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Serie: Buddhismus in Deutschland
Auf den Spuren Siddhartha Gautamas

Der Buddhismus gehört zu den Weltreligionen und ist mit etwa 400 Millionen Anhängern vor allem in Asien verbreitet. Das Interesse für diese Religion nimmt in der westlichen Welt zu. Auch immer mehr Deutsche interessieren sich für den Buddhismus.

Von Jan Tengeler | 28.04.2014
    "Der Verfall des Christentums rückt sichtlich heran. Dereinst wird gewiss indische Weisheit sich über Europa verbreiten."
    So der Philosoph Arthur Schopenhauer 1854 in seiner Schrift " Über den Willen in der Natur". Für ihn war klar, dass das Christentum irgendwann in der westlichen Welt an Bedeutung verlieren werde. Aber er war auch davon überzeugt, dass die Menschen in Europa weiterhin ein metaphysisches Bedürfnis behalten würden, wie er es ausdrückte.
    Schopenhauer wusste, dass dieses metaphysische Bedürfnis immer nur bei wenigen durch die Philosophie gestillt werden kann. Da also die große Menge nicht mit der Philosophie erreicht wird, erwartete er, dass sich auch eine neue Form der Religiosität durchsetzen werde, die von der Weisheit Asiens geprägt ist.
    "Aber jener Eintritt des Buddhismus wird nicht wie einst der des Christentums in den unteren Schichten der Gesellschaft anfangen, sondern in den oberen; wodurch jene Lehren von Anfang an in gereinigter Gestalt und möglichst frei von mythischen Zutaten auftreten werden."
    Schopenhauer legte damit sozusagen den Grundstein für das Interesse deutscher Bildungsbürger am Buddhismus. Ihm folgten bald andere prominente Zeitgenossen, etwa Friedrich Nietzsche oder Richard Wagner, der dem erleuchteten Buddha sogar eine Oper widmen wollte.
    Schopenhauer war über Texte des russlanddeutschen Wissenschaftlers Isaak Jakob Schmidt auf den Buddhismus aufmerksam geworden. Er fand viele seiner persönlichen Gedanken und Überlegungen in dieser Religion Asiens wieder.
    In seiner Frankfurter Wohnung stellte er dann sogar eine Buddha-Statue auf, um seinen Besuchern auf diese Weise zu zeigen, wer hier besonders verehrt wurde.
    Der als Pessimist bekannte Schopenhauer versuchte sich aus den wenigen Schriftstücken, die damals über den Buddhismus im Umlauf waren, einen Reim auf die asiatische Weltanschauung zu machen.
    Nicht immer mit Erfolg, denn an einigen zentralen Punkten führten ungenügende Übersetzungen zu Missverständnissen. So etwa verstand er die Überwindung des Leidens, den Eintritt in das Nirwana, als eine bloße Negation der Welt und nicht etwa als freudvolles Ereignis.
    Der Buddhismus geht in seinem Ursprung auf den Inder Siddhartha Gautama zurück. Dieser hatte vor rund 2500 Jahren im Alter von 35 Jahren die Erleuchtung erlangt und zog mehr als 40 Jahre durch Nordindien, um seine Lehre zu verbreiten.
    Aber weder er selbst, noch seine ersten Jünger haben seine Lehrreden, von denen es etwa 84 000 gegeben haben soll, aufgeschrieben. Das Wissen wurde mündlich weitergegeben.
    Erst 200 Jahre später kam es zu ersten Niederschriften. Schon damals hatten sich verschiedene Schulen entwickelt und so entstand im Laufe der folgenden Jahrhunderte ein unübersichtlich großer Kanon an Lehrreden, die direkt auf Buddha zurückgeführt werden, die sogenannten Sutren.
    'Evam me suttam' - 'so habe ich es gehört', heißt es in der indischen Sprache Pali und so beginnt traditioneller Weise die Rezitation eines Sutras. Der Erziehungs- und Religionswissenschaftler Olaf Beuchling, vom Zentrum für Buddhismuskunde an der Universität Hamburg, erklärt, es sei zuweilen zweitrangig, was da eigentlich genau rezitiert werde.
    Olaf Beuchling: "Auch der asiatische Mensch versteht diese Rezitation nicht, der Buddhismus ist über 2500 Jahre alt, die ersten Aufzeichnungen sind in Palisprache getätigt worden, dann in China übersetzt worden, über manche Strecken nur noch lautmalerisch, man kann nicht mehr den intellektuellen Sinn verstehen, sondern fragen, wie die Gläubigen sagen würden, ob der Text spontan zu deinem Herzen spricht, ohne, dass man eine rationale Aussage rausziehen kann."
