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Serie: Der Einfluss des antiken Ägyptens
Echnaton und die neue Religion des Lichts (Teil 4)

Im 14. Jahrhundert vor Christus führte Echnaton im antiken Ägypten erstmals den Glauben an nur einen Gott ein. Doch schon unter seinen Nachfolgern begann die Rückkehr der alten Götter. Der Monotheismus musste ein halbes Jahrtausend warten, bis er im Judentum eine neue Chance erhielt und sich später in der ganzen Welt ausbreitete.

Erik Hornung im Gespräch mit Rüdiger Achenbach | 20.11.2014
    Den Kopf einer Sandstein-Kolossalstatue des Pharaos Amenophis IV., später Echnaton, aus der 18. Dynastie.
    Den Kopf einer Sandstein-Kolossalstatue des Pharaos Amenophis IV., später Echnaton, aus der 18. Dynastie. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Rüdiger Achenbach: Herr Hornung, es ist ja keine göttliche Offenbarung, auf die er sich beruft?
    Erik Hornung: Nein, eben. Seine Religion ist eine Religion quasi ohne Heilige Schrift, ohne Offenbarung. Das ist auch ein ganz eigenartiges Phänomen dieser neuen Religion, dass sein Gott Aton eigentlich stumm bleibt. Er kommuniziert nicht durch das Wort, sondern durch sein Licht, das von der Sonnenscheibe ausstrahlt. Und es gibt keine Aussprüche des Aton, die überliefert werden, sondern nur der König teilt seine Kenntnis des Aton, seines Vaters, der übrigen Menschheit mit. Er ist gewissermaßen der einzige Mittler zwischen diesem Gott und der übrigen Menschheit. Ansonsten hatten wir bei den Tempeln, bei den Darstellungen des Königs vor den Gottheiten immer ausführliche Götterreden beigeschrieben, in denen dem König durch die Gottheiten alle möglichen Wohltaten gespendet werden. Das fällt völlig weg in Amarna.
    Achenbach: Echnaton gründet dann für seinen neuen Gott auch eine neue Stadt. Wer lebt in dieser Stadt und was weiß man überhaupt über den religiösen Kult an diesem neuen Ort?
    Hornung: Diese neue Hauptstadt läuft unter dem Namen Tell el-Amarna. Das ist die moderne Bezeichnung. Echnaton selber nannte seine neue Residenz Achet-Aton. Das heißt wörtlich: der Horizont des Aton. Und der Anstoß war wahrscheinlich das Gefühl, dass er in Theben, wo er zunächst residierte und seine ersten Bauten schuf, überall umgeben war von den Zeugen einer ganz anderen Vergangenheit. Da waren die alten Gottheiten doch immer noch übermächtig, während er hier - in Achet-Aton in Mittelägypten - ganz bewusst eine völlig unberührte Gegend ausgewählt hat, die noch nicht kultisch irgendwie festgelegt war. Da konnte er nun buchstäblich eine ganz neue Stadt aus dem Leben stampfen, neue Bauten errichten, neue Tempel, die sich von den bisherigen sehr stark unterschieden. Hier konnte er sich nun mit einem kleinen ausgewählten Kreis von Beamten der weiteren Ausgestaltung seiner religiösen Lehre widmen.
    "Eine totale Abhängigkeit vom Licht"
    Achenbach: Heißt das, dass nicht jedermann Zugang zu dieser Stadt hatte?
    Hornung: Wahrscheinlich nicht. Sie war wahrscheinlich streng bewacht. Wir sehen auch aus den Beamten, die dort bezeugt sind, dass es offenbar keine neue Verwaltungshauptstadt für das Land war. Die eigentlichen Verwaltungsbüros, die blieben entweder in Theben oder in der anderen Residenz Memphis, die in der Zeit auch eine wichtige Rolle spielt - im Norden in der Nähe des heutigen Kairo. Echnaton selber nahm eigentlich nur einen Kreis von engsten Anhängern in diese neue Hauptstadt mit, die im Übrigen auch eine ganz atypische Stadt für den Orient ist. Keine engen Gassen, sondern breite Alleen, auf denen der König seine tägliche Fahrt zum Tempel zelebrieren konnte. Und eine Stadt von Villen der höheren Beamten, die da sehr auf einen gewissen Komfort geschaut haben. Es gab natürlich keine Elendsquartiere in dieser völlig neuen Stadt. Das ist ganz klar.
    Achenbach: Zum Zentrum dieser Stadt steht eigentlich Gott Aton, denn alles dreht sich nur um ihn, repräsentiert durch seinen Sohn, den Echnaton. Was lässt sich denn nun konkret über die Vorstellung von diesem Gott Aton sagen? Gibt es historische Quellen, aus denen sich Echnatons Vorstellung etwas rekonstruieren lässt?
    Hornung: Die wichtigste Quelle, an die man ja immer zuerst denkt bei seinem Namen, ist sein berühmter Sonnengesang. Das heißt, ein Hymnus auf seinen Gott Aton, der zum Teil anknüpft an die gewachsene Form der Sonnenhymnen, die wir auch schon vor ihm haben, aber doch mit sehr wichtigen Abweichungen. Vor allem sind sämtliche mythische Bilder entfallen. Also der Aton tritt uns hier nicht als Schöpfergott oder Triumphator über irgendwelche Feinde entgegen, sondern wirklich als das reine Licht, von dem die ganze Welt abhängig ist. Und Echnaton hat diese Abhängigkeit vom Licht bis zu der sehr knappen, aber eigentlich ganz entscheidenden Formulierung weitergetrieben: "Wenn du aufgehst, so leben sie. Wenn du untergehst, so sterben sie." Das ist eigentlich der Kernpunkt dieser neuen Religion: eine totale Abhängigkeit vom Licht.
