Donnerstag, 28. März 2024

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Semperoper Dresden
"Die tote Stadt" als eine Reise ins Ich

1920 uraufgeführt wurde die Oper "Die tote Stadt" des damals 23-jährigen Erich Wolfgang Korngold zu einem Welterfolg. In der aktuellen Inszenierung an der Semperoper wird das Werk zu einem Psycho-Drama über Verlustangst und Erinnerungsschmerz - musikalisch für unseren Autoren ein gelungener Abend.

Von Dieter David Scholz | 18.12.2017
    Titel: Die tote Stadt. Von Erich Wolfgang Korngold. Regie: David Boesch. Musikal. Ltg.: Dmitri Jurowski. Buehne: Patrick Bannwart. Kostueme: Falko Herold. Licht: Fabio Antoci. Ort: Semperoper Dresden. Premiere: 16. Dezember 2017. No model release. Copyright: david baltzer/bildbuehne.de. Saenger*Innen: Timothy Oliver / Graf Albert, Tahnee Niboro / Juliette, Khanyiso Gwenxane / Victorin, Grace Durham / Lucienne und Christoph Pohl / Fritz u.a..
    Szenenbild aus der Oper "Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold in der Inszenierung von David Bösch an der Semperoper Dresden. (david baltzer / bildbuehne.de. Agentur Zenit, Archiv, Pappelallee)
    Gustav Mahler bewunderte schon das zehnjährige Wunderkind Erich Wolfgang Korngold als "Genie" und Giacomo Puccini meinte, nachdem ihm der 23-jährige Komponist kurz vor der Uraufführung Ausschnitte aus seiner Oper "Die Tote Stadt" am Klavier vorgespielt hatte: "Er hat so viel Talent, dass er uns mit Leichtigkeit die Hälfte davon abgeben könnte und trotzdem noch genug für sich zurück behielte." Puccini prophezeite Korngold eine große Zukunft. Sie begann mit dem Welterfolg der Oper "Die tote Stadt".
    Das Libretto schrieb der Vater Korngolds und basiert auf einer Erzählung des symbolistischen Romanciers Georges Rodenbach: "Bruges-la-Morte" (Das tote Brügge). Es ist die Geschichte eines Mannes namens Paul, der sich nach dem Tod seiner geliebten Frau Marie in die Stadt Brügge zurück zieht, um sich dort zwischen alten Mauern und Grachten einem Totenkult als Erinnerungsexistenz hinzugeben Sein Wohnhaus hat er zur einer "Kirche des Gewesenen" ausgestattet, mit Bildern, Kleidern und einer Haarsträhne der verstorbenen Frau. Auf seinen Spaziergängen lernt Paul die Tänzerin Marietta kennen, die seiner verstorbenen Frau verblüffend ähnlich sieht. Paul, der sich in Marietta als scheinbare Wiedergeburt seiner Frau verliebt, gerät in den Konflikt zwischen Realität und Traum, den er nur dadurch zu lösen vermag, dass er Marietta mit der Haarlocke seiner Frau erwürgt. Soweit der Roman. – In der Oper ist dieser Mord allerdings nur ein Tagtraum. Am Ende erkennt Paul, dass es nur ein Traum war, und dass er, wenn er ins Leben zurück und weiterleben will, von der Vergangenheit Abschied nehmen muss. Er verlässt Brügge, die Stadt des Todes und wagt einen Neuanfang.
    Quälende Obsessionen und Leidenschaften
    Regisseur David Bösch macht aus diesem im wahrsten Sinne des Wortes traumhaften Stück ein alptraumhaftes, ein verwirrendes, in dem die Ebenen von Wirklichkeit und Traum verschwimmen. Die Oper wird bei ihm zu einer Reise ins Ich, ein Psycho-Drama über Verlustangst und Erinnerungsschmerz, in dem quälende Obsessionen und Leidenschaften wahnhaft vermischt werden und in dem es am Ende für Paul kein Entrinnen mehr gibt. Er hat sich in seiner Trauer verloren.
