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Serie "American Crime Story"
Der Teufel trägt Versace

Nach O.J. Simpson nun Gianni Versace: Die Anthologieserie "American Crime Story" dokumentiert erneut einen medienwirksamen Mordfall und blickt in die Abgründe der menschlichen Psyche. Der Trend im Seriellen geht hin zu abgeschlossenen Stoffen. Der Dramaturgie tut das gut.

Von Julian Ignatowitsch | 30.01.2018
    Gianni Versace im Jahr 1996
    In der neuen Staffel von "American Crime Story" wird ein realitätsnahes Bild des Mordopfers Gianni Versace gezeichnet (imago)
    Der Mord geschieht am helllichten Tag auf offener Straße. Modedesigner Gianni Versace wird direkt vor seinem schillernden Anwesen in Miami Beach erschossen. Der Mörder - das ist schnell klar - ist der Callboy und gesuchte Serienkiller Andrew Cunanan.
    "Andrew Cunanan, 27 years old, he has killed four men."
    Brillante schauspielerische Leistungen
    Die Fahndung beginnt - und doch ist sie zweitrangig. Denn die zweite Staffel der Serie "American Crime Story" mit dem Titel "The Assassination of Gianni Versace" konzentriert sich nicht so sehr auf das Verbrechen, das gleich am Anfang steht, oder die Ermittlungsarbeiten, die folgen. Nein, es sind wieder Täter und Opfer, die im Mittelpunkt der Handlung stehen.
    Ob sich Versace und Cunanan vorher begegnet sind, sich kannten, ja sogar eine Affäre hatten, ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Die Serie, die sich auf die Recherche und das Buch der Journalistin Maureen Orth stützt, unterstellt so ein Treffen, einen Flirt bei Champagner in der Oper von San Francisco. In zahlreichen Rück- und Vorblenden gibt "American Crime Story" einen Einblick in die glamouröse Welt von Modegenie Versace und zeichnet gleichzeitig ein Psychogramm des hochbegabten Psychopathen Cunanan, der nach und nach die Kontrolle über sein Leben verliert.
    Wie schon in Staffel eins, die den Mord- und Gerichtsfall um O.J. Simpson behandelte, gelingt der Serie ein verblüffend realitätsnahes Abbild der Geschehnisse, was zu einem großen Teil auch an den schauspielerischen Leistungen liegt: Édgar Ramírez als Gianni Versace, Darren Criss als Andrew Cunanan und Penélope Cruz als Schwester Donatella Versace brillieren in ihren Rollen.
    "Anthologie" als Serienprinzip
    "American Crime Story" ist dabei auch ein Musterbeispiel für eine wiederentdeckte Erzählform aus der Literatur, die neuerdings unter dem Begriff der "Anthologieserie" im Fernsehen reüssiert:
    "Also, der Begriff 'Anthologieserie' geht auf das griechische 'Anthologia' zurück, was 'Sammlung' heißt. Bei einer literarischen Anthologie handelt es sich um eine Sammlung von Texten, zum Beispiel Gedichten oder Erzählungen zu einem bestimmten Thema. Die Anthologieserie ist nun der Versuch dieses Prinzip auf zeitgenössische Fernseh- und Internetinhalte zu übertragen. Die Parallele besteht in der Sammlung unterschiedlicher, aber doch ähnlicher Geschichten."
    …erklärt Philipp Pabst von der Uni Münster, der zum Thema Anthologieserie forscht.
    "Es liegt dann auf der Hand, dass die Staffeln einer Anthologieserie durch verschiedene Merkmale miteinander verbunden sein müssen. Und die verbindenden Merkmale sind Erzählweise, Figurentypologie, Kamera- und Schnitttechnik, Soundelemente oder wiederkehrende Motive."
    Nach dem Serienboom, der in den 00er-Jahren einsetzte und sich Anfang der 10er-Jahre immer mehr ausbreitete, ist in den letzten Jahren auch im Seriellen wieder eine Rückkehr zu kürzeren, abgeschlossenen Stoffen zu beobachten. Genau das leisten Anthologieserien wie "True Detective", "Fargo" oder "American Horror Story", die je Staffel eine wechselnde Geschichte erzählen. Schon in den 50er-Jahren übrigens begeisterten ähnliche Formate wie "Alfred Hitchcock Presents" oder "Twilight Zone" die Zuschauer. Wieso gerade Krimi und Horror besonders gut geeignet sind, erklärt Philipp Pabst:
    "Beim Kriminalfall ist es so, dass er auf die Abgeschlossenheit und Lösung der Ermittlung zielt, was sich vorteilhaft in einer Staffel unterbringen lässt. Und beim Genre Horror ist es so, dass es eine lange orale Tradition hat, sich Horrorgeschichten zu erzählen - und dann eben nicht nur eine, sondern viele verschiedene."
    "Ein Versuch, das Hollywood-Kino in die Fernsehserie zu integrieren"
    Dazu kommt auch ein großer Vorteil für die Produzenten: Schauspieler und Schauplätze müssen nicht über Jahre hinweg gebucht und gebunden werden, sodass die Macher mehr Gestaltungsfreiheit erhalten, um zum Beispiel auch große Namen, wie jetzt Penélope Cruz, für eine Serie zu verpflichten und dokumentarische Stoffe, wie die Mordfälle O.J. Simpson oder Gianni Versace, zu behandeln.
    "Und diese Formexperimente lassen sich auch als Versuch begreifen, das Hollywood-Kino wieder zu integrieren in die Fernsehserie."
    Ein plötzlicher Dreh-Abbruch, ein schlecht zu Ende geführtes Serienfinale sind so unwahrscheinlicher. Die gut getaktete Dramaturgie - sie ist auch in dieser Staffel wieder eine der Stärken der Serie "American Crime Story". Und der Zuschauer kann - inmitten der Flut an Neuerscheinungen - einfach einschalten, ohne vorherige Staffeln gesehen haben zu müssen.
    Ab 29. Januar 2018, montags um 20.15 Uhr, wöchentlich eine Episode, wahlweise auf Deutsch oder im Original auf Sky Atlantic HD, sowie abrufbar über Sky On Demand, Sky Go und Sky Ticket. Dazu ist die erste Staffel zum Mordfall um O.J. Simpson auf Sky und Netflix zu sehen.