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Serengeti darf nicht sterben

Weltweit bringt die Erwärmung Ökosysteme in Bedrängnis, und das gilt auch für Grzimeks Erbe: die Serengeti. Dort hängt alles von einem einzigen Fluss ab, dem Mara. Aber die Menschen setzen dem Fluss immer stärker zu. Sie nutzen das Wasser für Bewässerungsprojekte und holzen die Wälder für neue Farmen ab. Aber weil in den Tropen nicht die Gletscher die Feuchtigkeit für die Trockenzeit speichern, sondern die Wälder, könnte bald schon nichts mehr die Dürre aufhalten.

Von Dagmar Röhrlich | 07.12.2007
    In der Sprache der Massai ist ihr Name Siringet – endlose Ebenen. Seit den Tagen von Bernhard Grzimek ist Serengeti ein Mythos, ein Traum von Afrika. Sie ist die Bühne für die letzte große Tierwanderung der Erde, eine Landschaft von atemberaubender Schönheit:

    "Die Serengeti ist mit Sicherheit etwas ganz Besonderes, etwas Besseres gibt es einfach nicht."

    Seit Jahrmillionen ziehen Gnus und Zebras durch diese weite Savanne. So alt ihre die Geschichte ist, so ungewiss ist die Zukunft der Serengeti: Klimawandel, Bewässerungsprojekte, Überbevölkerung und Tierkrankheiten könnten diesen Mythos zerstören.

    "Grzimeks bedrohtes Erbe – oder das zerbrechliche Gleichgewicht der Serengeti – von Dagmar Röhrlich"

    Wir sind in Seronera, im Zentrum der Serengeti. Hier gibt es eine abgetakelte Lodge, ein paar überfüllte Zeltplätze, eine Tankstelle, den einzigen Laden weit und breit für Nudeln, Tomatenpüree oder Rotwein. Neben dem Besucherzentrum befindet sich die Parkverwaltung, etwas entfernt die Afrika-Zentrale der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft: ein paar Bungalows, die jetzt von einem über und über mit violetten Blüten bedeckten Jacaranda-Baum überragt werden.

    Es ist Abend. Auf der Sandpiste vor dem Forschungszentrum ist es ruhig geworden: Weder Geländewagen noch die Überlandtransporter von Dar-es-Salaam zum Victoria-See dürfen in der Dunkelheit fahren. Nur der Generator wummert. Wir sitzen bei Kerzenschein auf der Terrasse und freuen uns auf die Vorstellung. Als erstes tauchen die Hyänen auf. Hochbeinig nähern sie sich dem kleinen Wasserbecken im Garten. Sie trinken, eine legt sich hin, den Kopf auf die Pfoten wie ein Hund. Eine andere schnüffelt herum, wagt sich sogar mit einem Satz bis an die Sisalpflanzen um die Terrasse vor. Aber weil sie weiß, dass sie das nicht darf, zieht sie sich rasch zurück und verscheucht lieber ein halbwüchsiges Jungtier. Plötzlich werden die Hyänen nervös, verschwinden lautlos in die Nacht. Dann teilt sich das Gras: Drei Löwinnen treten heraus. Nach einem gelassenen Blick auf uns beginnen sie zu trinken. Danach räkeln sie sich wie Kätzchen im Gras, schärfen ihre Krallen an einer Akazie.

    Dass die Serengeti noch existiert wie vor Urzeiten, haben wir Bernhard Grzimek und seinem Sohn Michael zu verdanken. Ihr Film "Serengeti darf nicht sterben" machte die Savanne weltberühmt: Mitten in der Sputnik-Euphorie weckten sie die Sehnsucht, diese grandiose Wildnis mit eigenen Augen zu sehen. Bernhard Grzimek:

    "Diese Nationalparks werden eine Quelle großer Einnahmen werden durch Tourismus. Ich habe dem Dr. Nyerere, dem Ministerpräsidenten von Tanganjika klar gemacht, wie sich die Psyche der Bevölkerungsmassen in Europa und Amerika verwandelt hat. Wir sind, glaube ich, zu 80 Prozent in der Großstadt, völlig getrennt von Tieren, und das gilt für Amerika überall. Etwas, was es eben in der Menschheitsgeschichte noch nicht gab. Dazu gehört nun keine Prophezeiung zu sagen, dass bei der jährlichen Zunahme des Welttourismus sehr bald entdeckt werden wird Afrika."

    Die Grzimeks wollten die Serengeti beschützen – und sie wussten, dass sie diesen Traum nur gemeinsam mit den Einheimischen verwirklichen konnten. Die unberührte Natur Afrikas als Einnahmequelle zu nutzen, das war die Idee des engagierten Naturschützers Bernhard Grzimek.

    "Denn nach Tanganjika, dass jemand hinfahren wird, um sich die grünen Hügel Hemingways zu besehen, wenn keine Elefanten da sind, so schön ist das Land nicht. Sondern wenn die Leute hierher kommen, dann wollen sie ganz einfach Elefanten und Löwen und Giraffen und wilde Tiere sehen, die sonst es nirgends mehr auf der Welt gibt. Diese verstädterten Menschenmassen werden danach suchen, wenn man es fertig bringt, bestimmte Landstriche vor der Besiedlung und vor dem Ruin zu bewahren. Das ist eigentlich das Hauptbemühen, wenn wir das in den nächsten zehn Jahren schaffen, wird später niemand mehr auf die Idee kommen, in Afrika die Löwen und Elefanten ausrotten zu wollen. Da bin ich völlig sicher, sobald diese Dinge sich eingelaufen haben."

