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Sexsklavinnen des IS
Das Schicksal der Jesidinnen

Vor zwei Jahren begann die Terrormiliz IS im Nordirak eine Offensive gegen die kurdische Minderheit der Jesiden. Tausende Frauen wurden dabei als Sexsklavinnen verschleppt. Eine Frau, die sich aus der Gefangenschaft befreien konnte, berichtet nun in Deutschland von ihrem Schicksal.

Von Kemal Hür | 04.08.2016
    Die Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad Basee Taha im niedersächsischen Landtag in Hannover (Niedersachsen).
    Die Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad Basee Taha schaffet es, aus der Hölle des IS zu entkommen. (dpa/picture alliance/Julian Stratenschulte)
    Eine zierliche junge Frau mit langen schwarzen Haaren steht am Rednerpult und ringt um Fassung. Nadia ist Jesidin. Es ist genau zwei Jahre her, sagt die 21-Jährige unter Tränen, ich erinnere mich an den Moment, als der IS kam und uns mitnahm. Viele meiner Familienangehörigen wurden getötet.
    Nadia ist erst 19 Jahre alt, als das passiert. Sie lebt in einem Dorf im nordirakischen Sindschar-Gebirge. Die Mörder des sogenannten Islamischen Staates wollen, dass die Jesiden in Nadias Dorf zum Islam konvertieren. Als niemand das islamische Glaubensbekenntnis spricht, fangen sie an, auf die Männer zu schießen. Sie töten auch sechs Brüder von Nadia vor ihren Augen. Die Frauen nehmen sie mit – als Sex-Sklavinnen. Nadja wird in Mossul einem IS-Kämpfer "geschenkt", der eine Frau und ein Kind hat. Was sie dort erlebt, ist unvorstellbare Grausamkeit. Tägliche Vergewaltigungen von mehreren Männern bis zur Ohnmacht. Nach drei Monaten schafft sie es, dieser Hölle zu entkommen. Und sie hat heute die Kraft, über ihr Schicksal öffentlich zu sprechen. Das sei ihr Kampf, sagt sie.
    "Was mir Kraft gibt, ist – auch wenn das makaber klingt - dieser starke, unfassbare Gegner, den ich nicht gewinnen lassen möchte. Es geht nicht nur um uns jesidische Frauen. Es sind auch andere Frauen gestorben. Wir haben keine andere Wahl, als weiterzumachen."
    Weiterleben und weiterkämpfen, das ist Nadias Motto. Sie hat ihre Geschichte bereits in mehreren Ländern und sogar vor den Vereinten Nationen erzählt. In Berlin spricht sie in der Zentrale des "American Jewish Committee". Die deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal übersetzt ihre Rede aus dem Kurdischen.
    "Ich erzähle meine Geschichte, weil es großes Unrecht ist, was mir widerfahren ist und weil ich will, dass die Welt erfährt, was uns widerfahren ist. Und ich erzähle die Geschichte, weil es sich um ein unschuldiges Volk handelt, das einfach nur leben wollte und bestialisch ausgerottet worden ist vom IS. Damit das nie wieder passiert und sich das ändert, muss ich darüber reden."
    Jesiden leben seit Jahrhunderten in Not
    Die deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal lernte Nadia Ende 2014 in einem Flüchtlingscamp im Nordirak kennen. Nadia gehörte zu den mehr als 1000 Frauen, die das Bundesland Baden-Württemberg über ein Sonderkontingent aufnahm. Tekkal begleitete Nadias Reise nach Deutschland und stellt gerade einen Dokumentarfilm darüber fertig. Tekkal gründete aber auch nach ihrem ersten Film über den Genozid an den Jesiden den Hilfsverein Hawar für Menschen in Not. Die Jesiden selbst seien seit Jahrhunderten in Not, aber sie seien nie wahrgenommen worden, sagt Tekkal.
    "Ich glaube, das neue für uns Jesiden ist, dass der Hilferuf zum ersten Mal seit dem Bestehen des Jesidentums angekommen ist, und zwar sehr wohl in Deutschland, bis hin zum Bundestag. Das heißt, unsere Geschichte ist zum ersten Mal über den IS-Terror erzählbar geworden. Obwohl wir durch diese Tragödie bekannt geworden sind, nutzen wir diese Möglichkeit als Chance im Hinblick darauf, dass wir keine Opfer mehr sein wollen. Denn wenn wir keine Opfer gewesen wären, wäre uns das auch nie passiert."
    Nadia will mit ihrem Schicksal dabei helfen, die Geschichte der Jesiden weiter bekannt zu machen. Sie kämpft darum, dass die Welt den barbarischen IS stoppt – und dass der Völkermord an ihrer Glaubensgemeinschaft anerkannt wird. Der Sicherheitsrat der UN hat das bereits getan. Ein Erfolg für ihre Religionsgemeinschaft, deren Stimme sie weiterhin sein will. Die jesidische Religion ist monotheistisch und missioniert nicht. Jeside wird man nur durch Geburt. Die Glaubensgemeinschaft ist kastenförmig aufgebaut und erlaubt das Heiraten nur innerhalb der eigenen Kaste und nie außerhalb des Jesidentums. Geht ein Mitglied eine sexuelle Beziehung außerhalb der eigenen Religion ein, gilt es nicht mehr als Jeside. Zum ersten Mal wurde diese Regel nun gebrochen. Das Oberhaupt der Jesiden im Nordirak setzte diese Regel für Frauen wie Nadia, die von IS-Terroristen vergewaltigt wurden, außer Kraft. Nadia ist erleichtert und dankbar.
    "Der sexuelle Missbrauch, der mir widerfahren ist, den habe ich mir nicht ausgesucht. Das war Unrecht. Ich habe mich nicht freiwillig dazu entschieden, aus der Religion auszutreten. Ich bin dankbar, dass ich Jesidin bleiben darf. Denn ich bin immer Jesidin gewesen und habe allen Konvertierungsversuchen zum Trotz, obwohl die Vergewaltigung stattgefunden hat, gesagt: Ich bin und bleibe Jesidin. Umso schöner, dass meine Religionsgemeinschaft und das religiöse Oberhaupt das genauso sehen."
    Von ihren 80 Familienmitgliedern hat Nadia seit ihrer Entführung nichts mehr gehört. Ihr Aufenthalt in Deutschland ist zunächst für zwei Jahre garantiert. Über eine Verlängerung müssen die Behörden dann neu entscheiden.