Donnerstag, 28. März 2024

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Serie zu Heimat
Der Wunsch, zu Hause zu sein

Für den den Journalisten, Essayisten und Kunstkritiker Daniel Schreiber war das Wort "Heimat" einige Zeit lang der Titel seines nächsten Buches. Im Prozess des Schreibens sei ihm aber klar geworden, dass der Begriff problematisch sei. "Zuhause. Die Geschichte einer Suche" fand er treffender.

Daniel Schreiber im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 16.08.2016
    Autor und Journalist Daniel Schreiber
    Autor und Journalist Daniel Schreiber (Olaf Becker)
    Maja Ellmenreich: Die Autoren Reinhard Jirgl, Terézia Mora und zuletzt der Theatermacher Christian Stückl - drei von mittlerweile acht Stimmen, die wir in "Kultur heute" in diesen Wochen gefragt haben: Was ist "Heimat" für Sie? Ein Gefühl, ein Ort, eine Illusion, ein Lebensziel? Für unseren heutigen Gesprächspartner, den Journalisten, den Essayisten und Kunstkritiker Daniel Schreiber, war das Wort "Heimat" einige Zeit lang der Titel seines nächsten Buches. Nach seiner viel gelesenen und hochgelobten Biografie über Susan Sontag und einem schmalen Band mit dem Titel "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück", soll dieses nächste Buch von Daniel Schreiber im kommenden Frühjahr erscheinen. Quasi mittendrin im Prozess des Schreibens also sei ihm aber klar geworden, dass "Heimat" als Buchtitel nicht ginge. Sein Essay über das Gefühl, zu Hause zu sein, der wird nun genau so heißen – nämlich "Zuhause. Die Geschichte einer Suche". Daniel Schreiber, wie kam es zu dieser Titeländerung? Oder anders gefragt: Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen "Zuhause" und "Heimat"?
    Daniel Schreiber: Es sollte tatsächlich lange "Heimat" heißen das Buch, und zwar aus zwei Gründen: zum einen, weil es natürlich ein Begriff ist, der gerade eine unglaubliche Renaissance erlebt als Krisenvertreiber, Titel für Kochbücher bis hin zu Topflappen und Handtücheraufschriften bis hin zum AfD-Parteiprogramm tatsächlich, und auf der anderen Seite habe ich mich länger schon mit der Frage rumgetragen, wo ich eigentlich zu Hause sein möchte, wo ich mich zu Hause fühle. Ich bin in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen, ich habe lange in New York gewohnt, wohne heute in Berlin, und es hat sich wirklich lange nicht eingestellt dieses Gefühl, hier möchte ich eigentlich sein. So ist die Idee zum Buch entstanden. Je länger ich mich aber mit dem Begriff Heimat beschäftigt habe, desto stärker ist mir klar geworden, dass das ein so problematischer Begriff ist, historisch natürlich, aber was ich noch viel problematischer fand, war, dass er eigentlich nicht beschreibt, was wir mit Heimat nennen.
    Ellmenreich: Sondern was benennen wir und was beschreibt er eigentlich?
    Schreiber: Im Grunde, wenn wir über Heimat sprechen, dann reden wir oft über einen Wunsch, zu Hause zu sein. Wir reden über den Wunsch nach Zugehörigkeiten, einen Wunsch nach Verwurzelung, ein Wunsch nach Gemeinschaft. Wenn wir Heimat aber sagen, dann rufen wir damit im Grunde eine 200 Jahre lange Begriffsgeschichte auf, die von vornherein schon problematisch war. Früher, also im Grimmschen Wörterbuch lässt sich noch nachlesen, dass Heimat der Landstrich ist, in dem man geboren wurde oder in dem man auch nur einen bleibenden Aufenthalt hat, und im späten 18. Jahrhundert trat zum ersten Mal so eine romantische Vereinnahmung dieses Begriffs ein, und zwar geschah das im Laufe einer sehr komplizierten politischen Situation, als Deutschland noch vor allem aus kleinen Staaten bestand, die permanent in den europäischen Kriegen verwickelt waren und wo es dazu immer kam, dass den einzelnen Staaten neue nationale Identitäten aufgeprägt wurden. Zum anderen, die Industrialisierung, eine große Landflucht, also gigantische soziale und politische Umwälzungen, und als Gegenreaktion, als Abwehrreaktion auf diese Umwälzungen kam es zu dieser romantischen Vereinnahmung des Heimatbegriffs. Im Grunde ist das ein modernes Wort, das aber sehr antimoderne Ideen beschreibt und im Grunde schon damals was beschrieb, das nicht mehr existierte, das es so nie gab.