    Ohne die Kampagne Grzimeks wäre die Artenvielfalt der Serengeti Geschichte – so wie am Kilimandscharo, wo früher den Massai beim Hüten ihrer Herden Elefanten und Löwen begegneten. Heute gibt es dort weder Massai noch Löwen, nur Plantagen.

    Am nächsten Morgen begrüßt uns ein missmutig dreinschauender Klippschliefer. Er ist der "Herr" unseres Hauses, und es passt ihm nicht, dass sich Menschen hier einquartiert haben. Eben ist das kaninchengroße Fellbündel mit einem Heidenlärm übers Verandadach getobt. Es hat sich angehört wie eine Herde Pferde auf der Flucht. Jetzt hockt der kleine Verwandte der Elefanten mit den heruntergezogenen Mundwinkeln auf dem Mäuerchen und verrichtet voller Verachtung sein Morgengeschäft neben unserem Frühstückstisch.

    1958 zählten Bernhard Grzimek und sein Sohn Michael nicht einmal 100.000 Gnus innerhalb des Nationalparks. Heute tummeln sich dort viermal mehr Tiere. Grzimeks Traum hat sich erfüllt, stellt Markus Borner fest. Er ist sein Nachfolger und koordiniert von hier aus das Afrika-Programm der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft. Borner:

    "Ich glaub’, es gibt kein Gebiet, das so viele verschiedene Großsäuger hat. Wir haben 24 verschiedene Großsäuger-Arten in der Serengeti."

    Erzähler: Als Markus vor mehr als 20 Jahren nach Seronera kam, hatte er einen Zweijahres-Vertrag in der Tasche. Nun sei er hier "fossilisiert", meint der Zoologe mit den zahllosen Lachfalten und dem Ohrring, mit dem ihn seine Eltern als kleines Kind nach alter Schweizer Tradition gegen den Bösen Blick schützten. Borner:

    "Was mich immer noch erstaunt ist, wie Bernhard Grzimek wirklich Visionär war. Eigentlich ist die Serengeti so, wie er sie sich vorgestellt hat vor 50 Jahren."

    1,2 Millionen Weißschwanz-Gnus und Hunderttausende von Zebras schlagen auf ihrer Suche nach Wasser und Gras einen gewaltigen Kreis: Im November, wenn die neue Regenzeit beginnt, grasen die Gnu-Herden in den Ebenen, wo sie innerhalb von drei Wochen eine halbe Million Jungtiere gebären – zu viele, als dass die 3000 Löwen und 7000 Hyänen sie alle fressen könnten. Borner:

    "Wenn die Jungtiere etwa drei Monate alt sind, hört der Regen auf in der Ebene, das Wasser wird salzig. Und dann ziehen die Gnus gegen Westen, dem Regen nach. Wenn auch dann die Regen aufhören, dann drehen sie um und gehen ganz in den Norden über die Grenze nach Kenia rein und halten sich dann in der Trockenzeit um den Mara-Fluss im Grenzgebiet zwischen Kenia und Tansania auf."

    Auf ihrer Wanderung begegnen die Gnus und Zebras Antilopen, Gazellen, Giraffen und Büffel – und sie alle werden von jährlich 120.000 Touristen begleitet: Die Betten in der Serengeti sind ausgebucht.

    Gerade ist eine Zebramangusten-Familie angekommen. Wie üblich inspiziert die quirlige Schar den Garten, dann nehmen die Tiere ein Bad nach Mangustenart und tunken abwechselnd ihre Vorder- und Hinterkörper ins Wasser. Als ihnen das zu langweilig wird, erobern sie die Terrasse, wuseln zwischen unseren Füßen herum und schwatzen ununterbrochen.

    Joe ole Kuwai ist ein kleiner, rundlicher Mann, der vor Energie nur so sprüht. In der Woche arbeitet Joe in der westlichen Welt, ist als Projektleiter Afrika bei der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft ganz Manager. Aber am Wochenende kehrt er in seine Massai-Welt zurück, sitzt in die traditionellen roten Tücher gehüllt vor seinem kleinen Haus am Rand des Ngorongoro-Kraters und ist stolz auf seine Kuhherde. Er lebt in beiden Welten- problemlos. Ole Kuwai:

    "”Früher lebten überall in der Serengeti Massai. Auch hier, wo das Forschungszentrum und die Parkverwaltung stehen, hier waren ihre Dörfer. Die Massai betrachten die Serengeti immer noch als ihr Land.""

    Joe wuchs als Hirtenjunge in den Gol-Bergen am Rand der Serengeti auf und hat damals Bernhard Grzimek kennengelernt. Ole Kuwai:

    "Er hat mich unterstützt und mich am Ende der Ferien zur Schule gebracht. So hat unsere Freundschaft begonnen. Weil meine Eltern nicht wollten, dass ich in die Schule gehe, hatten mich Missionare einfach mitgenommen. Nach den Ferien zu Hause wollte ich nie zurück, aber da hat mich Grzimek ermutigt: ‚Du musst in die Schule gehen’, hat er gesagt, er hat mit mir darüber gesprochen, wie wichtig die Schule ist. So habe ich ihn kennengelernt."

    1959, Joe war noch ein Kind, mussten die Massai die Serengeti verlassen. Ihre Heimat sollte ganz den Wildtieren gehören. So war es beschlossen. Ole Kuwai:

    "” Es gab ein Übereinkommen zwischen den Ältesten der Massai und der Kolonialregierung. Die Massai wurden in das Naturschutzgebiet Ngorongoro umgesiedelt. Aber leider wurden viele Versprechungen nicht erfüllt: etwa, dass wir Schulen haben würden, Brunnen und all’ die anderen Annehmlichkeiten, die die anderen Tansanier bekommen.""

