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Serie Kunst-Stoffe
Digitalisierung - Totengräber der alten Buchkultur?

Welche Auswirkung hat die Ablösung der Schreibmaschine durch den Computer auf Literatur? Offenbar hat es Einfluss auf die Länge eines Textes - und auch auf den Reifungsgrad: Im Netz kann schneller publiziert werden, was mitunter zu einem Boom leichter Unterhaltungsware führt.

Von Holger Heimann | 18.04.2017
    Leser mit E-Book-Reader im Park
    Wie haben Computer und Internet Texte verändert? (picture alliance / Wolfram Steinberg)
    Buchhandlungen gibt es noch immer zuhauf. Sie werden von Verlagen beliefert, die weiterhin vor allem Bücher auf Papier herausbringen. Bekannte Schriftsteller haben sich nicht scharenweise dazu entschlossen, ihre Manuskripte selbst im Netz zu veröffentlichen. Dort boomt lediglich seichte Unterhaltungsware: Herz-Schmerzgeschichten, Krimis, Fantasy.
    Die Digitalisierung hat mithin keineswegs alles Herkömmliche umgestoßen. Doch die Metaperspektive ist nicht hilfreich, um Veränderungen auf die Spur zu kommen. Das meint zumindest Stephan Porombka, der Professor für Texttheorie an der Universität der Künste in Berlin ist. "Wenn wir danach gucken, was sind die bleibenden Sachen, die geschrieben werden im Netz oder in der Netzliteratur, dann gucken wir falsch, weil wir gar nicht erwarten dürfen, dass die Sachen bleiben, die verschwinden wieder.
    "Vielleicht ist das auch alles, was man fordern kann, dass sie in dem Moment, wo sie kommen und da sind, dass sie etwas ausprobieren, experimentieren. Aber man sollte aufhören zu sagen, das ist jetzt der Trend, der sich langfristig durchsetzen wird. Sondern man sollte es eher als Experiment verstehen, dass einen vielleicht auf neue Ideen bringt, neue Experimente in Gang zu setzen."
    Online-Magazin bietet Platz für Geschichten
    Solch ein Experiment ist das Online-Magazin Tegel Media, das die beiden befreundeten Schriftsteller Jakob Nolte und Leif Randt seit November betreiben. Die Plattform bietet kurze Filme, vor allem aber Geschichten, die im PDF-Format hochgeladen werden. Es gibt eine Reportage aus Japan, E-Mails aus Lateinamerika, Fan-Fiction zu David Bowie.
    Mitgründer Jakob Nolte erklärt, wie das alles zusammenpasst. "Eigentlich wollten wir nur eine Plattform schaffen für Texte von Leuten, die wir mögen – die gar nicht unbedingt literarisch sein muss, sondern journalistisch. Wir hatten Interesse an Texten, die keinen so großen Anspruch haben, aber sich trotzdem gut lesen, die funktionieren wie eine gute E-Mail oder eine gute SMS, die Spaß machen, die auf eine einfache entspannte Art und Weise von der Wirklichkeit berichten."
    Fundstücke finden sich ebenso darunter wie Auftragsarbeiten. Es sind allesamt Beiträge, die etablierte Zeitschriften nicht drucken würden, glaubt Nolte. Bei Tegel Media ist hingegen Platz dafür. Der große Vorzug des Online-Magazins sind die geringen Kosten und der überschaubare Aufwand. Für Jakob Nolte selbst hat das Projekt einen ganz eigenen Reiz. "Es stellt sich dadurch eine gewisse Entspannung ein. In dem Moment, wo ich nichts zu tun habe, kann ich Texte schreiben, auf die ich Lust habe, mit denen ich kein Geld verdienen würde oder möchte. Ich finde es für mich einen Ort, wo ich außerhalb des Marktes arbeiten kann."
    Erlösung durch das Haptische fehlt in der digitalen Welt
    Von Jakob Nolte wird demnächst eine Reisereportage und ein Kindercomic über eine Banane bei Tegel Media zu lesen sein. Als Testfeld für Romanstoffe sieht er die Zeitschrift nicht. Zu sehr unterscheiden sich die rasch geschriebenen Internettexte von seiner sorgsam und aufwendig komponierten Prosa. Der erst 28 Jahre alte Autor hat bislang zwei Romane publiziert. Sein Debüt "Alff" erschien zunächst nur als elektronische Fassung im E-Book-Verlag Fiktion, erst später kam bei Matthes und Seitz die papierene Buchausgabe hinzu.
    Für Nolte wird der Romanausflug ins zunächst Nur-Digitale jedoch wohl die Ausnahme bleiben. "Für mich war es bei den beiden Büchern, die ich geschrieben habe so, dass sie in dem Moment, wo sie als Buch da waren, abgeschlossener waren, sozusagen in dieses Objekt gebannt. Diese Art von Erlösung hat sich in der digitalen Veröffentlichung nicht eingestellt, dass man das haptische Ergebnis einer Arbeit von Jahren von Gedanken einfach hat."
    "Manuskripte wären kürzer, wenn der Autor sie mehrfach abtippen müsste"
    Die von Jakob Nolte beschriebene Erfahrung ließe sich wohl noch weiter fassen – und auf den Produktionsprozess selbst ausdehnen. Die Literaturagentin und langjährige Verlegerin Elisabeth Ruge jedenfalls glaubt, dass die Ablösung der Schreibmaschine durch den Computer erhebliche Auswirkungen auf geschriebene Texte hat. "Das hat schon was zu bedeuten, ob man ein Manuskript vor sich hat, das man bearbeitet und dann gänzlich wieder abtippt oder ob man auf einen Computerbildschirm guckt und permanent irgendwelche Passagen nimmt und sie eben nicht streicht, weil sie nicht richtig sitzen oder nicht richtig passen, sondern sich nicht so recht davon verabschieden will und das einfach mal kurz woanders hin stellt."
    "Ich habe schon seit Längerem die Empfindung, dass viele Manuskripte wirklich ein Drittel, ein Viertel kürzer wären, wenn der Autor oder die Autorin die zwei, drei, viermal abtippen würde." Das Phänomen der dicken Bücher, die seit einiger Zeit wieder in Mode sind, erschiene so in einem ganz anderen Licht. Die Tausendseiter wären nicht mehr Gegenbewegung zur Kurzatmigkeit des gegenwärtigen Lebens, sondern vielmehr gerade Ergebnis des Neuen in Gestalt moderner Technologie.