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Sex, Drogen, Aufenthaltspapiere

Auf Lilli Brand trifft die Plattitüde zu, sie erzähle Geschichten, die das Leben geschrieben hat. Denn die Geschichten der Ukrainerin, die vor 30 Jahren als Ludmila Nikolajewna Ischtschuk in der Kleinstadt Kasatin geboren wurde und vor zehn Jahren als Bardame, Tänzerin und Prostituierte nach Deutschland kam, diese Geschichten eines sehr bewegten Leben, wären nichts ohne dessen turbulenten Stoff. Es sind Milieugeschichten. Und es sind am eigenen Leib erfahrene Geschichten.

Von Ursula März | 05.01.2005
    Bei den Waren, die in ihnen gehandelt werden, handelt es sich um Sex, um Drogen und immer wieder um Papiere, Visapapiere, Aufenthaltspapiere, Arbeitspapiere, Heiratspapiere, Krankenversicherungspapiere etc. Und auch die Scheinheirat ist in diesem Milieu eine begehrte Ware. Die Autorin selbst heiratete einen gewissen Herrn Brand und kam so zu ihrem deutschen Nachnamen. Bei den Orten, an denen die Geschichten spielen, handelt es sich um die klassischen Topoi der Halbwelt, Bordell, Bar, Straße, Hinterzimmer, aber mindestens genauso relevant um die Schreibstuben und Schreibtische deutscher Behördendemokratie einschließlich Polizei und Gefängnis.

    Lilli Brands persönlicher Kampf gegen die Windmühlen des Staates nimmt ein bedeutsames Stoffvolumen ihrer Erzählungen ein. Sie brachte aus der Ukraine nicht nur Attraktivität, Geldnot und gehörige Abenteuerlust mit, sondern Denkvermögen, einen hohen Schulabschluss und Bildung. Man kann darin die Vorraussetzung für eine Art anarchische Autarkie sehen, die Lilli Brand kultivierte und die sie wohl davor bewahrte, im Netz rabiater Menschenhändler, brutaler Bordellbesitzer und hemmungsloser Zuhälter unterging.

    Diese anarchische Autarkie ist ein Kennzeichen des Schelmenhaften und des Schelmenhaften und eben dessen Gattung versteckt sich hinter dem einfachen, sachlichen Stil von Lilli Brands Geschichten, die sie, wie man dem Nachwort entnehmen kann, mit Hilfe des Berliner Autors und taz-Mitarbeiters Helmut Höge in Form und zu Papier brachte. Denn auch die Kreuzberger taz-Redaktion gehört zu den Stationen, die Lilli Brand im Lauf ihrer Deutschlandjahre passierte, ohne an irgendeiner Station, in einer Ehe, einer eheähnlichen Gemeinschaft je hängen zu bleiben. Sie kennt die Nervenklinik von innen und das Gefängnis, sie hat sexuelle Orgien mitgemacht und in schmierigen Puffs gearbeitet, sie hat die Wohnung mit einem netten alten Türken und ihr Herz mit einem Afrikaner geteilt. Sie war mondän und verschwenderisch ebenso wie bettelarm und hoch verschuldet. Aber was immer sie erlebte, sie kann sich davon wieder befreien.

    Dies, dieses schelmenhafte Talent zum improvisatorischen Leben, zur vagantischen Existenz ist das eigentliche Thema der Geschichten. Deren Heldin und Erzählerin, also Lilli Brand selbst, ist wie der Schelm, der sich durch die Zeitgeschichte schmuggelt, von ihr mit nimmt, was er gebrauchen kann und sich ungreifbar macht, weder Verliererin, noch Siegerin, weder Opfer noch Täterin. Sie ist beides.

    "Als das Zusammenleben mit Oran immer komplizierter wurde und ich immer mehr Opiate und Antidepressiva nahm, machte ich mich auf die Suche nach einer neuen Bleibe. Es sah aber schlecht aus mit eine eigenen Wohnung. Beim Sozialamt sagte man mir, ich müsse mir selbst eine Einzimmerwohnung suchen, sie würden dann für die Miete aufkommen. Aber kein Vermieter wollte einen Sozialhilfeempfänger. Auf elf abgeschickte Bewerbungsbriefe erhielt ich nur Ablehnungen, und bei den Vorstellungsgesprächen wurden meine Wohnungswünsche nicht ernst genommen. Ich rutschte tiefer und tiefer in das Verzweiflungsloch. Bei einem Picknick am Schäfersee machte Oran mir dann auch noch eine derartige Eifersuchtsszene, dass ich Hals über Kopf abhaute - ohne zu wissen warum."

    Lilli Brands "Transitgeschichten" folgen fraglos einem aktuellen Trend des Buchmarktes: dem Trend zur authentischen, lebensechten Geschichte, die genau genommen einen Zwitter zwischen Sachdokumentation und literarischer Erzählung darstellt. Nur hat Lilli Brand einfach zu viel erlebt und vor allem zu viel ironischen Abstand zum Selbsterlebten, um nicht als ein besonders originelles Exemplar des Trends gelten zu können.

    Lilli Brand: Transitgeschichten. Deutsche Verlagsanstalt. München. 160 Seiten. 17. 90 Euro