    Die Annehmlichkeiten bleiben wohl auch weiterhin aus, denn die Regierung Tansanias möchte niemanden in das ohnehin überbevölkerte Naturschutzgebiet locken. 1954 lebten dort 10.000 Massai, heute sind es mehr als 50.000. Kamen damals auf jeden Massai 26 Rinder, Ziegen und Schafe, sind es heute fünf. Je mehr Massai es werden, desto weniger Vieh kann jeder besitzen, weil das karge Land einfach nicht mehr trägt. Also fühlen sich viele Massai betrogen, weil sie auch während der Trockenzeit nicht mehr in die Serengeti dürfen. Ole Kuwai:

    "”Erst da haben sie verstanden, dass ihnen ihr Land wirklich genommen worden ist und dass sie im Park nicht mehr willkommen sind. Die Serengeti war so wichtig für sie, weil es dort rund ums Jahr Gras und Wasser gab. Wenn die Dürre zu lange dauert, sehen sie das hohe Gras im Park, das nicht überweidet ist und wissen, dass sie nicht zurück dürfen. Treiben sie ihr Vieh hinein, drohen ihnen Geldstrafen oder Gefängnis.""

    Ein Stachel blieb zurück, denn als Ersatz für die endlosen Ebenen bekamen sie nicht das versprochene "bessere Land mit gutem Wasser und Gras". Vielmehr zwackte die Kolonialregierung 8000 Quadratkilometer Ödland um den Ngorongoro-Krater für sie ab. Der Krater selbst ist zwar eine Oase inmitten der Kargheit, aber ihn müssen sie mit Wildtieren und Touristen teilen: Nur wenige Stunden am Tag dürfen sie ihr Vieh dort für ein paar Stunden weiden. Joe ole Kuwai:

    "”Für die Massai ist der Nationalpark eine Sache für die Regierung und die Touristen. Er geht sie nichts an, sie lassen die Serengeti links liegen.""

    Vor ein paar Tagen fuhren wir auf dem Weg nach Seronera durch das Ngorongoro-Naturschutzgebiet. Bilder fliegen am Autofenster vorbei. Frauen bieten am Straßenrand billigen Perlenschmuck an, andere treiben bepackte Esel vor sich her. Ein in rote Tücher gekleideter Massai-Krieger schaut, lässig auf seinen Speer gestützt, in die Ferne. Die Landschaft ist karg: die Wüstenei um die weltberühmte Olduwai-Schlucht und die Hochebene, die sich an die Serengeti anschließt. Die Luft flirrt. Eine Fata Morgana gaukelt einen See vor, und in der Ferne reißt der Wind eine Staubhose hoch. Das spärliche Gras ist kurz. Wovon das Vieh satt wird und die Thomson-Gazellen, ist ein Rätsel. Es ist Olameyu, das Jahr des Hungers – so nennen die Massai die Trockenzeit. Tag für Tag müssen sie mit ihren Herden viele Kilometer zur Weide oder Tränke wandern. An der Grenze zur Serengeti hätten wir das Eingangsschild nicht gebraucht. Es ist klar, wo die Grenze verläuft: Das Naturschutzgebiet ist hoffnungslos überweidet, in der Serengeti steht das Gras hoch.

    An den Grenzen des Nationalparks leben verschiedene Stämme, und sie haben ein durchaus unterschiedliches Verhältnis zu Wildtieren. Markus Borner:

    "Wir haben im Osten die Massai, das sind Kuhhirten. Mit denen klappt es eigentlich supergut, weil die sind tolerant dem Wild gegenüber. Die sind erstaunlich auch, wenn die Wildhunde mal denen eine Ziege fressen, das ist eben ein Teil von deren Leben. Im Westen, da ist die Situation anders. Da ist eine viel größere Populationsdichte, und die N’Sukuma, das sind vor allem Farmer. Und die Wakuria, das sind teilweise Farmer und teilweise Kuhhirten auch. Da sind die Grenzen dann eben viel härter."

    Ackerbau und Wildtiere vertragen sich kaum. Als der Nationalpark 1951 gegründet wurde, war das Land dünn besiedelt. Inzwischen sind die Serengeti und der Ngorongoro-Krater Inseln der Wildnis in einem Meer von Menschen. Zeitweise wuchs die Bevölkerung mit jährlich neun Prozent dreimal so schnell wie im Landesdurchschnitt. Es ist eine bäuerliche Gegend. Die Menschen sind arm, Acker- und Weideland knapp. Also drängen die Leute immer näher an die Serengeti heran. Und wenn ihr Vieh klapperdürr wird, weil der Regen ausbleibt, finden es die Massai ungerecht, dass sie nicht zurückdürfen. Sie fragen, so Joe ole Kuwai:

    "”Denn die Wanderung der Wildtiere führt über Massai-Land: Die Gnus und Zebras grasen dort, trinken Wasser, und wir stören sie nicht. Wenn wir das den Wildtieren erlauben, warum dürfen wir in der Trockenzeit nicht mit unseren Tieren in den Park? Warum dürfen wir es nicht genauso machen?""

    Angesichts einer ungewissen Zukunft fühlen sich die jungen Massai betrogen. Um ihr Land herum entstehen neue Siedlungen und Baumwollfelder. Die Herden ernähren die Familien nicht mehr, Ackerbau dürfen sie am Ngorongoro nur für den Eigenbedarf betreiben. Da ist eine wütende Generation herangewachsen, erklärt Joe ole Kuwai:

    "”Diese junge Generation ist sehr stark in ihren Entscheidungen und ihrem Denken, und sie sind unglücklicherweise aggressiv. Wir sollten sie ausbilden und in unserer Nähe behalten, denn sonst könnten sie im Handumdrehen alles zerstören, was wir über 50 Jahre aufgebaut haben.""

