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Sexuelle Belästigung
Anmache am Arbeitsplatz

Jeder Zweite in Deutschland ist an seinem Arbeitsplatz schon einmal sexuell belästigt worden. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die in Berlin veröffentlicht wurde. Frauen werden häufiger Opfer physischer Belästigungen, Männer von verbalen oder sogenannten visuellen Übergriffen.

Von Gudula Geuther | 03.03.2015
    Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Gestellte Aufnahme vom 01.11.2008 in Kronberg.
    Keine Ausnahmeerscheinung: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum)
    Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist keine Ausnahmeerscheinung. Das ist das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Deren Leiterin, Christine Lüders, fasst zusammen,
    "dass mehr als die Hälfte der Befragten sich schon einmal sexuell belästigt gefühlt hat am Arbeitsplatz und dass sie leider nicht wissen, an wen sie sich wenden können - an eine Beschwerdestelle oder Ähnliches, das hat ja eigentlich jedes Unternehmen. Und fatalerweise wissen auch die meisten nicht, dass ihr Arbeitgeber dazu verpflichtet ist vom Gesetz her, sie zu schützen."
    Die auch für die Forscher überraschend hohe Zahl erklärt der Soziologe und Studienleiter Frank Faulbaum so:
    "Jeder zweite Befragte hat letztlich verbotene Formen der Belästigung am Arbeitsplatz schon einmal erlebt. Aber nur jede sechste Frau und jeder 14. Mann stuft das Erlebte explizit als sexuelle Belästigung ein."
    Mehr als der Griff an die weibliche Brust
    Denn sexuelle Belästigung ist weit mehr als der Griff an die weibliche Brust. Das macht auch plausibler, warum Männer viel öfter - nach der Definition des Gesetzes - am Arbeitsplatz belästigt werden als Frauen. Sebastian Bickerich von der Antidiskriminierungsstelle:
    "Männer bekommen vor allem - wir nennen das - visuelle Belästigungsformen mit. Das heißt zum Beispiel: Sie kriegen E-Mails, sie kriegen SMS und Ähnliches. Das spielt im Erleben der Männer eine für uns auch überraschend große Rolle, wo auch die Männer sagen: Das stört sie. Männer empfinden das also auch als Belästigung. Sie wissen nur nicht, dass es verboten ist."
    Frauen dagegen werden weit häufiger körperlich bedrängt. Und: Die Handlungen gehen zwar gegenüber beiden Gruppen überwiegend von Männern aus - Frauen werden aber deutlich öfter von Vorgesetzten, und nicht von in der Betriebshierarchie Gleichgestellten belästigt.
    Es herrscht also große Unkenntnis darüber, welche Übergriffe verboten sind, wie der oder die Betroffene dagegen vorgehen kann. Darüber hinaus, beklagt der frühere Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, werde das Thema tabuisiert.
    "Es gibt sicherlich so eine Larmoyanz nach dem Motto "Viel Fantasie auch dabei". Das entspricht nicht der Realität, sondern viele Menschen leiden unter dieser konkreten Diskriminierung."
    "Viel Aufklärung nötig"
    Wowereit sitzt zusammen mit der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger, einer Kommission vor, die bis Ende dieses Jahres Handlungsempfehlungen erarbeiten soll. Zwei Ergebnisse nimmt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Christine Lüders schon vorweg:
    "Ich glaube, es ist unheimlich viel Aufklärung nötig, weil teilweise Personaler und Betriebsräte nicht genug über dieses Thema wissen."
    Und: Wer belästigt wird, soll sich wehren.
    "Als Arbeitnehmer haben Sie die Möglichkeit dagegen vorzugehen, indem Sie beispielsweise Schadenersatz verlangen oder den Arbeitgeber, der dazu verpflichtet ist, in die Pflicht nehmen, der von der Abmahnung bis hin zur Kündigung etwas unternehmen kann."
    Jutta Allmendinger kann sich - neben nötiger Aufklärung - zum Beispiel vorstellen, dass die Fristen verlängert werden sollten, in denen eine Belästigung angezeigt werden muss.