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Warum es keine fairen Handys gibt

Was macht die ökologisch und sozial nachhaltige Herstellung von elektronischen Geräten so schwierig? Die Rohstoffbeschaffung. Das EU-Parlament will, dass Unternehmen ihre Lieferketten offenlegen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das als unzureichend.

Von Christine Haas | 31.10.2014
    Zu sehen ist ein Gabelstapler, der Paletten mit Elektroschrott transportiert
    Wie sich Elektrogeräte nachhaltig nutzen lassen (Deutschlandradio / AFP / Damien Meyer )
    Die Computer-Maus der Marke Nager IT hat ihren Konkurrenten in Sachen fairer Herstellung schon einiges voraus: Das Gehäuse wird aus europäischen Holzabfällen hergestellt, zusammengebaut wird sie in einer Behinderten-Werkstatt in Süddeutschland. Ein kleiner Verein aus Bayern hat sie entwickelt mit dem Anspruch, kein Arbeiter in der Herstellungskette solle ausgebeutet werden, auch die Umweltbelastung will Nager IT senken.
    Ähnliches will auch die niederländische Firma Fairphone mit ihrem Smartphone erreichen. Beide Projekte stoßen allerdings an ihre Grenzen, erklärt Michael Reckordt, Rohstoffexperte bei der Nichtregierungsorganisation Powershift: „Es sind sehr viele verschiedene Rohstoffe, die aus verschiedenen Weltteilen zusammengesetzt werden. Für ein Handy wäre der Herkunftsnachweis weit länger als die Bedienungsanleitung." Gut 60 verschiedene Rohstoffe sind in einem Handy verbaut, unter anderem Gold, Zinn und Tantal. Dabei ist aus ökologischer Sicht schon der Abbau an sich problematisch: "In diesem Gestein sind teilweise radioaktive Substanzen enthalten, die man gar nicht mitfördern möchte, die aber trotzdem ins Trinkwasser gelangen. Es entstehen große Löcher, es werden die Rohstoffe mit Chemikalien aufgearbeitet, wo Rückstände bleiben, zum Teil giftige Schlammdämme, auch brechen immer wieder diese Rückhaltebecken."
    Der Experte Michael Reckordt
    Der Experte Michael Reckordt (privat)
    Europäische Umweltstandards gelten nicht in der Dritten Welt
    Insbesondere in Entwicklungsländern werden nur selten europäische Umweltstandards eingehalten. Umweltgesetze sind oft schwach formuliert oder ihre Umsetzung ist nicht wirklich Regierungsprogramm. Das gilt auch für die Einhaltung von Menschenrechten. Michael Reckordt von der Nichtregierungsorganisation Powershift sagt: ""Es gibt sicherlich viele Minen, in denen die Arbeitsstandards mangelhaft sind, das heißt, wo es keine Helme, keine Sicherheitskleidung gibt. Es gibt sicherlich die Herausforderung, dass häufig die Gewinne, die mit Rohstoffen gemacht werden, nicht bei den Arbeitern ankommen. Wir sehen in vielen Mienen auch Kinderarbeit."
    Die rohstoffreiche Demokratische Republik Kongo ist ein Beispiel, wo die Situation außer Kontrolle geraten ist. Es gibt kein staatliches Gewaltmonopol mehr, seit 20 Jahren herrscht im Osten des Landes Bürgerkrieg. Für Andreas Manhart vom Öko-Institut sind die Rohstoffe ein Grund dafür, dass die Konflikte kein Ende finden: "„Es ist vor über zehn Jahren eine Situation eingetreten, wo bewaffnete Gruppen gemerkt haben: Es ist einfach die beste Art, sich zu finanzieren, die Rohstoffe, die dort abgebaut werden, entweder zu besteuern oder eben selbst zu exportieren. Und so wurde irgendwann die Situation so lukrativ für diese bewaffneten Gruppen. Also ein klar konfliktverlängernder Faktor, und das dauert bis heute an."
    Zu sehen sind Kinder, die in einer Kupfermine arbeiten. Sie stehen bis zu den Knien im Schlamm.
    Kinderarbeiter in der Republik Kongo. In dem Ort Kamatanda wird Kupfer abgebaut. Armut zwingt viele Familien dazu, die Kinder aus der Schule zu nehmen und zur Arbeit in den Minen zu schicken. (AFP / Gwenn Dubourthoumieu)
    Die USA haben vor vier Jahren versucht, den Markt per Gesetz zu regulieren: Dem Dodd-Frank-Act zufolge müssen US-Firmen ihre Lieferketten aus der Region der Großen Seen für Gold, Tantal, Zinn und Wolfram nun offenlegen. So soll verhindert werden, dass die Konflikte im Kongo und angrenzenden Ländern indirekt finanziert werden. Viele Experten kritisieren aber, dass das die Situation in den betroffenen Ländern nicht verbessere. "Sie schaffen letztendlich nur einen Anreiz, dass die Industrie den Kongo großräumig meidet.", sagt Andreas Manhart vom Öko-Institut. "Wir wollen aber die nicht-rebellenbelasteten Förderstrukturen vor Ort gezielt fördern. Eine politische Stabilisierung braucht auch wirtschaftliche Entwicklung."
    Auch die Europäische Union könnte bald ein ähnliches Gesetz beschließen. Michael Reckordt von Powershift geht der Entwurf der Europäer allerdings nicht weit genug: "Zum einen darf es nicht freiwillig sein, sondern muss verpflichtend werden, dass die Unternehmen berichten und die gebotene Sorgfaltspflicht durchführen. Das Zweite wäre sicherlich, dass es nicht nur auf die Rohstoffe Gold, Tantal, Zinn und Wolfram beschränkt sein sollte. Auch bei anderen Rohstoffen - Kupfer, Nickel und anderen - gibt es durchaus Menschenrechtskonflikte oder Konfliktfinanzierung."
    Michael Reckordt sieht allerdings auch die Verbraucher in der Pflicht, für mehr Fairness und Nachhaltigkeit in der Elektronikbranche zu sorgen: "Das heißt, nicht jedes Jahr ein neues Telefon, wie es gerade in der Werbung propagiert wird. Dann sicherlich auch zu schauen: Wo sind Handys oder elektronische Geräte, die fairer hergestellt werden?"
    So wie es die Maus von Nager IT anstrebt: Wenigstens fairer sein als der Massenmarkt, die Lieferkette Stück für Stück anpassen und vielleicht andere Unternehmen auf die gleiche Idee bringen - das geht schon jetzt.