    Denn der Nationalpark ist nur ein Teil des Ökosystems Serengeti: Das wird durch die Wanderungen der Gnus und Zebras definiert und reicht weit über die Parkgrenzen hinaus. Es ist etwa so groß wie Hessen: Die Tiere wandern über Gemeindeland – über das der Massai und der anderen Stämme, die rund um die Serengeti siedeln.

    In diesem Jahr haben es die Massai leichter. Obwohl sich die Trockenzeit ihrem Höhepunkt nähert, ist das Gras nicht gelb und knisternd trocken wie es sein sollte. Vielmehr ist die Serengeti ungewöhnlich grün, denn es hat in den vergangenen Wochen immer wieder heftig geregnet. Die Büffel wird es freuen, die sich in Seronera für die Touristen in den drei Geländewagen in Positur zu stellen scheinen und fotogen die Köpfe ins Licht drehen. Als in den vergangenen Jahren immer wieder die kleine Regenzeit im November ausfiel, sind viele Tiere verdurstet. Nur für die Löwen und Hyänen war es ein Fest, weil ihre geschwächte Beute leicht zu jagen war und es reichlich Aas gab. Aber dieser Regen zur Unzeit ist kein gutes Zeichen:

    "The climate is not really as consistent as in the past.”"

    Die Jahreszeiten sind nicht mehr so verlässlich wie früher, erklärt Yannick Ndoinyo. Er entwickelt als Community Conservation Officer mit den Gemeinden Konzepte für den Naturschutz. Die Ursachen für die neue Unbeständigkeit des Wetters liegen nicht in Afrika: Es ist der Klimawandel, der alles extremer macht. Markus Borner:

    ""Die direkte Auswirkung der Klimaerwärmung wird sein auf diesem Gürtel, wo die Serengeti liegt, die liegt da auf dem Äquator, dass die Regenmenge etwa gleich bleibt, aber unregelmäßiger verteilt. Wir haben viel stärkere Regen mit Überschwemmungen, und dann haben wir viel stärkere und längere Trockenzeiten."

    Da wächst ein Problem heran, erklärt Markus, denn es gibt nur einen Fluss im gesamten Serengeti-Ökosystem, der das ganze Jahr über Wasser führt: der Mara – und von ihm hängt die große Wanderung der Gnus und Zebras ab. Borner:

    "Es gibt keine andere Wasserquellen für die Tiere in diesem ganzen Gebiet, und die sind ja da nicht nur wegen dem Wasser, sondern auch wegen dem Gras, weil dort oben im Norden auch die größte jährliche Regenmenge fällt."

    Wenn von August bis Oktober die Dürre auf dem Höhepunkt ist, schafft der Mara das Wasser der letzten Regenfälle aus seinem Quellgebiet im kenianischen Mau-Gebirge in Richtung Viktoria-See. In den Tropen sind Bergwälder die Wasserspeicher. Wenn es regnet, saugen sich voll wie ein Schwamm und geben das Wasser in der Trockenzeit langsam wieder ab. Borner:

    "In den letzten zwanzig, dreißig Jahren sind diese Mau-Bergwälder sehr empfindlich abgeschlagen worden, fast um die Hälfte reduziert."

    Für Holz und Ackerland. Der Wald weckt Begehrlichkeiten der bitterarmen Bevölkerung, und die kenianischen Lokalpolitiker versprechen den Menschen Land. Etliche Familien erhielten die Genehmigung, ein Stück Bergwald abzuholzen, um dort zu siedeln. Dazu kommt der illegale Holzeinschlag. Die Folgen sind gravierend. Borner:

    "Deswegen kommt weniger Wasser da raus, wird auch weniger gut zurückgehalten."

    In Kenia und Tansania hängen drei Millionen Menschen vom Wasser aus den Mau-Bergen ab – ebenso wie die Serengeti. Weil der Mara schon heute nicht mehr so gleichmäßig fließt wie früher, schlagen unter anderem Forscher des UN-Umweltprogramm Unep Alarm. Also versucht die Regierung Kenias, den Schaden durch Zwangsumsiedlung zu begrenzen. Nach Angaben von Amnesty International ließ sie zwischen 2004 und 2006 Tausende Familien vertreiben. Aber weil es keine koordinierten Umsiedlungspläne gab und kein neues Land für die Heimatlosen, kehrten viele in den Wald zurück. Und es gibt noch mehr Probleme. Markus Borner:

    "Bevor es in den Park hereinkommt, wird das Wasser gebraucht um Landwirtschaft zu betreiben. Es hat im Norden vom Mara sehr große Weizenfarmen, die teilweise dann auch künstlich bewässert werden. Das heißt, dann wird auch da noch einmal Wasser weggenommen."

    Die Prognosen sind düster: Gehen Rodung und Weizenanbau weiter wie bisher, wird der Mara bald weniger Wasser zur Serengeti schaffen, als fast zwei Millionen durstige Tiere trinken. Dazu kommt der Klimawandel, der alles verschärft. Borner:

    "Starke Regen, Überschwemmungen nutzen uns gar nichts, aber längere Trockenzeiten können dann wirklich zur Katastrophe führen…"

    …wenn schwere Dürren wie die Anfang der 50er und 70er Jahre häufiger werden. Anders als damals ist der Mara jetzt schwindsüchtig: Sein Wasser könnte aufhören zu fließen. Dann wird aus einem Fluss eine Kette von Tümpeln. Borner:

    "Und die Pools, die müssen austrocknen oder ausgetrunken werden, nur fast zwei Millionen Tiere trinken ziemlich viel, und das kann sehr schnell gehen. Wir haben einmal versucht, eine Studie zu machen, was denn passieren würde, wenn der Mara-Fluss einmal austrocknet. Und nach diesem Computermodell, wenn der Mara-Fluss austrocknet zweimal für mehr als drei Wochen, kommen wahrscheinlich mehr als 90 Prozent von unseren Gnus um."

