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Semperoper Dresden
"Wir dürfen gesellschaftspolitisch nicht neutral bleiben"

Weil über dem Eingang der Semperoper in Dresden ein Monitor mit Botschaften gegen Fremdenhass hängt, gab es eine Anzeige gegen das Haus. Für den kommissarischen Intendanten Wolfgang Rothe kein Grund, den Bildschirm abzuhängen. Er sagte im DLF, es sei eine Kunstaktion - und zudem sei es Aufgabe eines Theaters, gesellschaftspolitisch zu wirken.

Wolfgang Rothe im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 24.02.2016
    Eine Menschenkette zieht sich in Dresden über den Theaterplatz vor der Semperoper, um der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg zu gedenken.
    Ein großer Monitor an der Semperoper zeigt Botschaften wie "Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass". (Imago / Xcitepress)
    Maja Ellmenreich: Regelmäßig berichten wir hier in "Kultur heute“ über das, was innerhalb der Dresdner Semperoper geschieht: gesungene Töne, kräftige Orchesterklänge, gelungene oder auch mal nicht gelungene Inszenierungen, Intendantenwechsel – was sich halt so in einem namhaften Opernhaus alles abspielt. Heute geht es um eine vermeintliche Äußerlichkeit: Über dem Haupteingang der Semperoper prangt seit Monaten bereits ein Bildschirm – etwa sechs mal drei Meter groß ist er, darauf zu lesen sind wechselnde Botschaften der Opernmitarbeiter. Etwa "Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass“ oder "Bleibe wach, Empathie“ oder auch "Nicht der Mütze wegen ist Dir ein Kopf gegeben“. Jedes Mal "unterschrieben“ - wenn man so will - mit der verbindlichen Notiz "Ihre Semperoper“.
    Klare Botschaften an die, die allmontäglich in unmittelbarer Nachbarschaft der Oper demonstrieren, an die Pegida-Anhänger. Der Monitor ist jetzt Anlass für eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die Denkmalschutzgesetze. Die sind bekanntlich streng und fordern Genehmigungen ein, wenn das Erscheinungsbild eines Kulturdenkmals verändert wird. Aber solch ein Antrag auf Genehmigung ist laut Landesamt für Denkmalpflege nicht gestellt worden. Wolfgang Rothe ist kaufmännischer Geschäftsführer der Semperoper und derzeitiger kommissarischer Intendant. Herr Rothe, fangen wir mal beim rein Administrativen an: Warum haben Sie keinen Antrag auf Genehmigung gestellt?
    Wolfgang Rothe: Weil es aus unserer Sicht eine Kunstaktion ist, der Monitor in der Exedra der Semperoper. Dort zeigen Mitarbeiter des Opernhauses Gesicht und machen auf die humanistischen Inhalte der gespielten Werke, des gemeinsamen Bühnenschaffens und ihrer täglichen Arbeit an der Semperoper aufmerksam. Für diese Kunstaktion bedurfte es nach unserer Auffassung keiner denkmalschutzrechtlichen Genehmigung. Im Rahmen einer Anhörung, die angestrengt wurde durch das Amt für Kultur und Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden, haben wir dann fristgerecht Stellung bezogen, aber für uns ist es ein Kunstprojekt. Für uns wird das Kulturdenkmal Semperoper im Erscheinungsbild nicht in seiner Substanz verändert oder beeinträchtigt. Der Screen ist auch nur temporär dort aufgestellt und es besteht überhaupt gar keine feste Verbindung mit dem Haus. Es ist auch keine Werbeeinrichtung, sondern eine Kunstaktion, und gerade im täglichen Umgang, den wir pflegen, ist interkulturelle Offenheit selbstverständlich für uns und auch ein notwendiger Aspekt unserer Arbeit.
    "Aspekt der Kunstfreiheit sollte überwiegen"
    Das waren die Hintergründe und aus unserer Sicht ist, wenn man mal abwägt die denkmalschutzrechtlichen Belange mit unseren Rechten, insbesondere der Kunstfreiheit, diese Abwägung ist erforderlich. Dann sollte unseres Erachtens überwiegen der Aspekt der Kunstfreiheit. Hinzu kommt ja auch, dass das Ziel der Kunstaktion es ist, den demokratischen und verfassungsrechtlich verbrieften Werten und damit den künstlerischen und gesellschaftspolitischen Auftrag der Semperoper über dieses Medium auf besonders wirkungsvoller Weise Ausdruck zu verleihen.
    Vielleicht ganz kurz ein Hinweis auf einen Kommentar, der dazu zu lesen war, zu diesem Vorgang, den Sie ansprechen. In der "Sächsischen Zeitung“ vom Dienstag, da spricht man in dem Kommentar von einem "geschichtsfixierten städtebaulichen Überenthusiasmus der Denkmalschutzbehörde“, und das würde ich auch so unbedingt unterstreichen wollen. Und ich denke mal, es scheint mir so zu sein, dass man in der Denkmalschutzbehörde davon ausgeht, dass der Denkmalschutz über den Grundrechten des Grundgesetzes steht, und dazu zählt auch die Kunstfreiheit.
