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Serie: Blinde Liebe
Wie Fußball und Wirtschaft voneinander profitieren

Fußball ist in Deutschland allgegenwärtig. Mit den Vorwürfen um die WM 2006 wurde einer breiten Öffentlichkeit deutlich, wie machtbewusst und interessengeleitet der Fußball und seine Institutionen agieren. Eine Serie der DLF-Sportredaktion über Fußball in den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft. Teil 2: Das lukrative Wechselspiel zwischen Fußball und Wirtschaft.

Von Moritz Küpper | 01.01.2016
    Eine Sponsorenwand des FC Barcelona
    Sponsoren nutzen den Fußball für PR-Kampagnen und Einflussnahme auf die Vereine (dpa / picture alliance / Daniel Sambraus)
    Es ist so etwas wie ein Feuilleton in Bildern.
    "Herzliche Willkommen zum Literarischen Quartett."
    Einst die Kult-Sendung mit Marcel Reich-Ranicki, hat das ZDF die Reihe wiederaufleben lassen – und in der letzten Folge, kurz Weihnachten, tauchte auf einmal auch ein Fußball-Buch darin auf.
    "Man muss ein Spiel auch lesen können."
    Christine Westermann, die einzige Frau in dem Quartett:
    "Es ist wunderbar geschrieben, es kommen Gedichte vor, winzige Anekdoten. Es ist einfach ein Buch..."
    "Zum Verschenken?"
    "Ja".
    Und der jüngste Coup einer gelebten Kooperation eines Wirtschaftsunternehmens mit einem Fußballverein. Denn das 239-Seiten-lange Werk, geschrieben von der Autoren-Nationalmannschaft, ist ein Projekt des Chemie-Konzerns Evonik.
    "Dieses Nischen-Buch muss man eigentlich sagen, ist innerhalb von wenigen Wochen zum bestverkauften BVB-Buch aller Zeiten geworden."
    Es ist eine Woche vor Heilig Abend. Markus Langer sitzt in seinem Büro im Evonik-Hochhaus. Er leitet den Bereich "Konzernmarketing und PR" des Essener Spezialchemie-Unternehmens. Aus der einstigen Ruhrkohle AG ausgekoppelt, wurde Evonik im Jahr 2007 gegründet und sollte dann an die Börse gebracht werden:
    "Um Evonik bekannt zu machen und Vertrauen aufzubauen in dieses neue Unternehmen, haben wir damals beschlossen, einzusteigen bei einem Fußball-Verein. Hauptsponsor werden."
    Eigentlich war ein Engagement beim Revier-Rivalen Schalke 04 weit gediehen, doch diese Idee zerschlug sich. Nun also Schwarz-Gelb, der BVB. Zwar schaltete Evonik zur Gründung auch eine große, klassische Werbekampagne, aber:
    "Was eine Werbekampagne nicht leisten kann, ist, dass sie tatsächlich über das ganze Jahr hinweg, wenn sie so wollen, ein kommunikatives Grundrauschen erzeugt und ihre Marke, das ganze Jahr über im Bild hält."
    Ein Plan, der aufging – und in einer nun manifestierten Kooperation mündete: Denn Evonik ist mittlerweile nicht nur Hauptsponsor, sondern auch mit knapp 15 Prozent der größte Einzel-Anteilseigner beim BVB, dem einzigen börsennotierten Erstligisten Deutschlands. Und obwohl sich Evonik nicht an den Endverbraucher richtet, macht die Kooperation mit dem BVB deutlich, welchen Wert der Fußball für Wirtschaftsunternehmen heute hat. Denn, für Marketing-Experten Langer ist klar, im weltweiten, harten Konkurrenz-Kampf zählen Kleinigkeiten – und der BVB bringt Sympathien:
    "Dieses emotional Wohlwollen führt zu einem bestimmten Vorsprung, den wir haben vor anderen Unternehmen, vor Wettbewerbern, in dem Moment, in dem die Beziehung zu Evonik akut wird, weil jemand einen Tätigkeit sucht, einen Job sucht, weil jemand Geld investieren will oder weil jemand in der Situation ist, dass er zwischen uns als Lieferanten und einem anderen Lieferanten entscheiden muss."
    Ein Beispiel: Dortmunds japanischer Mittelfeldspieler Shinji Kagawa. Durch ihn ist der BVB in Japan bekannter als Bayern München – und der Evonik-Konzern kann bei Geschäftstreffen mit Zugang zu seinem Star punkten. Exklusive und relevante Inhalte mit dem Unternehmen verbinden, eine Vorgehensweise, die auch der FC Bayern München praktiziert. So erzählte Bayern-Trainer Pep Guardiola in einem Interview, warum er einst beim FC Barcelona aufhörte. Das Gespräch wurde weltweit zitiert, doch Guardiola gibt großen Zeitungen und Zeitschriften keine Einzelinterviews. Das Gespräch erschien im Geschäftsbericht des Audi-Konzerns, einem Anteilseigner der FC Bayern München AG.
