. Um in multidisziplinären Projekten zu bestehen, streben die vier Instrumentalistinnen zudem eine optische Bühnenpräsenz an, die eher von Madonna und Robbie Williams angeregt scheint als von Spezialensembles Alter Musik.

    Ebenso wichtig für das 1998 während des Studiums am Amsterdamer Konservatorium gegründete Quartett ist es, bei heutigen Komponisten innovatives Repertoire zu initiieren, das vor allem neu erprobten Spielmöglichkeiten sowie dem speziellen Ensemble-Charakter entspricht.

    Auf ihrer Debüt-CD, die Barockmusik von Ferrabosco, Tomkins und Bull mit einem Avancierten wie Kazimierz Serocki und einem Traditionalisten wie Arvo Pärt konfrontiert, finden sich demzufolge drei eigens für QNG geschriebene Werke: Still life der Griechin Marianthi Papalexandri-Alexandri arbeitet mit Stöhn- und Atemgeräuschen, Giovanni Mancusos Non ti a piaciato? ist als Puppenspiel konzipiert - Michiel Mensinghs Wicked tangiert die Welt von Jazz und Pop und bedient sich treibender Beats, die Drum'n'Bass und Techno erinnern. Das Stück ist für die in den 1970er Jahren entwickelten Paetzold-Bassblockflöten geschrieben - Instrumente quadratischen Querschnitts, die aus geschichtetem Sperrholz bestehen und sehr tiefe, geräuschhafte Klänge hergeben.

    " Mensingh, Wicked "

    Selbstporträt mit alter und neuer Musik - das Berliner Blockflötenquartett QNG. Erschienen ist die Debüt-CD beim niedersächsischen Label Edition Zeitklang.