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Sendelizenz verweigert
Krimtataren-Sender versucht Neustart in Kiew

Die Krimtataren, die muslimische Minderheit auf der Krim, äußerten sich immer kritisch zur russischen Annexion der Insel – besonders durch ihren Fernsehsender ATR. Als Konsequenz hat die russische Staatsmacht nun eine Verlängerung der Sendelizenz verweigert. Von Kiew aus versucht nun ein kleines Team von ATR-Journalisten einen Neustart.

Von Mareike Aden | 20.07.2015
    Ein Offizier der russischen Polizei steht am 26. Januar 2015 vor dem Gebäude des Krimtataren-Senders ATR in Simferopol Wache. Die russische Staatsmacht hat eine Verlängerung der Sendelizenz verweigert. Von Kiew aus versucht nun ein kleines Team von ATR-Journalisten einen Neustart, nachdem ATR eine Sendelizenz vom ukrainischen Staat bekommen hat.
    Der einzige Fernsehsender der tatarischen Minderheit auf der Krim, ATR, hatte auf der Krim von den russischen Behörden keine neue Sendelizenz erhalten. (AFP / Max Vetrov)
    Wieder einmal stehen sie in dem kleinen Fernsehstudio und diskutieren: Über Beleuchtung und Kameraeinstellungen. Alles soll perfekt sein in den ersten Nachrichtensendungen nach mehr als drei Monaten Zwangspause. "Zaman" - krimtatarisch für "Zeit" – hießen die Nachrichten auch, als ATR noch von der Krim sendete. Aber sonst ist alles anders, hier in Kiew. Das Studio und drei Büroräume muss der Sender anmieten. Auf der Krim waren sie mehr als 100 Mitarbeiter und haben auch Spielfilme und Unterhaltungsformate produziert. In Kiew sind es gerade mal ein Dutzend Mitarbeiter. Der Journalist Schewket Namatullajew ist vor sieben Wochen von der Krim in die ukrainische Hauptstadt gezogen.
    "Ich bin hier, weil der Journalismus auf der Krim tot ist. Dort gibt es keine Journalisten mehr, sondern nur noch Propagandisten, die den Mächtigen bei den Staatsmedien nach der Pfeife tanzen. Jetzt hier zu sein ist ein zwiespältiges Gefühl. Es ist traurig, nicht mehr auf der Krim arbeiten zu dürfen. Aber andererseits bin ich froh, dass wir jetzt vom ukrainischen Festland aus berichten können, was auf der Krim passiert und auf diese Weise nützlich sein können für unser Volk."
    Ein Trailer kündigt im Internet die Rückkehr von ATR an: Darin begrüßt der Moderator Schewket Namatullajew die Zuschauer auf Krimtarisch.
    Berichten will der Sender vor allem über die Lage der Krimtataren – und die spitzt sich zu. Einige arbeiten mit den Mächtigen zusammen: Schließlich hatte Wladimir Putin den Krimtataren mehr Rechte als in der Ukraine zugesichert. Aber die Anführer des repräsentativen Rates der Krimtataren dürfen die Halbinsel jetzt nicht mehr betreten. Und immer wieder gibt es Durchsuchungen und Verhaftungen. Man bekämpfe islamistischen Extremismus, sagen die russischen Behörden. Doch viele Krimtataren glauben, das alles sei die Rache dafür, dass so viele von ihnen das Referendum boykottierten. Auch Ayder Muschdabajew, der die Kiewer Redaktion von ATR leitet, sieht das so.
    "Auf der Krim wurde eine Atmosphäre der Angst geschaffen – Angst davor, die Wahrheit zu sagen. Wir wollen diese Atmosphäre vertreiben. Die Leute sollen uns schreiben und live in unseren Sendungen anrufen. Die Krimtataren sollen sich nicht vergessen und allein gelassen fühlen. Wir waren und sind das Kommunikationszentrum der krimtatarischen Gesellschaft – und das hatte man ihnen weggenommen."
    Verbot auf der Krim, für ATR zu arbeiten
    Neben dem Fernsehstudio liegt der noch kleinere Regieraum. ATR hat eine Sendelizenz vom ukrainischen Staat bekommen und ist seit Mitte Juni im Internet und per Satellit zu empfangen, auch auf der Krim. Seit vier Wochen senden sie Spielfilme und Unterhaltungssendungen aus dem Archiv. Jetzt sollen die täglichen Nachrichten zum Fokus werden. Aber auf die Hilfe der einstigen ATR-Mitarbeiter auf der Krim kann Redaktionsleiter Ayder Muschdabajew nicht setzen.
    "Offiziell ist es jetzt verboten, auf der Krim für uns zu arbeiten. Aber die Mächtigen haben zu spät damit begonnen, einen Eisernen Vorhang zu errichten. Man kann ihn dank des Internets überwinden. Und es gibt viele Menschen, die in ihrer Freizeit Videos drehen, Informationen sammeln und fotografieren und wir hoffen, dass wir eine solche Unterstützung bekommen von den Menschen dort."
    In diesen Tagen kommt der Besitzer und Gründer des Senders, der Unternehmer Lenur Isljamow, oft in die Redaktion in Kiew. Er ist russischer Staatsbürger und hat seinen Lebensmittelpunkt in Moskau. Aber das Wichtigste für ihn: Er ist Krimtatare. Die russischen Behörden auf der Krim, so erzählt er, hätten ihn mehrmals aufgefordert den Sender zu verkaufen. Wenn ATR dann auch noch die besonders kritischen Journalisten entließe, würde man den Sender auf der Krim dulden, hieß es. Isljamow lehnte ab.
    "Ich bin Geschäftsmann - das heißt natürlich, dass man sich eigentlich mit mir einigen und einen Kompromiss finden kann. Aber wenn es um mein Gewissen geht, dann verhandele ich nicht und ich verkaufe es auch nicht. Und ATR ist das Gewissen der Krimtataren, unsere Ehre Deshalb ist ATR unverkäuflich."
    Am Abend sitzt der Journalist Schewket Namatullajew mit seiner Frau Fisule zu Hause vor dem Computer. Sie lesen die Nachrichten ihrer Freunde von der Krim. Schewket kann im Moment nicht einmal zu Besuch dorthin. In seiner Abwesenheit kam eine Vorladung von der Staatsanwaltschaft: Auf einer Demonstration, von der berichtet hatte, war Gewalt ausgebrochen. Bisher hat er den Status eines Zeugen, aber er könne auch ganz schnell zum Angeklagten werden, warnte man ihn inoffiziell. Umso wichtiger ist es für Schewket wieder bei ATR zu sein. Er möchte mithelfen, wenn ATR den Krimtataren wieder eine Stimme gibt.