    Auf die zentrale Frage des Stücks, wie weit Trauer gehen darf, ohne uns zu entwurzeln lautet die Antwort des Regisseurs: Sie darf auf keinen Fall so weit gehen wie beim Protagonisten der Korngold-Oper. David Bösch zeigt das Stück übrigens nicht in dieser Toten Stadt, also nicht im historischen Brügge, sondern in einem mit zeitgemäß "heutigem" Kleinbürgermobiliar voll gerümpelten Raum, dessen Wände vollgekritzelt sind mit dem Namen "Marie". Marietta lässt er als spießig gekleidete Blondine, als neckisch drein tippelnde Lolita und Paul fast wie einen Clochard agieren.
    Die Marietta wird von einem hochdramatischen Sopran - von Manuela Uhl - gesungen. Ein Missverständnis. Denn bei ihrer fast wagnerischen Interpretation ist kaum ein Wort zu verstehen. Das Textverständnis ist allerdings von zentraler Bedeutung, die Partie müsste liedhaft, lyrisch gesungen werden.
    Kleinbürgerwelt, geisterhafte Videos, Schattenwelt
    In die Kleinbürgerwelt mit Stehlampe und Fernsehsessel, die David Bösch auf die Bühne der Semperoper bringt, bricht plötzlich Irrealität herein. Die Wände fahren auseinander, geisterhafte Videos, Schattenspiele werden auf die Bühne projiziert. Der Tod tritt auf als Knochenmann, gleich mehrfach, aber auch groteske Gestalten, Geister und alte langhaarige Frauen kommen heran marschiert, ebenso Nonnen mit Bildnissen Maries, später dann mit leeren Bilderrahmen. Theatralische Holzhammerpsychologie! Überdimensionale Spinnweben fallen aus dem Bühnenhimmel.
    Videos wie aus Fantasy-, Gothic Novel- und Gruselfilmen vermischen sich mit szenisch plakativem Sozialrealismus á la Strindberg oder Ibsen, denn aus der "Kirche des Gewesenen" wie Paul sein Haus nennt, wird schließlich ein groteskes Eros-Panoptikum voller leuchtender Reklameschilder des Wortes "Love", in dem wenig Erhellendes angedeutet, aber viel Konfetti geworfen wird.
    Bis heute ist das Lied "Glück, das mir verblieb" ein Evergreen. Wenn man die Schallplattenaufnahmen mit Richard Tauber und Lotte Lehmann im Ohr hat, dann empfindet man die Dresdner Besetzung mit Burkhard Fritz und Manuela Uhl - als geradezu fehlbesetzt. Als Heldentenor, der eher im Wagnerfach zuhause ist, quält sich Burkhard Fritz mit eng geführter, gepresster Stimme durch die Partie, immerhin gelingen ihm am Ende einige berührende und vor allem wortverständliche Momente.
    Ohne Fehl und Tadel sind die beiden übrigen Hauptpartien besetzt: Christa Mayer singt eine wohltönende Haushälterin Brigitta. In der Partie des Paul-Freundes Frank wie des Fritz brilliert der fabelhafte Bariton Christoph Pohl. Seine Stimme ist Balsam für die Ohren. Warum er als Rollstuhlfahrer dargestellt wird, bleibt allerdings so fragwürdig wie der Putzfrauenlook von Haushälterin Brigitta und mancher andere Regieeinfall dieser Inszenierung.
    Eine rauschhaft-sinnliche Musik
    Die Musik von Korngolds "Toter Stadt" mit ihrer seelischen Schattierungskunst kann nicht anders als ein jugendlicher Geniestreich bezeichnet werden. Eine rauschhaft-sinnliche Musik zwischen Puccini und Richard Strauss, aber von eigenem, unverwechselbarem Zuschnitt. Dmitri Jurowski hat in seiner faszinierenden Lesart der fast cineastisch anmutenden, modernen Musik Korngolds alles Sentimentale weitgehend vermieden und stattdessen in einer zwar breit angelegten, aber klaren Lesart, die Qualitäten Korngolds hörbar gemacht. Er animiert die Sächsische Staatskapelle zu einem orgiastischen Klangrausch, in dem sich Parsifalglocken- und Pelléas-Klänge, Spätromantik und Impressionismus mischen. Ein großer Abend, den man nicht vergessen wird, musikalisch!