    Die Rezitation alter Texte spiele in vielen buddhistischen Schulen eine wichtige Rolle, betont Olaf Beuchling, ob nun der genaue Sinn bekannt sei oder nicht. Denn es gehe schließlich nicht um eine theologische Auseinandersetzung, sondern es sei eine Form der buddhistischen Meditation, die den Geist beruhigen solle.
    Siddhartha Gautama war einst als Prinz in einem prächtigen Palast aufgewachsen. Nachdem er erkannt hatte, dass die Welt von Krankheit und Alter, Sterben und Tod geprägt ist, zog er sich von allem zurück. Nach Jahren der Askese und Meditation erlangte er dann die Erleuchtung und konnte durch sie den Kreislauf der Wiedergeburt und damit alles Leid und jede Not hinter sich lassen.
    Er wurde zum Erleuchteten, also zum Buddha, und legte das Gelübde ab, auch alle anderen Wesen zur Befreiung vom Leid zu führen. Aber er empfahl seinen Anhängern kurz vor seinem Tod auch, der Lehre nicht blind zu folgen, sondern alles anhand der eigenen Erfahrung zu überprüfen.
    Für Christoph Bangert, der sich seit vielen Jahren mit der Nyingma-Tradition, der ältesten Schule des tibetischen Buddhismus, beschäftigt, ist dieses Prinzip eine Lehre nicht einfach zu übernehmen, ein entscheidender Punkt im Buddhismus. Alles muss immer über den Weg der eigenen Erfahrungen gehen.
    Christoph Bangert: "Dann geht es aber vor allem darum zu verstehen, wie der Geist funktioniert, wie man das Potenzial des Geistes mehr hervorbringen kann, dann wird das eher zu einem spirituellen Weg in der eigenen Entwicklung, zu einer Philosophie, zu einem Leitfaden, wie ich mit mir und der Welt mehr im Einklang sein kann und du nicht die Verantwortung nach außen gibst und darauf hoffst, dass der Buddha es für Dich richtet oder der liebe Gott. Du übernimmst mehr Eigenverantwortung, diesen Aspekt hat der Buddhismus sehr stark, es ist ja in dem Sinne keine Religion, sie wird zwar zu den Weltreligionen gezählt, aber er nimmt sehr stark das Individuum in die Pflicht, im positiven Sinne, Buddha hat nur ein Beispiel gegeben, den Weg gezeigt, was möglich ist."Der Buddhismus ist keine Glaubensreligion. Da wird nicht etwas Überliefertes einfach geglaubt, sondern es geht um persönliche Erfahrungen. Man meditiert zum bespiel, um zu begreifen, wie der eigene Geist funktioniert. Der Praktizierende soll erkennen, dass sein Ich ebenso eine Illusion ist, wie große Teile seiner bisherigen Wahrnehmung.
    Auch das Leiden ist nur eine Illusion. Allerdings eine sehr wirksame, die den Ansporn geben kann, das Leid überwinden zu wollen. Die buddhistische Praxis ist mühevoll, denn man muss sich mit jahrzehntelang erlernten und bewährten Funktionsweisen seiner eigenen Lebensgestaltung auseinandersetzen, um sich von ihnen auch lösen zu können.
    "Das Leben wieder wirklich genießen lernen"
    Aber natürlich hat diese angeeigneten Funktionsweisen der eigenen Lebensführung durchaus auch ihren Sinn, wie der vietnamesische Mönch Thay Phap An, erläutert: "Es ist sehr nützlich, die Dinge, die uns im Leben umgeben und die wir uns angeeignet haben, sozusagen einzuordnen, als ob wir sie in eine Schachtel sortieren. Wir sind ja in unserem Leben immer darauf angewiesen Unterscheidungen zu treffen. Das ist eine wichtige Grundlage unseres Daseins. Darauf beruhen Sprache und Technologie, deshalb können wir zum Beispiel überhaupt zum Mond fliegen. Aber diese Art des Denkens kann uns auch vom Leben trennen. Durch die spirituelle Praxis versuchen wir, ein Gleichgewicht herzustellen, damit wir das Leben wieder wirklich genießen können."
    Doch dass dieses Denken nicht so leicht zu überwinden ist, erfährt auf schmerzhafte Weise, wer mit der Meditation beginnt. Denn der Geist ist ein ständiger Unruheherd, der beschäftigt werden will.