    Achenbach: Also das Licht als ein ganz zentrales Prinzip. Am Anfang ist das Licht und dann entsteht alle Vielheit aus dieser Einheit. Kann man das so verstehen?
    Hornung: Ja, die Welt wird ja erst im Licht überhaupt anschaulich und existent. Was für Ägypten natürlich ungeheuer einschneidend mit seinen traditionellen Totenglauben um den Gott Osiris war - die Abwesenheit des Lichtes wird nun völlig negativ gesehen. Wenn wir vorher in der Nacht den Sonnengott durch die Unterwelt fahren sehen, wo er sein Licht zu den Toten bringt, fällt dieser Aspekt nun völlig weg. Die Toten leben jetzt auch im Diesseits. Es gibt eigentlich bei Echnaton überhaupt kein Jenseits, natürlich auch keinen Totenherrscher Osiris mehr. Der Tod ist kein Ende, weiterhin. Aber die Toten gehen eben nicht in ein unterweltliches Jenseits, sondern bleiben in ihren Gräbern. Während der Abwesenheit der Sonne oder des Lichtgottes Aton schlafen sie ganz einfach. So lange ruht alles. Erst wenn der Aton wieder erscheint in dieser Welt, fängt alles wieder neu an zu leben. Entscheidend ist, dass man jetzt keine speziellen Totenopfer mehr kennt - wie früher. Sondern es werden täglich durch den König im großen Tempel des Aton in seiner neuen Hauptstadt Opfer dargebracht - für Lebende und für Tote. Das heißt, die Toten nehmen jetzt auch am täglichen Tempelopfer teil.
    Achenbach: Das heißt also, in dieser Religion des Lichts ist eigentlich alles Gegenwart. Diejenigen, die in einer körperlichen Existenz leben und eben auch die, die eine Seelenexistenz haben, wenn man das so bezeichnen kann.
    Hornung: Bei einer täglichen Erneuerung durch das Licht der Sonne des Gottes Aton, dass sich einfach unendlich fortsetzt. Echnaton hat offenbar mit einem sehr großen Zeithorizont gerechnet. Er spricht immer wieder von Millionen Jahren, die ihm gegeben sind. Und das war wahrscheinlich verhängnisvoll auch der Grund, weshalb er es versäumt hat, rechtzeitig seine Nachfolge zu regeln. Denn das große Problem für ihn war, dass er von Nofretete nur Töchter hatte, sechs Töchter, aber keinen Sohn. Und auch diese Nebengemahlin Kia hat ihm nur eine weitere Tochter geschenkt, sodass die Nachfolge völlig offen blieb. Denn es brauchte natürlich in dieser Religion als Gottessohn einen männlichen Thronerben.
    "Eine ganz entscheidende Epoche in der ägyptischen Religionsgeschichte"
    Achenbach: Wie wurde das Problem gelöst?
    Hornung: Echnaton hat offenbar gegen Ende seiner Regierung wahrscheinlich eine Lösung angesteuert, wonach seine beiden Schwiegersöhne, von denen der eine ja der bekannte Tutenchamun ist, in quasi diese erhoffte Funktion eines neuen Mittlers zwischen dem Aton und den Menschen eintreten sollten. Aber es war schwierig, weil Echnaton sich so ausschließlich als den Einzigen, der den Aton kennt, und als den einzigen Sohn Gottes hingestellt hatte, dass die Lücke, die durch seinen Tod geschlagen wurde, praktisch nicht auszufüllen war. Das ist sicher auch der Grund, weshalb nach seinem Tode diese Religion so schnell unterging.
    Achenbach: Welche Bedeutung hat Echnaton Ihrer Meinung nach heute in der ägyptischen Religionsgeschichte? Ist er eine der herausragenden Figuren?
    Hornung: Sicher, obwohl er - wie gesagt - sobald vergessen wurde und keinen direkten Einfluss mehr gehabt hat auf die ägyptische Religion, wirkt das, was der ausgelöst hat, doch ganz entscheidend weiter in vielen Bereichen. Zum Beispiel auch die neue Schriftsprache, die er eingeführt hat, das Neu-Ägyptische, das ist eine bleibende Neuerung von ihm. Auf jeden Fall muss man sagen, seine kurze Zeit - er hat ja nur zwölf Jahre in der neuen Residenz residiert - ist keineswegs nur eine Episode, sondern eine ganz entscheidende Epoche in der ägyptischen Religionsgeschichte.
    Achenbach: Man hat ihn sogar den ersten Fundamentalisten in der Geschichte genannt. Würden Sie dieser Meinung zustimmen?
    Hornung: Ja, ich habe selber diese Formulierung gebraucht - einfach deswegen, weil er seinen religiösen Glauben in dieser einseitigen Weise übersteigert hat. Er hat ja eigentlich fortgesetzt, bisherige Vorstellungen auszugrenzen versucht, gewissermaßen religiöse Möglichkeiten, die ganze Vielfalt des früheren Götter- und Totenglaubens, auf eine einzige enge Möglichkeit reduzieren wollen, die nun allgemeine Verbindlichkeit beansprucht. Das ist ja doch ein ganz entscheidender fundamentalistischer Zug. Wichtig für unsere heutige Situation, glaube ich, ist, dass Echnaton uns zeigt, dass der Fundamentalismus einfach keine Zukunft hat. Auch wenn er vorübergehend Erfolge zeitig, aber hat keine Zukunft.
    Achenbach: Das heißt, die scheinbar so einfachen Lösungen lösen in Wirklichkeit die Probleme nicht, sie verdrängen sie.
    Hornung: Richtig, weil sie zu viel verdrängen, genau. Und das war bei Echnaton vor allem der ganze Toten- und Jenseitsglaube.