    Denn nicht die Löwen oder Hyänen beschränken die Zahl der Gnus in der Serengeti auf 1,2 Millionen, sondern das Angebot an Wasser und Gras im Mara-Gebiet während der Trockenzeit. Borner:

    "Und das Problem: Wenn die Population von Gnus unter 200.000 fallen würde, dann fallen die in ein Räuberloch rein. Das heißt, wir haben inzwischen so viele Löwen und Hyänen, dass die Gnus gar nicht mehr ansteigen können, die Population. Die würden dann durch die Räuber unten gehalten und wir würden nie wieder die Migration sehen, wie wir sie heute noch sehen können."

    In Grenzgebiet nach Kenia begegnen wir einer Gnu-Herde: Es sind Zehntausende, die wie eine endlose dunkle Perlenkette über die grünen Hügel ziehen, dazwischen wiehern Zebras. Ein halbes Dutzend Landrover parkt hier, jeder mit vier, fünf Touristen besetzt. Misstrauisch nähern sich die Tiere den Wagen, dann galoppieren sie einzeln oder kleinen Gruppen los, dass der Staub unter ihren Hufen aufwirbelt. Sobald sie die ersten Büsche erreichen, werden sie langsamer und verteilen sich, um zu grasen. Dort müssen Löwen ein Zebra gerissen haben, jetzt rangeln die Geier noch um einen Fetzen Fleisch, streiten, flattern auf, während andere in einer Schirmakazie warten, dass ein Platz am Kadaver frei wird. Borner:

    "Die Serengeti lebt ja von ihren dynamischen Funktionen, die eben hier noch ungestört ablaufen. Und wenn diese Prozesse unterbrochen und gestört werden, dann kann das so eine richtige Lawine kann das nach sich."

    Und zum Zusammenbruch des Systems führen. Aber derzeit geht es der Serengeti sehr gut: Die Bestände von Antilopen, Gazellen, Giraffen, Büffel, Elefanten, Löwen oder Leoparden wachsen. Bei Gnus und Zebras ist die Population am oberen Limit dessen, was der Mara hergibt. Borner:

    "Die große Biodiversität, die die Serengeti hat, die bleibt nur erhalten mit dieser Gnu-Wanderung."

    Tag für Tag könnte ihr Dung einen 200 Meter langen Güterzug füllen, und ohne diesen Dung wären die endlosen Weiten wenig fruchtbar. In weiten Teilen der Serengeti besteht der Boden aus Vulkanasche, aus der der Regen im Lauf der Zeit Mineralien ausgewaschen hat. Die sammelten sich wenige Zentimeter tief unter der Oberfläche an und bildeten eine für Pflanzenwurzeln undurchdringliche Schicht: Das einzige, was hier gut wächst, ist Gras. Borner:

    "Die Gnus beeinflussen alles, von Vegetation, zu den anderen Tieren, zu den Räubern natürlich und die Gnu-Migration, die beeinflusst auch, wie die Leute hier leben. Gnus ändern alles, wenn die Gnus nicht mehr da sind, ist das hier ein anderer Platz."

    Auf ihren Wanderwegen ziehen die Gnus auch über Gemeindeland, und die Stämme, die dort leben, haben sehr unterschiedliche Interessen, erklärt Godlisten Matilya, der für das Ökosystem Management Projekt der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft verantwortlich ist:

    "Wir haben es mit Bauern zu tun, mit Hirten und wieder andere sind noch Jäger und Sammler. Wenn wir den Naturschutz stärken, gibt es automatisch mehr Elefanten oder Wildhunde – und das schmälert die Erträge der Leute. Die Wildhunde greifen das Vieh an, die Elefanten räubern die Felder. Es ist wirklich eine Herausforderung, diejenigen vom Naturschutz zu überzeugen, die später die Nachteile haben."

    Wir sind in Bonchugu. Bunt gekleidete Frauen kaufen ein, Kinder flitzen über die Dorfstraße, die Männer sitzen im Schatten eines Baums und schwatzen. Am Dorfplatz warnt ein großes, handgemaltes Schild vor Aids. Die Leute hier sind arm, leben von der Landwirtschaft und Gelegenheitsarbeiten. Bonchugu liegt direkt an der Grenze zur Serengeti, und hier gibt es immer wieder Konflikte zwischen den Dorfbewohnern und den Elefanten, erzählt der Ortsvorsteher Mitamarua Maischuri.

    Die Elefanten fressen die Ernte, übersetzt Lukas Malubu. Er schreibt seine Magisterarbeit über ein Experiment, das die Dickhäuter von den Dörfern fernhalten soll. In Afrika gibt es das Problem überall, wo Elefanten frei herumlaufen, und überall wird an Lösungen geforscht. Eine Idee sind Chili-Zäune. Elefanten hassen den Duft von Chilisamen. Lukas hat einen Bauern überzeugt, sein Feld mit einem hohen Zaun zu umgeben, über den in Rüsselhöhe alte Tücher hängen. Die sind mit einem Gemisch aus Chilisamen und altem Motoröl imprägniert. Der Chili dient zur Abschreckung, das Öl lässt die gemahlenen Samen am Stoff kleben.

