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Serie: Rechte Parteien und die Kultur
Ungarn und die Kunstszene

Als Viktor Orbán 2010 erneut die Macht in Ungarn übernahm, änderte sich auch die Kulturpolitik. Seitdem wird das Nationale großgeschrieben. Auch in der Kunst. Wer als Künstler auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, muss das Lied der Mächtigen pfeifen.

Von Stephan Ozsváth | 29.01.2017
    Die Budapester Kunsthalle auf dem Heldenplatz.
    Die Budapester Kunsthalle auf dem Heldenplatz. Hier soll der ungarischen Szene ein Forum geboten werden, so sieht es die Orbánsche Kulturpolitik vor. (imago/Schöning)
    Für Künstler war es in der Kádár-Zeit besser, sagt Anna Bálint. Die Ungarin ist Kunstkritikerin und Kuratorin. Vor zwei Jahren sorgte sie für Aufsehen, weil sie die ungarischen Künstler zum Boykott der Biennale in Venedig aufrief. Der Grund für ihren Unmut: Sie hielt die Regierungsbeauftragte für den ungarischen Pavillon für völlig inkompetent. Durchaus kein Einzelfall, meint sie.
    "Jede Lebensäußerung gerät in einen politischen Kontext. Darunter leiden viele Künstler. Jede Institution, die eine Bedeutung für die Kunst hatte, sei umgekrempelt worden."
    Auftragskunst steht hoch im Kurs
    2010, als Viktor Orbán erneut die Macht übernahm, änderte sich auch die Kulturpolitik. Das Nationale wird seitdem großgeschrieben. Auch in der Kunst. Nationalistische Auftragskunst zierte die neue Verfassung, auch Orbán selbst ließ sich verewigen. Auch Bildhauer haben alle Hände voll zu tun, um bei der Beschwörung der nationalen Helden mit zu helfen. Auftragskunst steht hoch im Kurs.
    "Überall auf den zentralen Plätzen gibt es jetzt Statuen des Heiligen Stephan, des Schriftstellers Albert Wass, nicht nur in Budapest. Politiker bestellen sie. Auch in der Provinz. Städte, Dörfer, Gemeinde-Verwaltungen bestellen historisierende Statuen, Trianon-Denkmäler, oder Büsten von dem Hitler-Unterstützer Albert Wass."
    Der als Kriegsverbrecher verurteilte Albert Wass hat in seinen Büchern einen christlich grundierten Nationalismus propagiert und gegen Rumänen gehetzt. Die Trianon-Denkmäler erinnern an den Friedensvertrag von 1920, als Kriegsverlierer Ungarn zwei Drittel seines Territoriums verloren hat. Zentrale Schaltstelle der Orbánschen Kunstpolitik wurde 2012 die Ungarische Kunstakademie.
    "Wichtige Grundlage der Kunstakademie ist die ideologische Haltung", meint Anna Bálint. "Nur der kann Mitglied werden, der sich zur Nation bekennt. Es geht hier um einen kleinen Kreis, eine Künstlervereinigung, die selbst ihre Mitglieder auswählt. Sie ist aus einem Freundeskreis in den 90er-Jahren entstanden. Sie verfügt über riesige Ressourcen, Monatsbezüge, Ausstellungsmöglichkeiten."
    Die, die vorher keine Chance hatten, sollen jetzt ausstellen können
    Der Kunstakademie ist etwa die Budapester Kunsthalle unterstellt. Sie wurde 2015 mit einer großen Ausstellung eröffnet – der ungarischen Szene soll ein Forum geboten werden, auch der aus den Anrainerstaaten – das ist erklärtes Ziel Orbánscher Kulturpolitik. Der erzreaktionäre Präsident der Ungarischen Kunstakademie, György Fekete sagt:
    "Es braucht eine nationale Kunsthalle. Das ist aus der Perspektive der Künstler und ihrer Biographien nicht demokratisch. Aber wir müssen die Resultate demokratisieren: in der Bildhauerei, der Grafik, der Malerei und anderen Künsten. Der ungarische Steuerzahler hat ein Recht zu erfahren, was mit seinem Geld in der Kunst passiert. Das Recht kann er hier ausüben."
    Übersetzt heißt das: Die, die vorher keine Chance hatten, sollen jetzt ausstellen können. Aber nach welchen Kriterien werden die Künstler für die Kunsthalle ausgewählt? György Szegö, der Leiter der Budapester Kunsthalle, sagt über die Eröffnungsausstellung mit über 200 Künstlern:
    "Es gab viele Trends, Techniken, Traditionen zur Auswahl. Einziges Kriterium war: hohe Qualität."
    Viele Künstler sind ins Ausland gegangen
    Anna Bálint sagt, es gebe viele unabhängige Galerien. Und man könne im Prinzip machen, was man will. Aber wer auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, muss das Lied der Mächtigen pfeifen.
    "Die heutige Lage kann man so zusammen fassen: Die zeitgenössische Kunst in Ungarn hat ihre Institutionen verloren. Man kann zwar Werke schaffen. In den Ateliers oder zu Hause kann jeder machen, was er will. Aber die Möglichkeit, öffentlich in Erscheinung zu treten, die Rezeption, was sie in der Gesellschaft zu Kunst macht. Das ist in den letzten sechs Jahren doch sehr eingeschränkt."
    Viele Künstler sind deshalb ins Ausland gegangen, stellen etwa in Berlin aus, sagt Bálint. Auch die frühere Chefkuratorin des Budapester Ludwig-Museums, die ihren Job verlor. Aber in Budapest setzen Künstler auch andere Akzente als die Regierung: Die Heimatlosen organisieren dort seit einigen Jahren eine OFF-Biennale.