Donnerstag, 28. März 2024

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Seyran Ates über konservative Muslime
"Das sind keine dialogbereiten Menschen"

Mit der Gründung einer Moschee, die für alle offen steht, wollte Seyran Ates ein Zeichen setzen - für das friedliche Miteinander der Religionen. Jetzt wird die Anwältin mit dem Tode bedroht. Zurückrudern und den Kopf in den Sand stecken werde sie aber nicht, sagte Ates im Deutschlandfunk.

Seyran Ates im Gespräch mit Stephanie Rohde | 24.06.2017
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    Mit einer für alle Religionen offenen Moschee will die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates den interreligiösen Dialog fördern. (Deutschlandradio)
    Stephanie Rohde: Wer eine Moschee gründet, der rechnet ja nicht unbedingt damit, dass man dann Sätze hört wie "Ich hoffe, du verbrennst in der Hölle". So aber geht es gerade der Anwältin Seyran Ates. Sie hat nämlich vor einer Woche ihre liberale Moschee in Berlin eröffnet, die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die Angehörigen aller Religionen und auch Atheisten offensteht. Männer und Frauen beten dort gemeinsam, Frauen müssen kein Kopftuch tragen, und auch Homosexuelle sind in dieser Moschee willkommen.
    All das hat sehr heftige Reaktionen hervorgerufen, vor allem in der islamischen Welt. Seyran Ates wird massiv angefeindet, unter anderem von der türkischen Religionsbehörde und einer ägyptischen Fatwa-Behörde, die von einem unislamischen Angriff auf die Religion spricht. Über all das möchte ich jetzt sprechen mit Seyran Ates. Sie ist am Telefon. Guten Morgen!
    Seyran Ates: Guten Morgen!
    Rohde: Leider muss man ja sagen, dass Sie in Ihrem Leben schon öfter Morddrohungen bekommen haben. Trotzdem hat es Sie überrascht, für wie radikal es in der islamischen Welt gehalten wird, dass Sie eine liberale Moschee eröffnet haben?
    Ates: Das nicht wirklich. Selbstverständlich haben wir damit gerechnet, dass das jetzt mit Juhu-Schreien entgegengenommen wird, aber es hat mich schon sehr überrascht, dass die Türkei tatsächlich in der Lage war und ist, jetzt nach wie vor weiterhin gegen uns hetzt mit Lügen und vor allem, dass wir zu der Fethullah-Gülen-Bewegung gehören würden.
    Die Türkei nutzt wirklich jede Gelegenheit, Menschen genau in diese Schublade zu stecken. Wir haben absolut nichts mit der Fethullah-Gülen-Bewegung zu tun, und dennoch werden wir dort jetzt als Terroristen sozusagen bezeichnet. Das hat mich schon sehr überrascht, dass die Türkei sich nicht schämt, auch solch eine Lüge zu konstruieren.
    Rohde: Das ist ja schon eine neue Qualität, also dass Sie als Moschee-Gründerin dann direkt in die Nähe von einer Terrororganisation gestellt werden, zumindest sieht die Türkei das ja als Terrororganisation.
    Ates: Ja. Selbstverständlich. Und die andere Dimension ist, dass man jetzt vielleicht auch wirklich sieht, wie die Masken fallen. Wir haben es hier nicht nur mit Islamisten zu tun. Diese Nachrichten kommen nicht von al-Qaida, Islamischer Staat oder Boko Haram. Deren Positionen sind klar.
    Ich möchte wirklich die Weltöffentlichkeit auffordern zu gucken, wer schickt uns diese Nachrichten, auch hier in Deutschland explizit. Diese Menschen bezeichnen sich als konservative, gläubige Muslime. Das heißt, das ist der Mainstream, und das macht mich traurig, dass der große Mainstream so gewaltbereit ist. Wenn das wirklich das Abbild der schweigenden Mehrheit ist, dann sind wir bisher tatsächlich einem Irrtum unterlaufen, denn wir haben ja immer gesagt, die schweigende Mehrheit ist friedlich, und dem wollte ich ja ein Gesicht geben. Wir Liberalen …
    "Wir müssen durchhalten"
    Rohde: Und Sie haben jetzt aber das Gefühl, dass genau der Gegenteil der Fall ist, dass das offenbart wird.
