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Shakespeare-Film ist "ein Herzensprojekt"

Eigentlich steht sein Name für teure Blockbuster. Seinen Film "Anonymus" realisierte Roland Emmerich mit kleinem Budget. Für Aufsehen sorgt er dennoch, hat er doch den Streit um Shakespeares Identität befeuert. Die Heftigkeit der Kontroverse hat den Regisseur überrascht.

Roland Emmerich im Gespräch mit Sigrid Fischer | 02.11.2011
    Sigrid Fischer: Sie haben ein Haus in London. Wie willkommen sind Sie noch in England, nachdem Sie die Identität von William Shakespeare infrage stellen?

    Roland Emmerich: Ich hab immer gewusst, dass es da viel Unmut geben wird und Kontroverse, aber da bin ich jetzt auch schon überrascht, wie laut die geworden sind. Wahrscheinlich haben sie auch ein bisschen die Chance entdeckt, sich selbst zu promoten. Und natürlich haben sie auch Angst vor so einem Film, weil Filme Jugendliche, Schüler und Studenten beeinflussen. In dem Sinn wird es der Film wahrscheinlich in England sehr schwer haben.

    Fischer: Zwar ist der Film an sich ja weniger spektakulär, als man es von ihm gewohnt ist, aber krachen lassen Sie es dennoch, denn es Ihnen wieder mal gelungen, damit für Schlagzeilen zu sorgen, das macht Ihnen schon Spaß, oder?

    Emmerich: Ich finde wichtig, dass man sagt, was man denkt und nicht vorsichtig ist - in keinster Weise. Wenn alle nur vorsichtig sind und nicht anecken wollen, wo kommen wir da hin? Das wäre, als wenn ich aufgeben würde. Ich versuche ja auch in meinen breiter angelegten Filmen immer, eine radikale Message einzubauen. Zum Beispiel in "2012", ich traue den Regierungen der Welt ja nicht viel zu.

    Fischer: Das heißt, Sie glauben daran, dass am 21. Dezember nächstes Jahr die Welt untergehen wird, wie Sie es in Ihrem Film 2012 zeigen, da konnte man froh sein, wenn man einen Platz in einer der Rettungsarchen ergattert. Haben Sie schon entsprechende Vorbereitungen getroffen?

    Emmerich: Ich habe mein Ticket bekommen. Plötzlich, eines Tages, krieg ich irgendwie - mein Ticket.

    Fischer: Ah ja, Glück gehabt. Wie lautet eigentlich die radikale Message im Fall von Anonymus?

    Emmerich: Ganz einfach: dass Shakespeares Stücke politisch waren, was die Stratfordians strikt ablehnen. Obwohl es da Beweise gibt. Nach der Essex-Rebellion hat Elisabeth gesagt: "Don't you know I am Richard II?" Also die wusste ganz genau, um was es geht. Und William Shakespeare hat ja in seinen Stücken viele Figuren karikiert, die ganz mächtig waren, aber er wurde nie verhaftet. Und deshalb glauben ja viele, dass er zu wichtig war und dass es ein absolut großer Skandal gewesen wäre, wenn raus gekommen wäre, wer hinter dem Namen W.S. steckt.

    Fischer: Nun ist ja Kino der Ort der Fiktion und Fantasie, ist die Wahrheit da überhaupt wichtig? Ist es nicht egal, wer am Ende recht hat - Sie oder die Shakespeareforscher?

    Emmerich: Find ich auch. Das ist auch, warum ich den gleichen Trick benutze, den Shakespeare in seinen Stücken benutzt: Ich habe einen Prolog eingeführt, einen Mann, der klipp und klar sagt: "I will tell you now a different story, a darker story." Er sagt nicht: "the truth", er sagt: "a story". Das ist ganz wichtig für mich gewesen.

    Fischer: Jetzt wundert sich ja manch einer und sagt: Was ist denn mit dem Roland Emmerich los, macht der jetzt Bildungsbürgerkino? Das heißt, da geht ein Imagebruch gerade einher mit ihrem Film "Anonymus", aber mit so einer Irritation spielen Sie ganz gerne, oder?

    Emmerich: Absolut. Aber man muss ja auch sich selber überraschen, und die anderen vielleicht auch. Man muss das machen, woran man selber interessiert ist. Ich war immer an Literatur interessiert, ich war immer an Geschichte interessiert, ich war immer an Politik interessiert. Ich war immer ein bisschen ein Querdenker, ich habe immer viele Fragen gestellt. Und alles kulminiert in diesem Skript, das ich gefunden habe. Ich wusste gleich, dass ich das machen wollte.

    Fischer: Abgesehen von der Frage nach der Identität Shakespeares, welche Aspekte haben Sie an der Geschichte noch interessiert?

    Emmerich: Eigentlich die Tatsache, dass es eine Geschichte über das Wort ist, und über die Wirkung des Wortes, was in unserer Zeit total verloren gegangen ist, aber jetzt seltsamerweise wieder kommt, wenn man sieht, was im Internet politisch passiert, das ist ja auch Wort. Internet ist ja nicht viele lustige Bildchen, das sind Worte. Und dass sich jetzt Menschen organisieren über das Internet und protestieren, das ist auch schön. Aber als ich den Film angefangen habe, gab es das ja noch nicht, nicht die Unruhen in der arabischen Welt und auch noch nicht die Occupy Wall Street Bewegung.