    "Heimat - ein irrealer Sehnsuchtsort"
    Ellmenreich: Das es so nie gab, sagen Sie. Sie haben auch vorhin von einer Renaissance dieses Begriffs geschrieben, der krisenvertreibend sein soll, wenn Sie von Handtüchern oder anderen Stickarbeiten sprechen, wo mit Heimat umgegangen wird, ist es denn dann der Fall oder verstehe ich Sie richtig, dass dann Heimat eigentlich nie Wirklichkeit ist, sondern immer eine Sehnsucht, eine Illusion, ein Gefühl, dass Sie sich ja auch gewünscht haben, das Sie zwar nicht selbst gefühlt hatten, aber das Sie gerne fühlen wollten?
    Schreiber: Ich glaube, dass wir gerne über Heimat sprechen und heute vor allem, weil das tatsächlich diesen Wunsch beschreibt. Im Grunde ist Heimat so ein irrealer Sehnsuchtsort. Das ist so ein Knotenpunkt aus Nostalgien, aus ungewissen Erinnerungen, aus unerfüllbaren Wünschen, und es wird immer dann vor allem über Heimat gesprochen, wenn diese Heimat oder dieses Gefühl von Heimat bedroht ist, wie gerade jetzt. Wir leben in einer tatsächlich sehr schwierigen Zeit mit vielen Terroranschlägen, mit dem Klimawandel am Horizont, mit einer politischen Verdunkelung, die viele von uns in unserem Leben so noch nicht erlebt haben. Natürlich kommt es genau dann zu dem Wunsch nach einer Beständigkeit, ein Wunsch nach einem kollektiven Gefühl, was alle teilen, ein Wunsch nach Sicherheit, der so natürlich nicht erfüllbar ist. Also im Laufe des Schreibens ist mir klar geworden, dass Menschen vor allem dann über Heimat sprechen, wenn sie sich nicht zu Hause fühlen.
    Ellmenreich: Also kann man das Wort Heimat womöglich gleichsetzen mit so was wie Sicherheit?
    Schreiber: Ja, es ist eben so ein metaphorisches Gemisch tatsächlich. Es ist auch interessant, dass, obwohl es eine Renaissance erlebt hat, wir immer noch irgendwie das Gefühl haben, dass dem Wort etwas Antiquiertes anhängt. Also ich kenne wenige Menschen, die Heimat einfach so in ihrer Sprache benutzen. Die meisten setzen das so mit imaginären Anführungszeichen oder verleihen dem Wort so eine gewisse Emphase, die sich nicht so ganz richtig anfühlt. Es kommt eben daher, weil es dieses Gemisch ist, dieses Metapherngemisch aus Sicherheit, aus Verwurzelung, aus einem Ort, den man kennt, aus Kindheitserinnerungen, die nicht mehr so ganz sicher sind und eben aus dem Wunsch heraus nach Beständigkeit.
    "Ein Zuhause braucht man immer"
    Ellmenreich: Und zu Hause ist dann Ihrer Meinung nach handfester, also da kann ich womöglich einen Straßennamen und eine Hausnummer nennen, wenn ich von zu Hause spreche?
    Schreiber: Ja. Es ist handfester, und wenn man sich das auch politisch anguckt, ist eigentlich der Heimatbegriff das viel weniger Beständige. Der brasilianisch-tschechische Philosoph Vilém Flusser zum Beispiel hat viel über Heimat geschrieben. Er wurde als Jude vertrieben im Zweiten Weltkrieg und ist dann nach Brasilien geflohen und hat dort lange gelebt, lebte später in Frankreich und so weiter. Was er immer gesagt hat, war, Leute verwechseln Heimat mit Zuhause. Im Grunde glauben wir alle, dass Heimat dieses Beständige ist, was uns Sicherheit gibt, dabei verändern sich politische Systeme, dabei verändern sich Kulturen, die Welt um uns herum verändert sich schneller als den meisten von uns lieb ist, und das Zuhause aber, ein Zuhause hat man immer, ein Zuhause braucht man immer, ein Zuhause muss man sich immer suchen.
    Ellmenreich: Also ein Zuhause haben natürlich in den aktuellen Zeiten ganz, ganz viele nicht, gerade die, die zu uns als Flüchtlinge kommen. Sie haben aber gerade gesagt handfest wäre das Wort Zuhause. Nun schreiben Sie über den Essay, der in einigen Monaten erscheint, "Zuhause. Die Geschichte einer Suche". Also Sie wussten offensichtlich nicht genau, wo Ihr Zuhause ist, denn Sie mussten sich erst auf die Suche begeben?
