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Serie: Migration bewegt
Braindrain an der Elfenbeinküste

Lange war die Elfenbeinküste das Traumland vieler Westafrikaner auf der Suche nach Arbeit. Doch der Bürgerkrieg 2002, politische und militärische Krisen warfen das reiche Land weit zurück. Auch wenn es sich langsam aufrappelt - viele junge Menschen wollen nur noch eins: weg nach Europa.

Von Madelaine Meier | 16.07.2015
    Flüchtlinge von der Elfenbeinküste sitzen wartend im italienischen Flüchtlingslager Mineo
    Flüchtlinge von der Elfenbeinküste sitzen wartend im italienischen Flüchtlingslager Mineo (dpa / Basil Wegener)
    "Alle Tage hier gleichen einander, es scheint als läge meine Zukunft bereits hinter mir."
    Ismael Isaac singt in diesem Land von der Perspektivlosigkeit der Jugend. Lieber will der Sänger die Figur in dem Lied auf der Flucht im Meer sterben, als sich vor seiner Mutter für seine Arbeitslosigkeit zu schämen. Der Song ist hier in der Côte d'Ivoire ein Hit und läuft im Radio hoch und runter.
    Solche Zukunftsängste treiben auch Claude-Eric um. Es ist Montag früh im Geschäftszentrum von Abidjan. Der 18-jährige Abiturient wartet in einer Schlange vor der französischen Botschaft.
    "Ich bin hergekommen, um ein Visum zu beantragen, damit ich in Frankreich studieren kann. Frankreich habe ich mir ausgesucht, weil die Universitäten sehr gut ausgestattet sind, so wie die Bibliotheken und auch die Unterkünfte.”
    Claude-Eric will seinem Bruder nach Frankreich folgen. Der hat ihm von dem fabelhaften Bildungssystem vorgeschwärmt. Der Deutsche Botschafter in Abidjan, Klaus Auer, kann die Beweggründe der jungen Ivorer gut nachvollziehen.
    "Die Côte d'Ivoire, die ja früher mal die Vitrine Westafrikas war, hat durch die langjährige wirtschaftliche und militärische Krise sehr an Potential verloren. Ist jetzt in einer Phase sich zu erholen, aber diese sich jetzt erholende Wirtschaft generiert lange nicht genügend Arbeitsplätze, um all die jungen Leute, die nun aus dem Ausbildungssystem rauskommen, denen einen adäquaten Job zu liefern."
    Einen Braindrain, also den Exodus von Fachkräften im Heimatland, befürchtet der Deutsche Botschafter nicht. Er betont die positiven Effekte von Migration auf beiden Seiten:
    "Wenn wir von einer geregelten Migration reden, wo gut ausgebildete Ivorer mit einem Visum ausgestattet und mit Aussicht auf einen Arbeitsplatz in Europa zu uns kommen, dann hat das sowohl für die europäischen Wirtschaften eine positive Wirkung, aber auch für die Côte d'Ivoire. Von einem Gehalt, was ein Ivorer in Deutschland verdient, leben hier in der Côte d'Ivoire viele, viele Leute."
    Viele Jungen müssen gehen - ob sie wollen oder nicht
    Doch genau hier offenbart sich ein großer Widerspruch: Viele junge Ivorer sehen sich gezwungen, zu gehen, um ihre Familien zu ernähren. Und das obwohl die Côte d'Ivoire selbst ein riesiges Potential hat: Das Wirtschaftswachstum liegt seit Jahren knapp unter 10 Prozent. Dennoch kommt zu wenig bei der Bevölkerung an: Die Jugendarbeitslosigkeit wird auf 30 bis 40 Prozent geschätzt. Und das in einem Land, bei dem das Durchschnittsalter gerade mal 19 Jahre ist.
    Ein Problem sei die fehlende Wertschöpfung im Land, sagt Martin Johr. Er ist der Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abidjan. Das Land produziert Rohstoffe wie Holz, Kautschuk oder Kakao, die dann im Ausland weiterverarbeitet werden.
    "Eine Chance ist da die Landwirtschaft. Das ist der große Wirtschaftsmotor fürs Land – immer noch. Und in dem Bereich muss darauf geachtet werden, dass die Menschen anständig verdienen, dass sie nicht zur Arbeit gezwungen werde, der Bereich Kinderarbeit spielt da eine Rolle. Und da kann viel mehr passieren."
    Es gibt Ansätze der Regierung, das zu ändern: Im letzten Jahr wurden die Mindestpreise für Kakao angehoben. Das soll in der Folge auch die Kaufkraft der Bevölkerung stärken. Eine fairere Umverteilung der Ressourcen würde langfristig dazu beitragen, die jungen Talente im Land zu halten. Und könnte ebenfalls Anreize schaffen, die bereits ausgewanderten Ivorer zurückzuholen.
    So wie bei Claude-Eric: Der junge Ivorer, der seinem Bruder nach Frankreich folgen möchte. Für immer dort bleiben will er nicht.
    "Man sagt, die Franzosen seien nicht so warmherzig. Aber ich will trotzdem nach Frankreich gehen. Ein bisschen dort arbeiten und Erfahrungen sammeln und dann zurückkehren hier her, das steht fest.”
    In dem Hit von Ismael Isaac entschließt sich der Sänger am Ende, doch zu bleiben. Es könnten ja nicht alle gehen, denn wer soll sonst mithelfen, Afrika aufzubauen.