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"Shape of Light"
Lichtstrahlen nach Belieben manipuliert

Fotografien von Alfred Stieglitz und Arbeiten von Sigmar Polke: Die Ausstellung „Shape of Light“ in der Tate Modern zeigt Fotografie, Abstrakte Kunst der letzten hundert Jahre und dokumentiert wie sich die „Form des Lichts“ verändert hat. Die Fülle der Schau ist fast zu überwältigend.

Von Hans Pietsch | 03.05.2018
    Installationansicht von Maya Rochats "A Rock Is A River" (2018) in der Ausstellung "Shape of Light" (Courtesy Lily Robert and VITRINE, London | Basel © Maya Rochat)
    Installationansicht von Maya Rochats "A Rock Is A River" in der Ausstellung "Shape of Light" in der Tate Modern (Tate / Seraphina Neville)
    Der Untertitel der Schau, "100 Jahre Fotografie und Abstrakte Kunst", ist ein wenig irreführend. "Fotografie und Abstraktion" wäre genauer gewesen, denn darum geht es in der Tate Modern: um Fotografie, die der Abbildung von Realität den Rücken kehrt, und mit den unterschiedlichsten Mitteln Abstraktion herstellt. "Warum sollte die Inspiration, die ein Künstler durch den Umgang mit Pinselhaaren herstellt, sich von der eines Künstlers unterscheiden, der Lichtstrahlen nach Belieben manipuliert?", fragte der belgische Fotograf Pierre Dubreuil. Sein Foto von 1911, die fotografische Interpretation eines kubistischen Werkes von Picasso, ist das älteste Foto der Schau und hängt neben einer kubistischen Arbeit von Georges Braque. Die beiden Werke könnten vom selben Künstler stammen. Als Ausstellungsdirektor der Tate Modern spricht Achim Borchardt-Hume über die Hängung.
    "Die Räume sind geordnet, gestaltet einerseits chronologisch, aber andererseits auch nach so Grundsatzfragen abstrakter Kunst – Formfindung, Kontraste, Licht und Schatten. Und das Interessante ist halt wirklich, dass, sobald das Medium Fotografie wirklich benutzt wird von Künstlern, sich Künstler beginnen, dieselben Fragen zu stellen, die sich Maler und Bildhauer zeitgleich auch stellen."
    Plätze aus der Vogelperspektive
    Sehr schön klar wird das bei der Gegenüberstellung einer Bodenarbeit aus quadratischen Metallplatten von Carl André von 1969 und einer fast gleichzeitig entstandenen Fotoarbeit von Ed Ruscha, die Aufnahmen von Straßen, Plätzen und Parkplätzen aus der Vogelperspektive zeigen – beides abstrakte minimalistische Raster. Und auch beim Nebeneinander einer schwarzweißen Op-Art-Arbeit von Bridget Riley und Fotos der Deutschen Florian Neusüss und Gottfried Jäger, wie Kurator Simon Baker erläutert:
    "Bridget Riley, Florian Neusüss und Gottfried Jäger haben keinerlei persönliche Beziehung zueinander, sagt der Kurator. Doch in den Sechzigerjahren gab es einen Moment, wo optische Effekte und die Verwendung von Repetition in unterschiedlichen Medien zu etwas führen, das miteinander verwandt ist. Jeder schuf auf seine Art einen optischen Effekt."
    Ermüdende Wiederholungen
    Darum herum sind eine Fülle von Fotos der letzten 100 Jahre zu sehen, etwa 300 an der Zahl, mit denen die Kuratoren ihre Vorstellung von den Grundsatzfragen der Abstraktion anschaulich machen wollen. Bekannte Werke wie die Fotogramme von Laszlo Moholy-Nagy aus den Zwanzigerjahren, die verzerrten nackten Körper von André Kertesz sowie die Serie "Equivalent" von Alfred Stieglitz aus den Dreißigern, aber auch Unbekanntes wie die Lichtexperimente von Hans Finsler oder die Kreise und Dreiecke des in den USA geborenen Japaners Kira Hiromu. Zwar gibt es einiges zu entdecken, doch die Fülle der Schau ist überwältigend, Wiederholungen schleichen sich ein, und sie wirkt auf die Dauer, es muss gesagt sein, beinahe langweilig.
    Erst im letzten Raum, der uns in die Gegenwart führt, gewinnt die Ausstellung wieder an Format. Da ist Sigmar Polkes "Uranium"-Serie, für die er das radioaktive Material wochenlang auf fotografische Platten legte und so die unsichtbare tödliche Strahlung erkennbar machte; oder die digital manipulierten Aufnahmen nächtlicher Städte von Antony Cairns; und am Schluss des Raums eine von der Schweizerin Maya Rochat gestaltete bunt flimmernde Wand, die rein mithilfe von chemischen Prozessen hergestellt ist, und so nichts mehr abbildet. Die heutigen Fotokünstler scheren sich nicht mehr um unterschiedliche Medien, sie springen hin und her, sagt Ausstellungsdirektor Achim Borchardt-Hume:
    "Ja, die springen vom einen zum anderen. Aber es ist auch interessant jetzt, dass es Künstler gibt, die statt dazwischen zu springen, das Medium an sich auf ganz neue Art ausloten."