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Sensibler Blick aus dem Weltall

Hydrologie. - Der Nahe Osten ist seit Jahrzehnten Krisenherd, für die Zukunft prophezeien Experten einen weiteren Kriegsgrund: Wasser. Eine Auswertung von Schwerefelddaten des US-amerikanisch-europäischen Satellitenduos Grace hat jetzt gezeigt, wie stark die Grundwasservorräte in der Region von Euphrat und Tigris schon geschwunden sind.

Von Volker Mrasek | 14.02.2013
    Die US-Forscher richteten ihren Blick auf das Einzugsgebiet von Euphrat und Tigris, der beiden berühmten Flüsse Mesopotamiens. Ein Gebiet, etwa doppelt so groß wie Deutschland und mit vier Anrainerstaaten: Irak, Iran, Syrien und Türkei. Die Region ist sowieso sehr niederschlagsarm. Doch 2007 erlebte sie obendrein eine starke Dürre. In diese Zeit fielen auch die Beobachtungen des Forscherteams. Kate Voss bekam einen Schreck, als ihr klar wurde, wie es um das Grundwasser in der Region steht. Die Umweltpolitologin forscht am Zentrum für Hydrologische Modellierung an der Universität von Kalifornien in Irvine:

    "Wir waren alle ziemlich schockiert. Die Grundwasser-Menge nimmt sehr stark ab. Das Ausmaß ist wirklich phänomenal. Das schürt Ängste um die Zukunft der Region."

    Zwischen 2003 und 2010 verlor die Trockenregion so viel Wasser, wie ins ganze Tote Meer passt. Das ist das Ergebnis der neuen Studie und der Schwerefeldmessungen durch Grace, eine Satellitenmission der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Zum Teil ging im Untersuchungsgebiet Eis im Gebirge verloren; zum Teil fielen die Pegel der Flüsse und trockneten Böden aus. Das Gros der Verluste aber – rund 60 Prozent - gehe auf das Konto verstärkter Grundwassernutzung, sagt Jay Famiglietti, Professor für Erdsystemwissenschaften an der Hochschule in Irvine. Der Hydrologe bedauert, daß niemand wisse, wie groß das Grundwasservorkommen im Gebiet von Euphrat und Tigris eigentlich sei:

    "Es mag Sie vielleicht überraschen. Aber wir wissen tatsächlich nicht, wie viel Wasser wir in den meisten unserer größten Grundwasser-Vorkommen rund um den Globus haben. Auch mit unserer neuen Studie können wir die Frage, wie nachhaltig das Grundwasser im Nahen Osten genutzt wird, nur zur Hälfte beantworten. Wir können sagen, wie schnell es verschwindet. Aber nicht, wie viel eigentlich im Untergrund steckt."

    Der Geowissenschaftler spricht aber auf jeden Fall von einem beunruhigenden Trend:

    "Wir wissen, daß Brunnen im Nahen Osten vermehrt trockenfallen. Es wird immer tiefer in die Grundwasser-Leiter hineingebohrt. Die Qualität des Wassers nimmt dabei immer mehr ab. Wir beobachten auch - vor allem im Iran -, daß sich das Land durch die Grundwasser-Entnahme absenkt. Wenn man immer tiefer bohren muss und das Wasser immer schmutziger ist, dann heißt das: Wir nähern uns allmählich dem Ende der Reserven."

    Die beiden Grace-Satelliten der Nasa erfassen selbst kleinste Veränderungen des Schwerefeldes an der Erdoberfläche. Natürlich auch, wenn sie den Nahen Osten überfliegen. Famiglietti:

    "Massenbewegungen an der Erdoberfläche verändern die Anziehungskraft, die auf die Satelliten wirkt. Sie sinken leicht ab oder steigen leicht auf. Und die Bahnhöhe der Satelliten wird sehr, sehr präzise erfasst. Was dominiert nun die Schwerefeld-Schwankungen am Boden? Es ist die Verteilung von Wasser an der Erdoberfläche. GRACE erfasst gewissermaßen den Gewichtsverlust einer Region, wenn Wasser in ihr verloren geht, und das mit sehr hoher Genauigkeit."

    Die Satelliten lieferten zunächst aber nur einen Wert für den gesamten Wasserverlust im Untersuchungsgebiet. Zusätzliche Höhenmessungen aus dem All und Computersimulationen mussten her. Sie halfen den Forschern, die Grundwasser-Entnahme isoliert herauszuarbeiten. Und sie von anderen Wasserverlusten in Gebirge, Böden und Oberflächengewässern zu trennen. Durch die Dürre 2007 waren viele Bauern im Nahen Osten gezwungen, das Grundwasser anzuzapfen – weil Euphrat und Tigris nicht mehr genug Wasser führten. Auch später habe sich die Lage nicht entspannt, sagt Kate Voss. Sie hofft, daß die neue Studie der Politik im Nahen Osten Anstöße geben kann:

    "In einem ersten Schritt sollte man ermitteln, wie groß die Grundwasser-Reserven tatsächlich sind. Diese Daten könnten die Türkei, Syrien und der Irak dann in einem zweiten Schritt miteinander teilen und eine Kooperation starten. Mit dem Ziel eines nachhaltigen Wasser-Bewirtschaftungsplans für die Euphrat-und-Tigris-Region."