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Sicher über die Sahara

Wer schon einmal mit dem Flugzeug die Sahara überquert hat, der weiß, wie unglaublich groß dieses Gebiet ist: Stunden über Stunden immer das gleiche Bild, wenn man aus dem Fenster schaut - nichts als Wüste. Wie schaffen es eigentlich die europäischen Zugvögel, die oft nur ein paar Gramm wiegen, dieses Hindernis zu bewältigen auf ihrem Weg ins Winterquartier und zurück? Ein Forscherteam unter Schweizer Federführung hat drei Jahre lang in Mauretanien das Verhalten der Zugvögel untersucht.

Von Beate Weides | 12.10.2004
    Ein gelber Himmel, soweit das Auge reicht. Es reicht aber nicht weit und wird von Sandkörnern gepeinigt. Kein Wunder, dass die Vorstellung bis heute weit verbreitet ist, die europäischen Zugvögel würden mal eben 2000 Kilometer non stopp zurücklegen, um das gigantische Hindernis Wüste zu überqueren. Mit dieser Mär räumen die Forscher der Schweizerischen Vogelwarte Sempach auf: Die Segelflieger, etwa Greifvögel, können ohnehin nur tagsüber fliegen, weil ihnen nachts die Aufwinde fehlen. Und die meisten anderen Vögel außer Schwalben fliegen lieber die Nacht durch und legen tagsüber Zwischenstopps ein. Allerletzte Sicherheit geben die Radaruntersuchungen allerdings nicht, räumt Professor Bruno Bruderer ein, Chef der Schweizer Vogelzugforscher. Denn die Ornithologen können auf ihren Radarschirmen nicht Arten, sondern nur Flugtypen, also Vögel nach Größe und Art ihres Flügelschlages, unterscheiden.

    Es ist relativ schwierig, festzustellen, was allenfalls an Nachtziehern am Morgen noch unterwegs ist, weil ja eben die Tagzieher dann das Bild beherrschen. Aber wir haben Indizien, dass bei guten Rückenwinden ein Teil der Nachtzieher nicht landet, sondern weiter in den Tag hinaus zieht. Allerdings, im Laufe des Nachmittags, wenn es ganz heiß wird, dann kommen wahrscheinlich fast alle Nachtzieher runter - auch bei günstigen Bedingungen.
    Bei ihrem ersten Herbstaufenthalt in Westafrika zählten die Forscher weit weniger Zugvögel im Landesinnern als entlang der mauretanischen Küste. Die meisten Vögel bogen also erst spät landeinwärts ab, um Kurs auf ihre Winterquartiere in Ostafrika zu nehmen. Doch im nächsten Frühjahr wurden die Forscher stutzig: Für den Rückweg wählten mehr Vögel die direkte Route quer durch die Sahara nach Norden als den Umweg über die Küstenstrecke. Innerhalb der Arten entdeckten die Ornithologen dabei Unterschiede: So flogen die Jungvögel im Herbst vor allem im Küstenbereich, während Altvögel häufiger im Inland anzutreffen waren. Bruno Bruderer vermutet:

    dass die Zugvögel mit angeborener Zugrichtung Richtung Südwesten fliegen, und damit eben automatisch an die Westküste von Afrika kommen.
    Wenn sie mal in den Savannen Ostafrikas überwintert haben, und sie zurückfliegen nach Europa, dann könnte es sein, dass sie einen direkteren Weg für den Rückflug wählen. Und das sind dann nächsten Herbst die Altvögel. Und diese Altvögel, die bereits einmal den Weg durch die Wüste nach Norden gemacht haben, die könnten nun, weil sie etwas dazugelernt haben, auch im Herbst den Weg durch die Wüste bevorzugen.


    Dabei ist der direkte Rückflug ja kein Zuckerschlecken. Vereinzelt beobachteten die Forscherteams im Landesinnern, wie Rauchschwalben vom Himmel fielen, die ihre Flugmuskeln so weit abgebaut hatten, dass sie nicht mehr weiterfliegen konnten. Das Protein aus den Brustmuskeln anzuzapfen, ist die letzte Möglichkeit, wenn alle Fettreserven aufgezehrt und innere Organe wie etwa der Darm schon auf ein Minimum verkleinert wurden. Manche stark abgemagerte Vögel suchten ihr Heil bei den Menschen, erzählt einer der deutschen Wissenschaftler im Team, Volker Salewski:

    Sie sind dann zum Teil auf unsern Schultern, unsern Köpfen gelandet, um Fliegen zu fangen, die um unsere Köpfe fliegen oder sind auf unserer Kaffeetasse gelandet, um da auch zu trinken. Und das ist ja nicht ein Zeichen der Vertrautheit des Vogels mit dem Menschen, sondern ein Abwägen des Vogels zwischen dem Risiko zu verhungern, zu verdursten und vielleicht von einem potentiellen Feind gefressen zu werden.

    Viele magere Vögel rasteten denn auch viel länger in den Oasen, als die Ornithologen erwartet hatten - bis zu drei Wochen. Volker Salewski:

    Und wir haben Verhaltenscharaktere festgestellt, mit denen wir so nicht gerechnet haben, nämlich dass die Vögel den ganzen Tag über Nahrung aufnehmen, auch in den heißesten Stunden am Tag, wo wir gemeint haben, da sitzen sie nur im Schatten und rasten, aber da fressen sie auch die ganze Zeit, nur ein bisschen langsamer, ein bisschen weniger, aber sie fressen.

    Die einzige Art, die sich überhaupt nicht an diesen Fressorgien beteiligte, war die Gartengrasmücke, die in Europa brütet und in Ostafrika überwintert. Sie hatte es auch nicht nötig. Die im Camp gefangenen Exemplare waren durchweg recht fett. Der 14 Zentimeter große Vogel ist dafür bekannt, dass er vor dem Zug sein Körpergewicht von etwa 17 auf 34 Gramm verdoppeln kann. Bei Fitislaubsängern oder Gartenrotschwänzen konnten die Forscher dagegen Kämpfe um die knappe Nahrung, also um Mücken oder kleine Fliegen, beobachten. Um so erstaunlicher war es für die Ornithologen, dass die Vögel im vergangenen Frühjahr schwarze Teppiche frisch geschlüpfter, ein bis zwei Millimeter kleiner Heuschrecken einfach ignorierten. Offenbar rühren sie diese Insekten auch in der allergrößten Not nicht an.