    Fischer: Die ja in New York ihren Anfang nahm. Sie leben in Los Angeles, wie gefällt Ihnen das, was da an der Ostküste vor sich geht?

    Emmerich: Toll. Es wurde langsam Zeit. Ich war ja letztens erst in New York, da bin ich durch New York gefahren und plötzlich sagt der Fahrer: Ich muss nen Umweg fahren, die protestieren da wieder. Da hab ich gesagt: Kannst'e mal kurz anhalten, da bin ich rüber gelaufen und hab mir das angeguckt. Das war toll. Und diese Bewegungen fangen ja immer ganz klein an und werden größer und größer. Das wird ganz spannend werden die nächsten zwei oder drei Jahre. Und es ist seltsam bei der Occupy Wall Street: Die haben ja noch nicht so richtig rausgefunden, gegen was die protestieren. Die wissen nur, dass sie protestieren müssen.

    Fischer: Da schwingt ja sicher auch die Enttäuschung über Barack Obama mit. Sie waren, sind auch großer Obama-Fan, haben einen amerikanischen Pass seit er Präsident ist. Wie sehen Sie ihn jetzt?

    Emmerich: Ja da ist viel Frustration dabei, dass Obama nicht so radikal war, wie er vielleicht gesagt hat. Ich sag nur immer: Gib mir ne Alternative, die besser ist, und dann wird's dann wieder Obama. Und ich glaub auch, dass der Obama, wenn er noch mal gewählt wird, sehr viel radikaler werden wird.

    Fischer: Letzte Woche hat Ihre Produktionsfirma, die Sony, bekannt gegeben, dass sie Ihren Film "Anonymus" nur mit 250 Kopien in den USA starten wird. Sie sind es aber gewohnt, dass Ihre Filme dort mit der zehnfachen Kopienzahl ins Kino kommen. Das muss doch eine Riesenenttäuschung für Sie sein?

    Emmerich: Ich weiß ganz genau, was ich mache. Deshalb hab ich auch versucht, den Film so billig wie möglich zu machen. Das ist natürlich kein Vergleich zu den Filmen, die ich sonst mache. Ich hab mir nicht eingebildet, dass der 200 Millionen macht, ich hab mir gedacht, wenn der zehn, 20 Millionen macht, bin ich gut dabei. Und ich glaube, Sony hat jetzt korrigiert, was sie falsch gemacht haben. Wenn der Film wirklich stark ist, werden die Leute den Film entdecken müssen. Du kannst den Film niemandem verkaufen. Das ist ein Nischenthema für Leute, die an diesem Thema interessiert sind. Und wie viele sind das? Und dann haben sie mich gefragt und ich habe gesagt: ja, sofort. Mir war es auch etwas unheimlich, ihn mit 2000 Prints zu starten. Und was wahrscheinlich passiert wäre, dass er mit fünf oder sechs Millionen gestartet wäre und nach drei Wochen aus dem Kino raus wäre. So hat er die Chance, den Herbst durchzulaufen, weil ihn mit 250 Kopien im Kino zu halten, ist viel einfacher.

    Fischer: Also haben Sie sich da ein kleines Liebhaberprojekt gegönnt, wie wichtig ist Ihnen der Film in der Reihe Ihres sehr lukrativen Gesamtwerks?

    Emmerich: Sehr wichtig, weil er halt schon so ein Herzensprojekt war, Das muss ja ein Herzens- oder ein Passion-Project sein. Weil im Prinzip will ja kein Mensch, dass ich so einen Film mache. Meine Freunde vielleicht schon und meine Schwester. Aber die Industrie natürlich nicht, weil meine Filme machen normalerweise 400 Millionen plus weltweit. Und dieser Film wird, wenn es hoch kommt, vielleicht 50 Millionen plus machen weltweit. Da fehlen dann halt 350 Millionen in der Kasse.
    Fischer: Erfolg ist Freiheit, sagen Sie ja immer, und Sie haben viel Freiheit bei Ihren Projekten, eben weil Sie viel Erfolg haben. Das heißt, so einen "Anonymus" sollten Sie sich nicht allzu oft leisten?

    Emmerich: Das werd ich mir auch nicht so oft leisten, aber immer wieder mal hoffentlich. Und ich muss auch sagen, ich war sehr, sehr froh, als ich die exit polls in Amerika - wir haben die höchste exit poll, den ich je in einem Film hatte. A minus, das kommt ganz selten vor.

    Fischer: Exit polls – muss man erklären, sind Zuschauerbewertungen nach dem Kinobesuch. Sie haben eben gesagt, Roland Emmerich, Sie interessieren sich für Literatur, Geschichte, Politik. Ärgert es Sie, wenn Ihnen keiner zutraut, dass Sie kluge Bücher lesen, weil Sie immer Popcornkino drehen?

    Emmerich: Ja, absolut, aber Menschen lieben Leute in Schubladen zu tun und dann sich dazu irgendwas auszudenken zu dem Menschen, wie der sein müsste, wenn er so was macht. Und meistens liegen Leute daneben, wenn sie so denken. Und mein Film ist ein bisschen darüber. Schubladen denken ist nicht so das unbedingt Günstigste, wenn wir weiter kommen wollen.