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Serbien soll Geheimdienstakten öffnen

Die EU macht die Aufarbeitung mit der Vergangenheit zur Priorität für den weiteren EU-Integrationsprozess Serbiens. Es geht dabei vor allem um die Verbrechen in der Ära Milosevic. Bisland sind die serbischen Geheimdienstakten dazu noch unter Verschluss.

Von Simone Böcker | 24.07.2012
    Branka Prpa sitzt rauchend auf dem Sofa ihres mondänen Hauses in einem Belgrader Vorort. Bis vor kurzem war sie Direktorin des Belgrader Historischen Archivs. An der jüngsten Geschichte des Landes hat sie vor allem ein persönliches Interesse: Am 11. April 1999 wurde ihr Lebensgefährte Slavko Æuruvija ermordet – auf offener Straße, niedergestreckt durch einen Kopfschuss. Der kritische Journalist und Herausgeber einer unabhängigen Zeitung gehört zu den bekanntesten Opfern der autoritären Miloševic-Zeit.

    "Ich war dabei damals, als die Schüsse ihn getroffen haben. Ich selbst wurde verletzt und habe auf dem Boden neben ihm gelegen. Wir reden über einen politischen Mord in Serbien, der bis heute leider keine juristischen Folgen hat. Es ist vor 13 Jahren passiert, und bis heute gibt es keinen Gerichtsprozess."

    Branka Prpa, eine elegante Frau Anfang 60 mit blondem Kurzhaarschnitt, hatte im Jahr 2001 Gelegenheit, Einsicht in ihre eigene Akte zu erhalten. Was sie da erfuhr, erfüllt sie bis heute mit Abscheu.

    "Wir waren an dem Tag des Attentats in einem einfachen Restaurant. Und später erfuhr ich, das über 30 Spezialagenten vom Geheimdienst vor Ort waren. Alles war inszeniert wie in einem Hollywoodfilm. Es gab eine Parallelwelt, wie in einem Buch von George Orwell. Doch war diese Welt sehr real."

    Die Hintergründe und die Auftraggeber des Mordes liegen bis heute im Dunkeln. Das gilt für Hunderttausende weiterer Personen und Fälle, deren Akten in den Staatsarchiven schlummern. Zwar wurde im Jahr 2001, kurz nach dem Sturz Miloševiæs, eine Verordnung erlassen, die Interessierten wie Branka Prpa Einsicht in ihre persönliche Akte ermöglichte. Doch hob man sie wenige Monate später wieder auf, nur 380 Menschen hatten ihr Dossier tatsächlich zu Gesicht bekommen. 2003 schließlich wurde ein sogenanntes Lustrationsgesetz angenommen, das öffentliche Personen auf ihre Geheimdiensttätigkeit hin überprüfen sollte. Aber auch dieses trat nie in Kraft. Den Gesetzestext hat damals das Anwaltskomitee für Menschenrechte in Belgrad entworfen. Direktor Milan Antonijeviæ:

    "Den Begriff "politischer Wille" haben zwar nicht wir Serben erfunden, aber es ist der am häufigsten gebrauchte Begriff in Serbien. Es gab viele Initiativen, doch dass sie nicht umgesetzt wurden, liegt am fehlenden politischen Willen. Deswegen wird niemand verhaftet, deswegen gibt es keine Lustrationskommission, weil die Regierenden oder diejenigen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, das nicht wollen."

    Die Versuche der Anwälte und anderer Nichtregierungsorganisationen, das Thema auf die politische Agenda zu bringen, scheitern seitdem unter jeder Regierung. Die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit gehört zu den wichtigsten Aufgaben der serbischen Gesellschaft, ist Antonijeviæ überzeugt.

    "In der Öffentlichkeit gibt es immer noch keinen Konsens darüber, ob Ratko Mladiæ nun ein Held oder ein Kriegsverbrecher ist. Die Verantwortung Serbiens für die Kriegsverbrechen wird noch immer geleugnet. Wenn die Akten geöffnet werden, dann werden wir genau erfahren, welche Verbrechen im Krieg in unserem Namen begangen wurden."

    Die neue Regierungskoalition hat bereits angedeutet, sie werde die Öffnung der Akten vorantreiben. Dennoch, so befürchtet Sonja Biserko von der Menschenrechtsorganisation Helsinki Komitee – gelange die dunkle Vergangenheit so schnell wohl nicht ans Licht, Denn: Der neue Premierminister Ivica Daèiæ war Miloševiæs Pressesprecher und galt als sein enger Vertrauter. Und mit Tomislav Nikoliæ hat Serbien nun einen Präsidenten, der einst als Vizepremier unter Miloševiæ gedient hatte.

    "Wahrscheinlich wird die neue Regierung sich auf das Thema Korruption beschränken, und nur ein paar Fälle offen legen, die gegen die oppositionelle Demokratische Partei gerichtet sind. Ich fürchte, wir werden schwere Zeiten erleben. Serbien ist momentan nicht in der Lage, auf die Forderungen der EU zu reagieren. Die neue Regierung macht deutlich, in welch tief greifenden Problemen wir stecken."