Donnerstag, 25. April 2024

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Shakespeare
Haußmann inszeniert "Hamlet" am Berliner Ensemble

"Hamlet" ist bereits das sechste Shakespeare-Stück, was Leander Haußmann inszeniert. Am Berliner Ensemble setzt der Film- und Theaterregisseur vor allem auf Unterhaltsamkeit und Überdeutlichkeit.

24.11.2013
    Bevor er den Wachen als Geist erscheint, stirbt Hamlets nackter Vater vor dem Vorhang unter Blitz und Donner. Wenn er zu Boden fällt, entzündet sich auf einem von der Bühne ragenden Steg ein Holzstapel, und auf dem Vorhang erscheint, wie vom Blitz gemalt, der Name Hamlet. Der kleinwüchsige Narr, der als Zeremonienmeister mit seiner Schelle aufstampft, wird fortgeschleppt und geköpft. Doch er geistert weiter, jetzt nicht mehr bunt-, sondern schwarzgekleidet, als Todessymbol durch das Spiel. Und zwei Sängerinnen mit Engelsflügeln wandern mit Ziehharmonika und Gambe durch das Geschehen. Sie liefern mit Songs, meist von Bob Dylan, vor allem mit seinem „Death is not the end“ einen kommentierenden und atmosphärischen Sound.
    Regisseur Leander Haußmann setzt in seinem stark gekürzten, aber dennoch dreieinhalb Stunden dauernden Hamlet vor allem auf Unterhaltsamkeit und Überdeutlichkeit. Und auf äußerliche Beweglichkeit: So rotiert die Drehbühne fast während der gesamten Aufführung, und die Menschen laufen zwischen den Wänden, die Bühnenbildner Johannes Schütz mit vielen unterschiedlichen Ausschnitten und Öffnungen wie ein Labyrinth wirken lässt, unentwegt herum.
    Kein großer Held
    Haußmanns Hamlet ist kein großer Held, sondern ein eher schmaler, sympathischer Junge von nebenan. Der von der Situation überfordert ist. Des Vaters Geist erscheint ihm, während er mit Ophelia im Bett liegt: klar, dass Hamlet da vor allem genervt ist. Und Christopher Nells Hamlet zeigt auch deutlich, dass er mit des Vaters Schwert erst einmal nichts anzufangen weiß. Nell spielt weniger einen sinnsuchend zaudernden Hamlet als einen Jüngling, der zwischen Revolte, Empörung, erster Liebe und des Vaters Racheauftrag seine Coolness verliert.
    Wenn Claudius und Gertrude ihm das Versprechen abgerungen haben, zu bleiben, und daraufhin heftig zu knutschen beginnen, ist er weniger existenziell empört als emotional verwirrt:
    Claudius (zu Gertrude): "Kommt mit mir!"
    Hamlet: "Oh schmölze doch dies allzu feste Fleisch,
    Zerging´, und löst in einen Tau sich auf!
    Oder hätte nicht der Ew´ge sein Gebot
    Gerichtet gegen Selbstmord! Oh Gott! Oh Gott!
    Wie ekel, schal und unersprießlich
    Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!"
    Dieser Hamlet wird hineingerissen in einen Racheweg, den Leichen pflastern. Als unfreiwilliger Täter, der schließlich mit Hammer und Revolver wie ein verwirrter Amokläufer agiert.
    Doch die Trennung von Ophelia, die Anna Graenzer als ein selbstbewusstes und zielgerichtetes Mädchen spielt, fällt Hamlet nicht leicht. Denn die beiden sind deutlich ein Paar, und Ophelia überschüttet ihn schier mit den Briefen, die er ihr einst schrieb. Bis Hamlet mit einem Gebläse alle Briefe wegpustet.
    Zuweilen überraschende szenische Ideen
    Haußmanns Inszenierung ist voll von solchen Einfällen, von Slapstick und szenischen Gags, mit denen er Situationen oft unterhaltsam macht, sie zuweilen aber auch unnötig aufbläst. Es ist eine Inszenierung mit überraschenden und schönen szenischen Ideen. Leider verliert sie sich aber oft auch ohne Gefühl für ein szenisches Timing in ihren Spielereien. In Schlegels Übertragung fügen die Darsteller gelegentlich heutige Deftig- und Schnoddrigkeiten ein. Schauspielerisch geben Roman Kaminski, der mit souveräner Sprechtechnik den Claudius als seine Geschäfte resolut abwickelnden Mann zeigt, Martin Seifert, der die Komik des ersten Totengräbers hervorholt, indem er sie wunderbar unterspielt, und Norbert Stöß, der den Polonius als eitlen Nüchterling gibt, der Inszenierung Glanzpunkte.
    Diesen Polonius nun weidet Hamlet, nachdem er ihn getötet und seine Mutter mit Blut beschmiert hat, in einer unendlich langen Szene richtiggehend aus. In dieser Szene, die mehr auf Effekte als auf Sinnhaftigkeit setzt, zeigt er dem Publikum Gedärme und Hirn des Toten vor und spricht dazu von „Sein oder Nichtsein“:
    "Sterben – schlafen –
    Nichts weiter! Und zu wissen, dass ein Schlaf
    Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
    Die unsers Fleisches Erbteil – Das ist ein Ziel,
    Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen."
    Zwar wird auch ein Text von Machiavelli über den rechten oder falschen Gebrauch der Grausamkeit gesprochen, doch Haußmann interessiert sich nicht sonderlich dafür, was mit Shakespeares Stück über Herrschaft, Macht und Gewalt gesagt werden kann. Nach einem langen, furios-wilden Showdown zwischen Hamlet und Laertes, bei dem neben Pistole, Degen, Axt und dem Rasselstock des Narren alles, was so herumliegt, zum Einsatz kommt, ist einfach Schluss. Viele Leichen gibt es, aber keinen Fortinbras und keine Überlegung, wie es weitergehen kann am Hof der Anzugträger von Dänemark.