    Ates: Genau. Also da hat jetzt die Social-Media-Öffentlichkeit jedenfalls dieses Gefühl, aber ich sage trotzdem, ich bin hoffnungsfroh, ich werde das weiterhin in Gottes Hände geben und lassen. Solche Bewegung wie Liberalität, Fortschritt, für Freiheit kämpfen hat immer bedeutet, dass man gegen eine große Menge an Menschen gegen den Mainstream ankämpfen musste. Wir müssen durchhalten. Ich bekomme wirklich unendlich viel Zuspruch, sonst würde ich das gar nicht machen.
    Rohde: Entschuldigung, ich würde da gerne einhaken: Können Sie denn nachvollziehen, dass konservative Muslime jetzt ihren Glauben verletzt sehen, zum Beispiel, weil eben Männer und Frauen in Ihrer Moschee gemeinsam beten?
    Ates: Selbstverständlich kann ich das nachvollziehen, weil ich weiß, dass Argumente kommen wie "seit 1.400 Jahren haben wir das schon gemacht". Das ist ja der Grund, warum wir Veränderung wollen. Wir wollen nicht mehr das leben und praktizieren, was in diesem Jahrhundert war. Das wissen wir ja. Das ist ja das Problem, aber dass die so derart gewaltbereit sind für ihre verkrusteten Ansichten und andere nicht gewähren lassen wollen in dieser Form, das heißt, diese Menschen haben nichts von Liebe, Toleranz, Barmherzigkeit aus ihrer eigenen Religion gelernt. Sie sind nicht bereit, im Dialog mit mir zu streiten. Lesen Sie die Nachrichten: Da werden Sie nichts finden von inhaltlicher theologischer Auseinandersetzung. Vergewaltigungsfantasien, Mord, Kopf soll an die Wand geschlagen werden und so weiter. Das sind keine dialogbereiten Menschen, und das ist traurig, aber ich bin trotzdem auch da, weiterhin hoffnungsfroh, ich reiche weiter die Hand. Sollen sie mit uns diskutieren, und nebeneinander können wir doch existieren. Was soll das. Ich habe kein Problem, wir haben kein Problem mit Konservativen. Wir sagen nur, wir wollen nicht so leben, also ihr müsst uns nicht zwingen, so leben zu müssen wie ihr.
    Rohde: Andererseits gibt es ja auch einige gemäßigtere Kritiker, die dann zum Beispiel darauf verweisen, dass Sie sich ans Christentum anbiederten. Gehen Sie auf so eine Kritik ein, wenn Sie sagen, Sie reichen da die Hand? Also lassen Sie sich da auf einen Dialog auch ein?
    Ates: Die anderen leider nicht. Also wir machen da weiter und erklären, dass das nicht der Fall ist. Wir können nur, indem wir das vorleben, wie wir das machen, zeigen, dass wir keine bösen Absichten haben, und wir sind weder von einer Gülen-Bewegung noch von den Christen noch von den Juden als religiöse Gruppe geleitet.
    Wir haben uns in dieser Moschee lediglich zusammengetan, um unsere Religion, den Islam, zu leben – Sunniten, Schiiten, Aleviten, Sufis –, und das kann ich nur ausdrücklich wiederholen, und sind nicht jetzt langer Arm von irgendwelchen Kräften, die unsere Religion zerstören wollen. Nein, mein Aufruf ist an diese Leute: Wir kämpfen hier mit dem Islam gegen den Islamismus. Wir wollen endlich zeigen, wir auch wollen zeigen – das macht ihr nicht auf eine schöne Weise, sage ich nur –, wir wollen zeigen, dass unsere Religion nicht nur Gewalt, Terror, Attentate bedeutet. Ich rufe ihnen zu, was habt ihr bisher gegen Islamismus getan. Schreibt ihr diese hässlichen Nachrichten auch an den IS, Boko Haram und al-Qaida und Taliban und wie sie alle heißen?
    "Ich bin nicht allein. Das macht mich zurzeit ziemlich stark"
    Rohde: Aber Frau Ates, ich würde da trotzdem gerne noch mal einhaken: Heißt das denn, wenn wir jetzt bilanzieren, dass die islamischen Religionsgemeinschaften, die unterschiedlichen Strömungen, eigentlich unfähig sind, einen innerislamischen Dialog zu führen, also dass das eigentlich eine Unmöglichkeit ist, was Sie da mal versucht haben?
    Ates: Na also, nichts ist unmöglich, zum einen, und sei realistisch: fordere das Unmögliche ist die Parole gewesen, unter der ich politisch großgezogen wurde, von einer Friedensbewegung auch und von weiteren Bewegungen in den 80er-Jahren.