    In der Dorfschule wartet eine Abordnung der Bauern. Während die Kinder draußen spielen, sitzen die Männer eingezwängt in den Bänken der Erstklässler. War der Versuch erfolgreich? Die Elefanten haben das eingezäunte Feld in Ruhe gelassen! Dabei hatten alle die Idee für einen Scherz gehalten. Ein ausgewachsener Elefant soll sich von Tüchern abhalten lassen? Stolz zeigt uns der Bauer sein Feld. Jedes Jahr habe er Sorghum-Hirse angepflanzt – und immer kamen die Elefanten und ernteten für ihn. Nie habe er auch nur einen Korb Sorghum geerntet. Deshalb war ihm auch der Spott der anderen egal, als er sein Land für den Versuch zur Verfügung stellte. Diesmal hat er geerntet, fast fünf Zentner! Sobald die Elefanten den Chili rochen, machten sie kehrt und – fraßen die Felder der anderen leer. Jetzt möchten alle Bauern solche Chili-Zäune haben, am besten den ganzen Grumeti-Fluss entlang, über den die Elefanten aus dem Nationalpark kommen. Eigentlich sollte das Projekt Hilfe zur Selbsthilfe anstoßen – aber die Leute bitten um Unterstützung, um Chili kaufen zu können und Seile. Später wollen sie das Projekt alleine weiterführen, nur einmal wollen sie zuvor ernten. Yannick Ndoinyo:

    "Wenn wir uns mit unseren Bemühungen um den Naturschutz nur auf die Tiere konzentrieren, die im Nationalpark leben, werden wir die Wanderwege für die Gnu-Migration verlieren und damit die ganze Wanderung. Um am Ende nicht mit leeren Händen dazustehen, müssen wir diese Gemeinden in den Naturschutz einbeziehen."

    Weil immer mehr Menschen um den Park leben, geraten die Gnus auf dieser Wanderung zwangsläufig auf Land, das Menschen für sich beanspruchen. Konflikte entstehen, die gelöst werden müssen. Borner:

    "Für uns geht es einfach nicht mehr darum, dass man ein schönes Fleckchen Erde kriegt und dann guckt, dass man das beschützen kann. Wir müssen heute wirklich daran denken: Wie können wir die Leute, die auch ein wichtiger Teil des Ökosystems sind, auch als Teil des Ökosystems behandeln und nicht nur als unerwünschte Fremdkörper."




    Grzimeks Idee vom Tourismus soll wieder ziehen. Die Gemeinden, über deren Land die Migrationswege führen, sind für das Funktionieren im Ökosystem Serengeti zentral. Die Menschen dort haben jedoch die Nachteile. Wenn sich die Bauern auf Ökotourismus statt auf den Anbau von Reis, Baumwolle oder Mais verlegen, bringen ihnen die Wildtiere Wohlstand. "Wildlife-Management-Area" heißt das Schlagwort, eine Art lokales Naturschutzgebiet unter Gemeindeverwaltung. Die Idee dahinter ist, dass die Menschen einerseits Verantwortung für die Wildtiere übernehmen und anderseits mit ihnen Profit machen können. Borner:

    "Sie können diese Tiere an die Jagdgesellschaften verkaufen, sie können aber auch Fotosafaris machen. Sie können also mit diesen Wildtieren Geld machen."

    Vor zehn Jahren hat die tansanische Regierung den Weg für diese Naturschutzgebiete frei gemacht: Seitdem können die betroffenen Gemeinden die Verantwortung für die Gnus, Zebras und Giraffen auf ihrem Gebiet übernehmen. Markus Borner:

    "Wir haben einen Ökonomen reingeholt, der hat sich verschiedene Gebiete angeschaut und der hat uns gesagt, was die Gebiete bringen für die Leute an direkten und indirekten Werten. Im Massai-Land bringt das etwa 250 Dollar pro Quadratkilometer, wenn sie was immer machen mit den Kühen und so. Wenn wir den Leuten sagen, ihr müsst Wildlife machen, dann muss das Wildlife den Leuten mehr einbringen. Die Leute da draußen, die sind nicht interessiert am Nationalparkgedanken, die sind interessiert, was können sie mit ihren Land machen. Da müssen wir als Naturschützer sagen: Das könnte ihr machen, ihr könnt mehr verdienen mit dem Land oder können wir nicht machen, pflanz’ Rüben."

    Maputosi liegt im Herzen des Migrationsgebietes. Durch den Regen der vergangenen Wochen wächst saftiges Gras und weiße Blütenteppiche überziehen den Boden. In einigen Wochen werden hier die Gnus und Zebras durchziehen, und sie werden von den Löwen begleitet, die sich ihren Teil aus den Herden holen. Maputosi wagt den Sprung vom Ackerbau zum Fremdenverkehrsort.

    Das Büro des Ortsvorstehers ist eng und düster. Der stellvertretende Gemeindesekretär Yussuf Matigue blättert bei jeder Frage in seinen Unterlagen, und Alais Kaigil übersetzt. Auch Alais ist Community Conservation Officer und betreut Maputosi auf dem Weg in den Ökotourismus. Nach neun Jahren habe man das Verfahren endlich erfolgreich abschließen können, erzählt Yussuf Matigue. Jetzt ist Maputosi eine staatlich anerkannte "Wildlife Management Area": Die Gemeinde darf mit staatlicher Genehmigung Geld mit den Wildtieren verdienen.

    Der Weg sei lang und mühsam gewesen: Ein Landnutzungsplan musste aufgestellt werden, ein Plan zum Management der Wildtiere und viel Papierkram mehr. Warum hat die Gemeinde die Mühe auf sich genommen? Alais übersetzt: Um Tierschutz sei es ihnen gegangen, und gleichzeitig möchte man die Armut bekämpfen. Alle in Maputosi hoffen auf eine bessere Zukunft. Der Tourismus soll Geld bringen: Die Verhandlungen mit dem Investor laufen. Von dem, was die Gäste bezahlen, wird man ein paar Dollar abbekommen. Auch die Angestellten sollen aus dem Dorf kommen, die Fremdenführer und die Wildhüter. Das große Vorbild für Maputosi ist Rubanda. Dort gibt es seit Jahren ein Zeltcamp. Die Investoren ließen sich vom Wildreichtum locken und davon, dass ihre Lodge außerhalb des Parks sehr viel billiger ist als innerhalb, erklärt Alais.