    Schreiber: Ja, ich glaube, das ist auch ein Gefühl, was viele Leute teilen und was auch viele Leute, die ich kenne, teilen. Es ist allgemein so, glaube ich, dass Zuhause etwas ist, was uns früher geschenkt wurde, was die meisten von uns lange mit dem Ort verbunden haben, in dem wir geboren wurden, an dem wir aufgewachsen sind. Was wir heute aber erleben, ist eigentlich so eine Paradigmenverschiebung, und zwar ist Zuhause heute nicht mehr das, was einem mitgegeben wird, sondern was man sich suchen muss. Früher war ein konkreter Ort, an dem man aufgewachsen ist, heute ist es eher ein imaginärer Ort, den wir uns suchen, der zum konkreten Ort werden kann, aber ein Ort, den wir suchen und an dem wir uns zu Hause fühlen wollen und dann auch können.
    "Eine gewisse Bereitwilligkeit, sich niederzulassen"
    Ellmenreich: War Ihre Sucher erfolgreich, haben Sie einen Ort oder vielleicht ja auch eine Umgebung, eine Gemeinschaft gefunden, bei der Sie dieses Gefühl, ob es jetzt das Heimelige oder das Zuhausegefühl ist, wie auch immer, aber dieses Zugehörigkeitsgefühl, also sind Sie fündig geworden?
    Schreiber: Ja, bin ich. Ich glaube aber auch, dass durch diese kulturelle Verschiebung, dass es da zu etwas kommt, was die meisten von uns noch nicht so ganz im Blick haben, und zwar dass es eine gewisse Arbeit erfordert, eine gewisse Bereitwilligkeit, sich niederzulassen, eine gewisse Bereitwilligkeit, Verpflichtungen und Bindungen einzugehen, was heute alles tatsächlich nicht mehr so ganz selbstverständlich und nicht mehr so ganz einfach ist, wie noch vor 10, vor 20 oder vor 30 Jahren. Die meisten von uns leben nicht mehr an dem Ort, an dem sie geboren sind. Die meisten von uns sind ein paar Mal in ihrem Leben umgezogen wegen Jobs, wegen Partner. Viele von uns haben in anderen Ländern gelebt, in anderen Kulturen, auf anderen Kontinenten, und natürlich erschwert das alles, dieses Gefühl, zu Hause zu sein und sich zu Hause zu fühlen.
    Ellmenreich: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie dann dafür plädieren, eigentlich sich irgendwelche Bindungen, wie auch immer sie geartet sein mögen, zu suchen, dass man sich also verortet womöglich, ob das nun der Ort ist, die Menschen, sich irgendwelche Anker im Leben zu suchen, weil dann das Leben womöglich – anderes großes Wort – glücklicher wird?
    Schreiber: Ich glaube schon. Es ist natürlich nichts, was man so bewusst machen kann und was man sich vornehmen kann. Also man kann sich nicht vornehmen, okay, ab morgen Früh gehe ich bestimmte Bindungen ein und bin dann zufrieden. Es ist natürlich ein Prozess, der auch eine gewisse Zeit erfordert und eine gewisse Gewöhnung an Orte, eine gewisse Geduld in Bindungen und Verpflichtungen und so weiter. Für mich war das der Fall, dass es lange einfach eine offene Frage war. Also ich habe lange überlegt, wieder wegzuziehen aus Berlin, ich habe lange überlegt, nach London zu ziehen, manchmal zurück nach New York, und irgendwann ist mir aufgefallen, dass dieses Leben in Berlin dann tatsächlich immer so was Übergangsmäßiges hatte, was ich gar nicht wollte eigentlich, aber je länger ich hier wohnte, desto deutlicher wurde eigentlich, im Grunde denke ich noch, ich werde sowieso irgendwo anders hinziehen.
    Ellmenreich: Daniel Schreiber, wir haben jetzt schön theoretisiert und ein bisschen philosophiert darüber, wohin diese Reise beziehungsweise diese Suche nach einem Zuhause und einer Heimat führen kann – noch mal ganz konkret die Frage an Sie: wo sind Sie fündig geworden, was macht sie, was macht für Sie das Zuhause aus?
    Schreiber: Mein Leben in Berlin tatsächlich. Also ich wohne in Neukölln, ich habe eine sehr hübsche Dachgeschosswohnung gefunden, mit einer großen Terrasse, wo ich sehr viele Pflanzen habe, und das klingt natürlich alles so simpel und so einfach, aber ich glaube, das ist es letztlich für die meisten Menschen, sich tatsächlich einen Ort zu suchen, an dem sie gut leben können und auch ein Leben zu finden, mit dem sie zufrieden sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.