    Ich sage, wir sind Menschen, wir leben die Religion, und der innerislamische Dialog ist möglich, genau wie bei den anderen. Ich habe Zuschriften bekommen von Christinnen und Christen und Juden und Jüdinnen, die ganz klar sagen, Frau Ates, bei uns war es nicht anders. Was meine Sie, wie es bei uns losging, als wir Jüdinnen und Juden ein liberales Judentum verkündet haben. Wir müssen da durch. Jetzt gilt es für uns alle, durchzuhalten und gemeinsam zu stehen. Ich bin nicht allein. Das macht mich zurzeit ziemlich stark. Ich weiß nicht, wie lange das geht, ob das wirklich erfolgreich sein wird, aber wir halten erst mal durch. Wir können nicht sofort in der ersten Woche das Handtuch werfen, weil zehntausend Leute der Ansicht sind, wir gehören abgestraft, weil wir …
    "Warum soll ich denn, weil so konservative Leute unser Leben bestimmen wollen, den Kopf einziehen?"
    Rohde: Aber könnten Sie nicht möglicherweise ein bisschen zurückrudern? Also vielleicht haben Sie ja zu viele Tabubrüche auf einmal begangen, und vielleicht wäre es besser, wenn man das Ganze ein bisschen behutsamer anginge.
    Ates: Na ja, das haben wir schon Jahrzehnte probiert. Es ist ja nicht neu, dass wir versuchen, da einen innerislamischen Dialog zu führen. Das ist der einzige Weg, den wir jetzt machen. Ich habe so viel Zuspruch weltweit von Muslimen, auch aus der islamischen Welt. Es ist genau dieser Weg, wir müssen ihn gehen, wir müssen uns einen eigenen Raum schaffen. Warum soll ich denn, weil so konservative Leute unser Leben bestimmen wollen, den Kopf einziehen. Ich werde doch weiter das denken wollen und aussprechen wollen, was ich bin, und wenn wir schweigen, das macht uns doch krank.
    "Wir haben zurzeit die Demokratie zur Verhandlung freigegeben, und das ist nicht verhandelbar"
    Rohde: Ein Problem ist aber auch, dass die Politik ja gerade nur relativ zurückhaltend Ihnen Unterstützung angeboten hat. Sind Sie ihnen möglicherweise zu liberal, also in den Augen vieler Politikerinnen und Politiker, die ja schon lange mit eher konservativen Islamverbänden zusammenarbeiten? Haben die Berührungsängste mit Ihnen?
    Ates: Das glaube ich nicht. Also Herr Michael Müller hat sich gestern durch die Presseerklärung an unsere Seite gestellt, Martin Schulz ebenfalls, und soviel ich weiß, gibt es auch eine harte Kritik durch die Regierung gegenüber der Türkei. Wir leben doch in einem Land der Religionsfreiheit, und was Sie jetzt gerade machen, also Sie als Journalistin stellen ja natürlich die Frage, –
    Rohde: Ja, natürlich.
    Ates: – und das ist nicht, was Sie jetzt unbedingt von mir wollen, ist ja die Frage, ist das zu radikal, sollten Sie sich etwas zurücknehmen. Das ist doch die Aufforderung, die demokratischen Rechte in diesem Land nicht zu nutzen als Liberale, während wir überall an jeder Ecke diesen Konservativen alles gewähren und alles gewähren lassen, was sie wollen. Wir haben unsere Gesellschaft zurzeit, die Demokratie, zur Verhandlung freigegeben, und das ist nicht verhandelbar.
    Es gibt die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1990 haben islamische Länder – 48, glaube ich, an der Zahl waren es – die Kairoer Erklärung unterschrieben der islamischen Menschenrechte. Bitte, legen Sie alle diese beiden Menschenrechtserklärungen nebeneinander. Damit hat die islamische Welt die Welt eingeteilt in Westen und islamische Welt, nicht wir. Die Menschenrechte sind universell, und wenn wir unsere Werte nicht verteidigen, unsere Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit nicht verteidigen, wenn ich jetzt mit der Moschee, wir – ich bin ja nicht allein –, wir mit unserer Moschee nicht verteidigt werden und man zu uns steht in Europa, dann höre ich auf. Dann habe ich das Gefühl, wir haben gar keine Demokratie. Dann sehe ich, dass wir auch in Europa keine Demokratie und keine Religionsfreiheit haben. Wenn wir frei …
    Rohde: Sagt die Anwältin – wir müssen leider aufhören, tut mir leid –
    Ates: Ja, danke.
    Rohde: – sagt die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, die vor einer Woche eine liberale Moschee in Berlin eröffnet hat und seitdem von konservativen Islamvertretern angefeindet wird. Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben!
    Ates: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.