    "”Der Investor hat ein Abkommen mit dem Dorf getroffen. Pro Gast und Tag bekommt die Gemeinde fünf Dollar. Mit dem Geld ist ein Bewässerungsprojekt gefördert worden, die Schulen wurden renoviert, und jetzt baut das Dorf eine Sekundarschule. Ohne dieses Projekt hätten sie das nie gekonnt.""

    "Wenn sie damit Einkommen erzielen und ihre Kinder zur Schule schicken können, verstehen die Menschen die Bedeutung dieses Ökosystems. Darauf bauen wir auf. Wir wollen Positives für Gemeinden und Naturschutz erzielen."

    In den Gemeinden, die mit Ökotourismus Geld verdienen, steigen die Wildtierzahlen, fährt Godlisten fort, weil für die Menschen die Wildtiere lebendig wertvoller sind als tot. Das Wildern verliert an Bedeutung. Während die illegale Trophäenjagd der Reichen dank der intensiven Kontrolle der Ranger seit 20 Jahren keine Rolle mehr spielt, ist die Wilderei für den eigenen Kochtopf oder den Verkauf von Buschfleisch nach wie vor ein Thema. Etwa 20.000 Tiere jährlich verenden in ihren Schlingen und Fallen – vor allem Gnus, schätzt Markus:

    "Die Gnu-Migrationen kann das verkraften. Wir möchten das auch weiter legalisieren, dass in der Zukunft die Dörfer, die um den Park herum leben, die eben auch uns helfen, nach den Ressourcen zu gucken, diese 20.000 Tiere auch abbekommen, und zwar legal, und dass sie nicht mehr Wilderer sind, sondern dass sie dann eben die lokalen Jäger sind, die diese Quote auch vom Park bekommen können."

    Es ist Nachmittag in Seronera, und die Touristen sitzen wieder in den Geländewagen und sind auf der Pirsch – mit Kameras und Handys bewaffnet, falls man etwas ganz Besonders zu den Lieben nach Hause berichten möchte. Zwei Löwinnen haben ein Zebra erlegt. Krachend zerbeißen sie die Knochen, ihre Jungen kauen auf der Haut herum. Zehn, elf, zwölf Wagen stehen in drei Reihen um sie herum. Die Leute unterhalten sich leise, Englisch, Deutsch, Französisch, Niederländisch – man filmt, fotografiert – und versucht die Motoren der anderen Autos zu ignorieren. Die einen Fahrer manövrieren nach vorn, andere fahren weg, um die nächste Attraktion zu suchen. Borner:

    "Dem Löwen ist es ziemlich schnurz, ob jetzt 35 oder 40 Autos um ihn herumstehen. Wenn wir die Serengeti als Wildnisgebiet verkaufen, dann können wir nicht bei jedem Löwen 35 Autos haben."

    Eigentlich sind 120.000 Touristen in einem Gebiet von der Größe Thüringens nicht sehr viel. Pro Jahr – wohlgemerkt. Aber sie sind alle auf drei Gebiete konzentriert: um Seronera herum, im Norden der Serengeti um Lobo und dann ist da noch der Ngorongoro-Krater. Durch die Massierung erleben die Touristen oft nicht die Wildnis, die sie suchen – sondern andere Touristen. Außerdem möchte die tansanische Regierung mehr Geld aus den Nationalparks ziehen. Borner:

    "Weil man gemerkt hat, dass man mit Tourismus viel Geld machen kann, ist der Druck immer größer jetzt von dem Tourismusunternehmer, vom Staat, dass mehr Hotels gebaut werden, das mehr Straßen gebaut werden, das mehr Touristen reingeholt werden."

    Gäbe es in den alten "Ballungsgebieten" dreimal so viele Betten wie bisher, würden dreimal so viele Touristen Wasser verbrauchen und sich dreimal so viele Wagen um den scheuen Geparden sammeln, der sich im Gebüsch versteckt, gäbe es ernsthafte Probleme. Also hat die Frankfurter Zoologische Gesellschaft US-Forscher beauftragt, für die tansanische Regierung neue Tourismus-Pläne zu entwickeln. Das Fazit: Soll die Serengeti im 21. Jahrhundert überleben, muss sie exklusiv werden. Borner:

    "Wir sind einfach zu viele Menschen auf diesem Planeten, und es ist heute auch schon so, dass – wenn man durch den Gran Canyon hindurch fahren will auf einem Boot, muss man zwei bis drei Jahre im Voraus bestellen und auch mächtig bezahlen dafür. Und ich glaub’, dass in der Zukunft einfach nicht unbegrenzt mehr Besucher dieses Gebiet anschauen können."

    Wenige Besucher sollen über das ganze Gebiet verteilt werden und dann sehr viel mehr für ein dann ursprüngliches Wildniserlebnis bezahlen – mit ein paar tausend Dollar pro Nacht muss man dann schon rechnen. Wer die Luxuscamps nicht bezahlen kann, geht in die Wildlife-Management-Gebiete außerhalb des Parks – und dann profitieren auch die Dorfbewohner von der Einzigartigkeit der Serengeti.