    "Man muss sich die Fakten angucken: Sponsoring und die Investitionen in Sponsoring steigen von Jahr zu Jahr, insofern muss man konzedieren: Es macht für die Unternehmen Sinn."
    Philipp Klotz ist Geschäftsführer des "Sponsors"-Verlag und langjähriger Beobachter der Branche. Alleine das Volumen des Trikotsponsorings in der laufenden Bundesliga-Saison liegt bei rund 165 Millionen Euro. Dazu kommen noch Namensponsoring der Stadien, Banden-Aufdrucke, Klub-Partnerschaften oder eben auch Investoren wie Evonik. In den vergangen sechs Jahren sind die Investitionen im Sponsoring um über 50 Prozent gestiegen. Die Idee dahinter bleibt simpel: Man gibt Geld – und bekommt das Recht auf eine Partnerschaft. Der Ursprung solcher Initiativen geht unter anderem auf das Jahr 1973 zurück, in dem mit Eintracht Braunschweig erstmals ein Fußball-Bundesligist mit einem Trikotsponsor auflief. Ein Gegner von damals, der 1. FC Köln mit dem späteren Weltmeister Wolfgang Overath, der sich an diese Zeiten erinnert:
    "Da gab es kaum Leute aus einer anderen Ebene, Vorstandsvorsitzende oder so, die sich um Fußball gekümmert haben. Wenn sich heute der Vorstandsvorsitzende nicht über Fußball unterhalten kann, dann hat er ein Problem."
    Und diesem Trend können sich nur wenige entziehen: Die Telekom, Adidas, Audi sowie die Allianz sind mittlerweile Anteilseigner der FC Bayern München AG, des Branchenprimus. Und dieser Weg sich Anteil zu kaufen, macht aus Sicht von Sponsoring-Experten Klotz auch Sinn:
    "Wenn ich Gesellschafter und Anteilseigner eines Klubs bin, dann ist es natürlich auch sehr naheliegend, dass der Klub, der mir zu gewissen Teilen gehört ja nicht mit meinem Konkurrenten Kooperationen macht."
    Eine Vorgehensweise, die Evonik-Mann Langer unterschreiben würde, die aber für beide Seiten gilt:
    "Dass wir natürlich zum einen dafür sorgen müssen, dass der BVB auch in der Lage ist, Wettbewerbsfähig zu spielen, also auch eben eine bestimmte Sicherheit über einen längeren Zeitraum. Zum anderen, dass wir gesagt haben, wir müssen dieses Investment, das wir dort tätigen, auch absichern, in dem wir uns selbst an dem Verein beteiligen."
    Noch sind dies – zumindest nach der sogenannten 50+1-Regel, nach der Investoren nicht die Stimmmehrheit in einem Klub in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga übernehmen dürfen – Minderheitsbeteiligungen. Doch dieses Konstrukt – ohnehin ausgehöhlt durch sogenannte Werksvereine aus Leverkusen und Wolfsburg – wackelt. Sollte RB Leipzig, ein Kunst-Konstrukt von "Red Bull", so wie es aussieht, den Aufstieg ins Oberhaus schaffen, würde dies den Trend noch verstärken. Und gerade "Red Bull" steht wie kein anderer Konzern dafür, sein Produkt mit Sport zu verbinden. Auch "Sponsors"-Geschäftsführer Klotz sieht darin – siehe Evonik-Buch oder Audi-Geschäftsbericht – die Zukunft im Kampf um Aufmerksamkeit:
    "Also diese Idee zu implementieren, die aber dann auch über andere Kommunikationskanäle zum Leben zu erwecken, dass ist sicherlich die höchste Form des Sponsorings und die große Kunst."
    Es ist ein lukratives Wechselspiel, dessen Ende noch nicht in Sicht ist. Das sieht nicht nur Sponsoring-Experte Klotz so, sondern auch der Manager der Nationalmannschaft, Oliver Bierhoff. Der sagte einst bei seiner Vertragsverlängerung:
    "Ich sehe noch keine Sättigung für die Marke der Nationalmannschaft. Ich sehe noch keine Sättigung für den Fußball."
    Die Rhetorik der Wirtschaft, sie ist also längst auch im Fußball angekommen.