Ein Reisebericht

Kunst und Krise in Kolumbien

43:48 Minuten
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Auch die Band „Magistrado Tocineta“ hat mit den Folgen der Corona-Krise zu kämpfen. © Etienne Roeder
Von Etienne Roeder · 15.05.2020
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Eigentlich sollte es eine Recherchereise durch Kolumbien werden. Unser Reporter wollte Kunst- und Kulturschaffende treffen, um zu erfahren, wie sich das einst vom Bürgerkrieg geplagte Land entwickelt hat. Doch dann kam die Coronakrise und zwang alle zum kreativen Umdisponieren.
Zu Beginn, Ende Februar 2020, erschien das Coronavirus in Kolumbien noch unendlich weit weg und neben den Alltagsproblemen eher einen Lacher wert. So witzelten manche, das lokale Dengue-Virus würde den Eindringling Corona im Boxkampf allemal besiegen. Diese Stimmung kippte aber rasant als es die ersten Fälle in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá gab und die Menschen ihre Häuser bald nur noch im Notfall und zum Einkaufen verlassen durften. Besonders die Kulturschaffenden traf der Lockdown hart. Und noch ist kein Ende in Sicht.
Proben im Hinterhof von Bogotá
Die Mitglieder der Band "Magistrado Tocineta" trafen sich vor der Krise drei Mal wöchentlich zur Probe in Bogotá. Während der Onkel von Schlagzeuger Camilo Melo draußen im Hof Ölbilder malte, musizierten die Jungs in einem kleinen Probestudio nebenan. In ihrer Musik fusionieren sie traditionelle kolumbianische Rhythmen mit Einflüssen aus Jazz, Rock und Funk. Bogotá, eine Zehn-Millionen-Metropole, ist das musikalische Kaleidoskop Kolumbiens. Die Rhythmen aus den entlegensten Winkeln des Landes treffen hier auf internationale Einflüsse und tragen zu einer lebendigen Musikszene bei. "Es ist nicht einfach, sich da zu behaupten", meint Camilo, der Schlagzeuger der Band. "Aber Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft und das Besondere ist eben die Mischung."
Der Beamte Schweinespeck
Die Texte der Band sind hochpolitisch, schon ihr Name ist eine Anklage an die grassierende Ungerechtigkeit und die Korruption im ganzen Land. "Magistrado Tocineta", der "Beamte Schweinespeck", ist ein starkes Bild, das alle Kolumbianer verstehen. Er verweist darauf, dass Kunst und Politik, Soziales und Kultur sich in Kolumbien kaum trennen lassen.
Juan David Hernández, Gitarrist und Lead Vocalist der Band, sagt, dass man es in Kolumbien gewohnt sei, dass es regelmäßig politische Skandale gebe: "Uns als Band war es immer wichtig, an all die Dinge zu erinnern, die in diesem Land falsch laufen, an all die Dinge, die hier in den letzten Jahren passiert sind. Und die einfach aus der Öffentlichkeit verschwinden."
Kreativer Protest in Kolumbien
So wie die Straßenproteste gegen die Regierung, bei denen noch im letzten Jahr in ganz Kolumbien Hunderttausende auf die Straßen gingen. Heute ist der Protest leiser geworden "doch der politische Wandel hat sich auf den Straßen angekündigt, immer mehr Leute werden sich bewusst, dass es so nicht weitergehen kann", sagt Juan David.
Der kreative Protest war ein Markenzeichen Kolumbiens. Denn Kulturschaffende können nicht auf viel Unterstützung vonseiten des Staates hoffen. Gerade Individuen oder marginalisierte Gruppen fallen oft durch das Raster in einem Land, in dem erst dieses Jahr die Schauspielerei als Beruf anerkannt worden ist.
Magistrado Tocineta bei einem Auftritt in Bogotá
Magistrado Tocineta bei einem Auftritt in Bogotá© Deutschlandfunk/Étienne Roeder
Dabei ist die Szene groß, allein Bogotá habe 220 Tanzschulen, erklärt Richi Sánchez, der die erste von ihnen gegründet hat: "Die Kolumbianer, seien es Literaten, Tänzerinnen oder Musiker, spielen weltweit in der allerersten Liga. Sie setzen Maßstäbe und werden respektiert und anerkannt. Nur nicht von unserer Regierung."
Weiter geht es an die Karibikküste nach Santa Marta. Dort, wo unser Autor früher selbst einmal studiert hat, soll er nun einen Radiokurs geben. Es geht um die Grundlagen der Radiofonie: Wie nehme ich richtig auf, wie gestalte ich einen Beitrag dramaturgisch sinnvoll. Die Teilnehmenden sind oft selbst Künstler, Schriftsteller oder Journalisten.
Künstler in Kolumbien sind kreativ in der Krise
Als die Coronakrise das öffentliche Leben im Land lahmlegt, muss Mikrokosmos-Autor Étienne Roeder schnell das Land verlassen. Viele Künstler verlegen ihre Aktivitäten ins Internet und auch der Unikurs geht online weiter. Die Studierenden nutzen die Krise kreativ und verarbeiten ihre Eindrücke in einem Onlinetagebuch, dass sie in einem Gruppenchat teilen. Yessica Perez, die neben dem Studium in einem Supermarkt arbeitet, nimmt die Ansagen dort auf. Zum Beispiel, wenn spezielle Einkaufszeiten für Ältere und Menschen mit Behinderung angesagt werden. Diese Tätigkeit helfe den Studierenden, mit der oft schwierigen Situation im Land besser klar zu kommen, sagen sie.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus© imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte
Aber auch die hauptberuflich Kreativen zeigen sich flexibel: So gibt es Tänzerinnen, die sich zusammengeschlossen haben und nun Mund-Nasenmasken oder Ganzkörperanzüge herzustellen, um sie zu verkaufen. Andere vertreiben Desinfektionsmittel, die Anzeigen dazu werden in den sozialen Medien munter geteilt. Irgendwie muss es ja weiter gehen. Rebusque, von der Hand in den Mund, heißt diese Kunstgattung in Kolumbien.
Krise als Dauerzustand
Gerade diese kollaborative Energie und der kreative Umgang mit den herrschenden Bedingungen hat auch Simon(e) Jaikiriuma Paetau nach Bogotá gezogen. Aufgewachsen in Deutschland als Kind einer kolumbianischen Mutter, ist er heute eine angesagte Performance Künstler*in, die sich in ihren international gefeierten Filmen mit queerem Blick der Realität nähert.
Als queer bezeichnen sich Menschen, die sich nicht der heterosexuellen Geschlechternorm zugehörig fühlen. Momentan dreht er einen Film über Utopien von und für Transmenschen und sagt, die Krise, das sei ein Dauerzustand in diesem Land. Ob es in Kolumbien einen anderen Kunstbegriff als in Deutschland gibt und wo man eigentlich besser kreativ sein kann, erläutert er im Interview.
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