    Ganz zu schweigen von Gefühlen wie Ärger und Angst, Neid und Gier, die der eigentliche Grund für unser Leid sind. Sie trüben unseren ohnehin schon unruhigen Geist erklärt Thay Phap An: "Wir Menschen sind sehr kompliziert, die Prozesse in unserem Körper und unserem Gehirn sind ungeheuer komplex, da gibt es so viele Faktoren – biologische, chemische, neurologische. Ganz zu schweigen von den sozialen Bedingungen, die uns umgeben, der Sprache, der Kultur im Allgemeinen, den Normen der Gesellschaft. Das ist alles sehr kompliziert. Der Kern der buddhistischen Praxis ist aber gar nicht kompliziert. Jetzt in diesem Augenblick können wir auf unseren Atem konzentrieren, wie wir Ein- und Ausatmen, wir spüren, wir die Luft unseren Körper erfüllt. Wenn man das ein paar Minuten macht, fühlt man sich wie ein neuer Mensch. Dazu muss man nicht ins Kloster gehen und stundenlang üben. Und so kommt der Kern der buddhistischen Lehre in die Welt: sei dir des gegenwärtigen Augenblicks bewusst – lass dich nicht immer von deinen Gedanken fortragen. Das ist wirklich ganz einfach."
    Der Mönch Thay Phap An steht in der Tradition des vietnamesischen Gelehrten Thich Nhat Hanh, der zu den bedeutendsten buddhistischen Lehrern der Gegenwart zählt. Bekannt geworden ist dieser nicht nur durch seine vielen Veröffentlichungen, die in einfacher Sprache seine Vorstellung des Buddhismus vermitteln, sondern auch durch seine vielen öffentlichen Auftritte, bei denen er seine Lehre in Theorie und Praxis zu vermitteln sucht.
    Thich Nhat Hanh ist der Prototyp des modernen buddhistischen Gelehrten, der vor allem durch die westliche Welt zieht und dort verschiedene buddhistische Zentren gegründet hat, in denen er seine Erkenntnisse mitteilt. Für den Mönch Thay Phap An handelt es sich dabei um eine postmoderne Philosophie:
    "Der Buddhismus eröffnet uns verschiedene Wege, um glücklich im gegenwärtigen Augenblick zu leben. Wir verwenden Praktiken der Theravada-Tradition mit den alten Sutren genauso wie die Weisheit der Mahayana Tradition. Elemente des Zen-Buddhismus fließen bei uns genauso ein, wie solche der modernen Psychologie. Wir begrenzen uns nicht auf bestimmte Texte, sondern greifen auf verschiedene Quellen zurück. Jeder Mensch ist komplex und anders und jede Lehrmeinung kann uns helfen, die Menschen in ihrer Vielfalt zu verstehen und Wege aufzuzeigen, ihnen zu helfen."
    Diese eklektische Methode hat Thich Nath Than vor allem im Westen viele neue Anhänger beschert. Aber er wurde wegen seiner unorthodoxen Vorgehensweise auch oft kritisiert. Man wirft ihm vor manche Traditionen allzu leichtfertig zu vermischen und Inhalte zu verwässern.
    Solche Kritik kommt besonders häufig aus der Tradition des Theravada-Buddhismus, der sogenannten 'Schule der Alten'. Diese Form des Buddhismus wird heute noch in Sri Lanka und südostasiatischen Ländern wie Laos, Thailand und Kambodscha gelehrt. Im Theravada-Buddhismus beruft man sich streng nur auf die ältesten überlieferten Schriften.
    Eine andere große Richtung ist der Mahayana-Buddhismus, der vor allem in China, Japan und Korea anzutreffen ist. Im Mahayana hat sich neben den Lehrreden, die direkt auf Buddha zurückgeführt werden, ein großer Kanon an Kommentarliteratur entwickelt. Die Richtung des Mahayana gilt generell als offener als der strenge Theravada.
    Innerhalb des Mahayana wiederum ist der Vajrayana oder Lamaismus die jüngste Tradition. Sie hat sich in Zentralasien, vor allem in Tibet, Nepal und Bhutan ab dem 8. Jahrhundert entwickelt.
    Christoph Bangert vom Nyingma-Zentrum in Köln hält diese Tradition für besonders anpassungsfähig und sieht im tibetischen Buddhismus ein großes Potenzial für die westliche Welt: "Ein Merkmal ist: Was immer da ist in diesem Moment kann genutzt werden, um sich weiter zu entwickeln, jede Situation, in der du dich befindest ist das Rohmaterial für deinen spirituellen Weg ... daher scheint mir der Vajrayana geeignet zu sein, um den westlichen Menschen anzusprechen, er verlangt nicht von Dir, dass du dich in eine Höhle setzt, dass du in ein Kloster gehst, die weltlichen Verpflichtungen hinter dir lässt, um viel zu Zeit zu haben, um Achtsamkeit zu praktizieren und dich zurückzuziehen von der Welt, die Ablenkungen abzubinden, sondern er sagt, was immer du tust: Auch Job, Familie, bei wirtschaftlichen Notwendigkeiten: Du kannst alles verwenden, um den Geist zu verstehen, um von deinen Emotionen zu lernen, um mit der Energie der Emotionen umzugehen."