    Der Vulkan Oldoinyo Lengai liegt am Rand der Serengeti mitten im Massai-Land. Dort oben wohnt Engai, der "eine und einzige Gott" der Massai, der ihnen die Savanne schenkte, die Rinder und den Regen. Wenn Engai zürnt, schickt er Feuer und Rauch – und er scheint gerade ungehalten zu sein, denn der Vulkan sprüht schwarze und weiße Ascheflöckchen übers Land. Wie feiner Schneegraupel fallen sie aus den dunklen Wolken heraus, die der Lengai grollend in den Himmel schickt. Die Ältesten der Massai rufen ihre Familienangehörigen, die das Vieh an den Hängen des Vulkans weiden, in die Dörfer zurück. Wir stehen am Pass und schauen hinab in den Ostafrikanischen Graben. Der Natronsee gleißt im Mittagslicht. Dort unten seihen Millionen von Flamingos das Wasser durch ihre Schnäbel, um die kleinen Krebschen heraus zu fischen. Wenn wir in ein paar Stunden abgestiegen sein werden, werden wir sie sehen, wie ein rosa Band, das sich den See entlang zieht, ein Flamingo neben dem anderen, und sie scheinen trappelnd und gebeugt ein Ballett aufzuführen. Dort unten unterhalten die Massai für die wenigen Touristen, die sich hierher verirren, einen Campingplatz. Mit fließend warmem Wasser! Werden die Pläne eines indischen Industriellen wahr, können sie schließen. Er will eine Fabrik bauen, die Buntmetalle aus dem Wasser des Natronsees ziehen soll. Das wäre das Ende der Zwergflamingos auf dieser Welt – und Massai verlören wieder ihr Land, auf dem sie sie selbst sein dürfen.

    Auch in Afrika macht die Industrialisierung vor der Wildnis nicht halt. Die Metallfabrik ist nur ein Projekt. Ein anderes ist das Ewaso-Ng’iro-Wasserkraftprojekt, das die Energieprobleme der kenianischen Hauptstadt Nairobi lösen soll. Markus Borner:

    "Es ist natürlich klar, dass Nairobi dauernd unter Strommangel leidet. Und das ist ganz klar, dass dann eben rumgeguckt wird, wo man eben noch Strom erzeugen könnte."

    Der Mara soll nicht mehr in den Viktoria-See fließen: Vielmehr soll er in Kenia über zwei Staustufen fließen und Strom produzieren. Anschließend soll er durch einen Tunnel in den Natronsee geleitet werden. Die kenianische Umweltverträglichkeitsstudie, die nur das eigene Land betrachtete, kam zu dem Schluss, dass das Projekt vertretbar wäre. Die Umweltverträglichkeitsstudie, die die Frankfurter Zoologischen Gesellschaft für das Gesamtsystem in Kenia und Tansania in Auftrag gegeben hat, kam zu einem vollkommen anderen Ergebnis. Borner:

    "Darauf ist das schon in der Schublade eigentlich verschwunden. Was ein bisschen mir Angst macht dabei ist, das liegt in einer Schublade, und im Moment ist es zwar nicht auf dem Tisch, aber wenn die Not – noch mehr Strom – und der Druck von der Wirtschaft wächst, dann kann so was jederzeit wieder aus der Schublade herausgeholt werden."

    Die Serengeti ist ein Relikt aus einer untergegangenen Zeit, als sich der Mensch noch nicht den ganzen Planeten untertan gemacht hat. Die letzte große Tierwanderung der Erde wird nur überleben, wenn es gelingt, die Menschen, die dort leben, zu beteiligen, meint Joe ole Kuwai nachdenklich:

    "”Wenn wir sie nicht einbeziehen, wenn wir sie vergessen, wird das unser Untergang. Dann ist in fünf Jahren alles vorbei. Grzimek hatte die Vision, dass die Serengeti nicht sterben solle. Aber wenn wir in der Entwicklung nicht vorsichtig sind, dann wird die Serengeti sterben.""

    Markus Borner – ist Optimist. Heute ist die Serengeti sehr viel wertvoller als 1950. Das sei eine Garantie für die Zukunft:

    "Heute hat die Serengeti einen so irrsinnigen materiellen Wert, dass das auch eine gewisse Garantie ist, dass man die Serengeti erhält in der Zukunft. Das heißt auch, unsere Probleme können wir so eben umdeichseln, dass sie uns auch einen Vorteil bringen, und ich bin ziemlich zuversichtlich, dass es auch die Serengeti in 50 Jahren noch so gibt."

    Der Club der Büffel macht uns seine nachmittägliche Aufwartung im Garten. Die fünf majestätischen Tiere mit ihren weit ausladenden Hörnern sind alt, und deshalb haben ihre Herden sie verstoßen. Ihnen ist die Wasserstelle im Garten ganz recht. Sie sind wie alte Herren, die ein bisschen Bequemlichkeit zu schätzen wissen. Irgendwann wird einer von ihnen von den Löwen gerissen werden, aber bis dahin schauen sie täglich hier vorbei.

    Hinweis: Dagmar Röhrlich berichtet über ihre Recherchereise in de Serengeti in einem Reisetagebuch.
    Löwin im Abendlicht der Serengeti.
    Löwin im Abendlicht der Serengeti. (Dagmar Röhrlich)
    Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Bauern am Rand der Serengeti.
    Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Bauern am Rand der Serengeti. (Holger Kroker)
    Das beste Anzeichen für einen Leoparden oder Geparden in der Serengeti sind die Pulks von Landrovern, die sich um die Tiere versammeln.
    Das beste Anzeichen für einen Leoparden oder Geparden in der Serengeti sind die Pulks von Landrovern, die sich um die Tiere versammeln. (Holger Kroker)
    Der Oldoinyo Lengai, der Berg Gottes, ist der heilige Berg der Massai.
    Der Oldoinyo Lengai, der Berg Gottes, ist der heilige Berg der Massai. (Markus Borner)