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Sensationsfund im Moskauer Puschkin-Museum
59 verloren geglaubte Skulpturen wieder aufgetaucht

Sie waren nach dem Zweiten Weltkrieg von der "Trophäenkommission" der Roten Armee abtransportiert worden - jetzt sind sie in Moskau wieder aufgetaucht: 59 Skulpturen aus dem früheren Berliner Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bodemuseum. Dass die Stücke nun wieder nach Berlin zurückkehren, ist derzeit allerdings unwahrscheinlich.

Von Christiane Habermalz | 18.05.2016
    Das Bodemuseum in Berlin. Es gehört um Ensemble der Museumsinsel und damit zum Weltkulturerbe der UNESCO.
    Das Bodemuseum in Berlin, früher Kaiser-Friedrich-Museum. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Sie galten als unwiederbringlich verloren - jetzt sind 59 Skulpturen aus der Sammlung des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums, dem Vorläufer des heutigen Bodemuseums, wieder aufgetaucht. Sie befinden sich im Puschkinmuseum in Moskau. Eine Sensation, betont Neville Rowley, Kurator im Bodemuseum und Spezialist für frühitalienische Kunst:
    Diese 59 Skulpturen-Werke sind sehr wichtig für die Kunstgeschichte der Renaissance. Weil alle die großen Namen von der Renaissance da sind, von Nicola Pisano bis Donatello, von Giovanni Pisano bis Luca della Robbia und Mino da Fiesole. Aber das sind nicht nur diese großen Namen, sondern auch einige Skulpturen, die nicht so wichtig sind, aber die sehr interessant sind."
    Bereits im Oktober erste Funde im Puschkin-Museum
    Dass die Kunstwerke noch existieren, ist Anfang Mai erstmals auf einer Fachtagung in Florenz bekannt geworden. Die Skulpturen waren 1945 als Schutz vor den Bomben in den Flakbunker Friedrichshain ausgelagert worden, der kurz nach Kriegsende unter ungeklärten Umständen zweimal brannte. Hunderte wertvollster Kunstwerke der Berliner Museen wurden dabei zerstört, darunter auch vier großformatige Caravaggios - ein unschätzbarer Verlust. Was das Feuer übrig ließ, wurde von der "Trophäenkommission" der Roten Armee, wie viele andere deutsche Museumsobjekte auch, nach Moskau abtransportiert.
    1958 gab die UdSSR zur Wiedereröffnung der Museumsinsel einen großen Teil der Objekte an Ostberlin zurück. Doch vieles blieb verschwunden. Ob verbrannt oder noch in Moskau, konnte niemand sagen - und zu Zeiten der Sowjetunion auch niemand fragen. Jetzt wurde bekannt, dass doch mehr Kunstwerke das Inferno überstanden haben. Bereits im Oktober waren fünf Kunstwerke von Donatello im Puschkinmuseum wieder aufgetaucht. Mit den jetzt fast 60 Skulpturen ist ein Stück Berliner Sammlungsgeschichte wieder erstanden. Durch die intensive Ankaufs- und Sammlungstätigkeit seines Direktors Wilhelm Bode beherbergte das Kaiser-Friedrich-Museum bis zum Krieg eine der bedeutendsten Sammlungen italienischer Kunst außerhalb Italiens.
    "Nur mit diesen fast 60 Werken ist es eine der wichtigsten Sammlungen über die Skulptur des Trecento, Quattrocento. Das ist nur ein Teil der Berliner Sammlung, aber man kann sehen, wie wichtig diese Sammlung war."
    Teilweise starke Beschädigungen
    Der Fund ist das Ergebnis der langsamen Annäherung zwischen deutschen und russischen Museen. Rowley gehört zu einer Arbeitsgruppe des Bodemuseums, die seit Herbst letzten Jahres regelmäßig in Moskau ist. Im März erhielt sie vom Puschkinmuseum eine Liste mit den 59 Werken, die jedoch noch nicht vom russischen Kulturministerium bestätigt worden war. Kurz darauf konnten die Deutschen die Werke in Moskau erstmals sehen. Ein emotionaler Moment, sagt Rowley. Doch erst im Mai in Florenz konnten Rowley und sein Kollege Vasily Rastorguiev vom Puschkinmuseum vor einem Fachpublikum gemeinsam über die Kunstwerke sprechen. Die Werke seien durch den Brand stark beschädigt, so Rowley.
    "Ihr Zustand ist nicht gut, teilweise sie sind fragmentarisch, teilweise gibt es nur einige Fragmente, einige kann man nicht restaurieren, zum Beispiel die glasierten Terrakotta von Luca della Robbia."
    Aus dem Gedächtnis der Kunstgeschichte verschwunden
    Dennoch sind die meisten restaurierbar - dies soll nun in einem gemeinsamen deutsch-russischen Projekt geschehen.Dass die Stücke wieder nach Berlin zurückkehren, ist derzeit unwahrscheinlich. Politisch ist die Debatte um die sogenannte Beutekunst festgefahren. 1998 hatte die Duma ein Gesetz verabschiedet, das die Rückgabe von Kulturobjekten aus deutschen Museen ausschloss. Moskau sieht sie als Kompensation für die eigenen Verluste durch den deutschen Überfall. Für Rowley ist ohnehin entscheidender, dass sie überhaupt noch existieren und für die Forschung zur Verfügung stehen. Viele der Werke seien aus dem Gedächtnis der Kunstgeschichte bereits verschwunden – nun könne man sich wieder mit ihnen auseinandersetzen.