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Sextourismus
Der hausgemachte Kindesmissbrauch in Kambodscha

Ein Drittel der Prostituierten in Kambodscha sind unter 18 Jahre alt. Das kleine asiatische Land zieht Pädophile aus der ganzen Welt an - die meisten Freier sind allerdings kambodschanische Männer. Eine Ursache für den brutalen Missbrauch an Mädchen und Jungen ist Armut, aber es ist nicht der einzige Grund.

Von Udo Schmidt | 23.04.2016
    Auf dem Weg zu Srey Lin darf man nicht zimperlich sein. Über mehrere, immer dunklere Hinterhof-Gassen in Phnom Penhs Innenstadt geht es, schließlich eine zerfallende Treppe hinauf, durch einen dreckigen Hausflur, dann endlich ist Srey Lins Zuhause erreicht. Hier wohnt die 13-jährige mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern. In einem Raum, der kaum Platz lässt für Mobiliar, an dessen Wänden die Matratzen aufgerollt lagern, sitzt sie auf dem Fußboden und versucht, über das zu reden, was vor zwei Jahren mit ihr geschehen ist, wozu fremde Männer, Ausländer auf Reisen, sie gezwungen haben:
    "Ich war in der Suria Mall gleich nebenan, dort haben mich Männer angesprochen und dann in einem TukTuk mit zu einem kleinen Hotel genommen."
    Ihre Mutter solle für sie weiter antworten, sagt die 13-jährige schließlich mit leiser Stimme. Boy Sovann ist 39, sie hat mit ihrer Tochter immer wieder darüber gesprochen, was damals geschah:
    "Sie haben sie sich auf den Schoß gesetzt, erst angezogen, dann nackt, dann haben sie sie angefasst."
    Die damals Elfjährige war mit Süßigkeiten gelockt worden, wie es so oft geschieht im armen Kambodscha, in dem viele Kinder ums Überleben kämpfen. Mehrfach wurde sie missbraucht, von mindestens einem Mann, der später zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Srey Lins Mutter:
    "Anfangs war ich so wütend, dass ich mir die Todesstrafe für den Mann gewünscht habe. Aber das sehe ich jetzt anders. Nach der Haft muss er aber unbedingt ausgewiesen werden."
    Kein Ort für ein traumatisiertes Kind
    Die Familie der 13-jährigen wohnt noch immer in dem schimmeligen Haus neben der 51.Straße in Phnom Penh, dem Vergnügungsviertel. Es ist kein guter Ort, um ein traumatisiertes Kind in Sicherheit zu bringen. Sreys Mutter Boy Sovann:
    "Das ist ein altes, billiges Haus, wir können es uns nicht leisten, hier auszuziehen."
    Aber es sind nicht nur die pädophilen Sextouristen, die eine Gefahr für die Kinder in der Hauptstadt Phnom Penh oder in den Urlaubsorten Siem Reap und Sihanoukville darstellen. Auch viele Khmer sind unter den Tätern, sagt Neng Vannak von APLE, der 2003 gegründeten Action pour les enfants:
    "Wir wissen, dass die Täter vor allem Kambodschaner sind, aus dem Umfeld der Kinder, aber es gibt auch Ausländer, die genau deswegen im Land sind, sie kommen von überall, aus Asien etwa oder Europa."
    Missbraucht von einem Wahrsager
    APLE kümmert sich um die Kinder, hilft ihnen, bringt sie unter, betreibt Prävention, arbeitet bei der Verfolgung der Täter mit der Polizei zusammen. Der Einsatz habe schon zu Veränderungen geführt, sagt Neng Vannak:
    "Ein wichtiger Punkt ist, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zunimmt, weil viele Menschen informiert sind und wissen, worauf sie achten müssen."
    Cheb Sineth wurde von einem Khmer, einem Kambodschaner missbraucht, einem Wahrsager aus der Nachbarschaft. Cheb Sineth lacht viel – und spricht nur zögerlich. Noch immer fällt es der auf den ersten Blick fröhlich wirkenden 18-jährigen sehr, sehr schwer, darüber zu reden, was vor vier Jahren geschehen ist. Immer wieder – bis die Polizei dem Albtraum ein Ende machte.
    "Es war direkt nach der Schule, da hat er mich angesprochen, ich sollte ihm kurz etwas einkaufen, dann hat er mich gebeten, ihm die grauen Haare auszuzupfen. Dann musste ich auf seinem Schoß sitzen und seine Hand halten. Später hat er mich betäubt, mit Tropfen im Orangensaft. Ich weiß nicht genau, was dann passiert ist, aber ich habe mir sagen lassen, dass er mich vergewaltigt hat."
    Auch dieser Täter wurde verurteilt, zu fünfzehn Jahren Gefängnis.Es sei viel geschehen in Kambodscha, sagt Neng Vannak, aber es sei auch noch viel zu tun im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Das liege erstens an der Korruption im Land, zweitens daran, dass bestehende Gesetze nicht wirklich angewandt würden. Immerhin werden immer mehr pädophile Sexualstraftäter in Kambodscha zu langen Haftstrafen verurteilt, aber das reicht Neng Vannak noch nicht:
    "Wir wollen, dass jede Tat an Kindern und Jugendlichen verfolgt wird und wir wollen, dass die Täter nach Verbüßung der Haft regelmäßig ausgewiesen werden, damit sie nicht weiter Kinder missbrauchen."