    Ellmenreich: Kommen wir noch mal zurück zu der Anzeige. Weiß man denn, wer die Anzeige gestellt hat, die - das sei ja nicht nur am Rande erwähnt - die AfD-Fraktion im sächsischen Landtag auf ihrer Website auch schon thematisiert. Dort ist von Gesetzesverstoß und möglichem Straftatbestand die Rede.
    Rothe: Nein. Woher die kommt, das ist uns nicht bekannt. Aber das muss ich sagen: Das ist mir am Ende auch gleich und das ist auch gern eine Auseinandersetzung, die ich gerne und leidenschaftlich jetzt führe und auch weiterhin führen werde.
    "Ich möchte keinen Schritt zurückweichen"
    Ellmenreich: Es geht eigentlich gar nicht mehr um einen Bildschirm, sondern es geht darum: Sie sprachen von Kunstfreiheit. Ich würde Ihr Plädoyer für Toleranz, Vielfalt und Integration mal zusammenfassen wollen als Zivilcourage. Da ist der Denkmalschutz, wenn ich Sie richtig verstehe, eigentlich eher Nebensache.
    Rothe: Nein! Ich würde jetzt nicht sagen, dass er Nebensache ist. Aber ein Kulturdenkmal wie die Semperoper, das ist das eine. Der Denkmalschutz und die Denkmalpflege haben die Aufgabe, solche Kulturdenkmale zu schützen und zu pflegen. Aber neben dieser Architektur des Hauses steht da ja auch eine damit verbundene Nutzung, nämlich die Nutzung als Theater und damit die Schaffung von Kunst und deren Ausübung. Ich glaube, da steht die Architektur, die denkmalschutzwürdig ist, und das, was man ja mit so einem Haus, mit so einem Gebäude letztlich bewirken will, das darf man dann nicht außer Acht lassen.
    Ellmenreich: Das was Sie bewirken wollen, ist das jetzt im Zuge der Botschaft, die Sie vermitteln wollen, ist das jetzt für Sie ein Ansporn, diese Anzeige, jetzt erst recht mit solchen Aktionen, Kunstaktionen, wie Sie sagen, weiterzumachen? Oder empfinden Sie die Anzeige als eine Art Rückschlag?
    Rothe: Ich empfinde sie nicht als Rückschlag und in gewisser Weise wird sie eher uns ermutigen, weiterzumachen mit anderen Aktionen. Wir haben ja schon viele Aktionen in den letzten anderthalb Jahren gemacht. Auch hier der Screen ist temporär angelegt. Irgendwann wird diese Aktion auslaufen und wir werden uns etwas Neues einfallen lassen. Aber ich möchte keinen Schritt zurückweichen, wenn es darum geht, für die Rechte der Kunstfreiheit einzutreten.
    "Wir bleiben parteipolitisch gesehen neutral"
    Ellmenreich: Sie sprachen jetzt schon andere Projekte an. Da gab es zum Beispiel die Fahnen mit dem Aufdruck "Augen auf, Herzen auf, Türen auf“ oder auch Videoprojektionen, oder auch Veranstaltungen wie die "Oper ohne Grenzen - Konzert für eine offene Kultur“. An welche Möglichkeiten sind noch zu denken? Einem Kulturbetrieb wie der Semperoper stehen ja auch künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten zum Beispiel auf der Bühne zur Verfügung.
    Rothe: Ja natürlich. Es ist im Grunde unser Tagesgeschäft. Und ob es jetzt die Werke selbst sind, oder die Künstler, die zusammenkommen, um diese Werke aufzuführen, hier kommt immer wieder humanistische Werte und interkulturelle Offenheit zum Tragen, und natürlich werden wir das weiter verfolgen.
    Ellmenreich: Sie beziehen deutlich Stellung. Das habe ich vorhin schon mal gesagt. Vielleicht ja auch Stellung gegen den einen oder anderen Abonnenten, der vielleicht nicht so ganz Ihrer Meinung ist, der Ihre Meinung nicht ganz hundertprozentig teilt. Nehmen Sie das auch mit in Kauf, wenn Sie solche Aktionen planen?
    Rothe: Ja. Das ist aber im Grunde bei dem, was wir machen, doch immer damit verbunden. Jede Vorstellung, jede Produktion, die wir sozusagen zur Geburt bringen, möchten wir natürlich, dass sie jeden Besucher in gleichem Maße in das Haus zieht und auch begeistert und zum Nachdenken anregt. Und wir müssen offen und ehrlich feststellen, dass das natürlich nicht gleichermaßen für alle gilt, und so wird das hier auch sein. Aber wir müssen deutlich machen, gerade auch in diesen Zeiten - ich werde ja oft auch gefragt, warum bleiben Sie als öffentlich getragene Einrichtung nicht absolut neutral. Ja, wir bleiben parteipolitisch gesehen neutral. Wir setzen uns weder für die eine, noch für die andere Partei ein. Aber wir dürfen eben nicht gesellschaftspolitisch neutral bleiben, weil es gerade eine Aufgabe ist des Theaters, gesellschaftspolitisch zu wirken, gesellschaftliche Entwicklungen und Probleme kritisch zu thematisieren, Denkanstöße zu geben, und zwar das alles mit den Mitteln der Bühnenkunst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.