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Sichere Energie oder saubere Luft

Datteln IV ist das größte Kohlekraftwerk Europas. Von Eon am Dortmund-Ems-Kanals für bisher 1,2 Milliarden gebaut, herrscht seit 2009 nahegehend Baustopp. Seit der Atomkatastrophe in Japan drängt es wieder auf die Tagesordnung.

Von Melanie Longerich | 17.03.2011
    Die Baustelle des Eon-Kohlekraftwerks in Datteln
    Die Baustelle des Eon-Kohlekraftwerks in Datteln (dapd)
    "Stellen Sie sich jetzt mal vor als Privatbürger, ich würde meine Garage nicht gesetzeskonform errichten, ich könnte darauf angehen, dass die Verwaltung kommt und mich zwingt, die wieder abzureißen. Hier ist ein riesen Industriebetrieb, der nicht gesetzeskonform ist, errichtet worden. Und da passiert nichts."

    Irmtrud Hintz hat die Hände in die Hüften gestemmt und schaut durch das Küchenfenster. Dort draußen, 500 Meter hinter dem begrünten Schutzwall am Ende des Gartens, ragt der riesige Kühlturm von Datteln IV in den grauen Vormittagshimmel. In Datteln - zwischen der Meistersiedlung, in der sie wohnt, und dem Dortmund-Ems-Kanal, baut der Energiekonzern Eon seit 2007 für 1,2 Milliarden Euro das größte Kohlekraftwerk Europas. Seit 2009 allerdings herrscht weitgehender Baustopp, doch das muss ja nicht dauerhaft so bleiben. Die Stilllegung von sieben Atommeilern in Deutschland sorgt dafür, dass das von Rot-Grün in eine Art Dornröschenschlaf versetzte Kraftwerk mitsamt juristischem Konflikt nun wieder auf die Tagesordnung drängt.

    Ortswechsel. 80 Kilometer von der Kraftwerksbaustelle entfernt sitzt Reiner Priggen in seinem Büro im Düsseldorfer Landtag. Am Horizont sieht er eine politische Auseinandersetzung auftauchen, die ihm keine Freude machen kann. Der Streit um die Kernkraft entfacht nun auch noch einen Streit um Kohlekraftwerke. Priggen ist Fraktionschef der Landtags-Grünen. Seine Partei ist gegen Atomkraft, aber auch gegen Kohlekraftwerke, die als Dreckschleuder gelten und den Klimawandel verstärken. Nun muss er sich, wissend, dass es in Nordrhein-Westfalen vielleicht Neuwahlen geben wird, gegen den Versuch stemmen, dass seine Grünen auch bei diesem Thema als "Dagegen-Partei" abgestempelt werden könnten.

    "Das ist ein ganz, ganz platter Versuch ... "

    ... versucht er die Attacken vom Tisch zu wischen, die ihren Ausgangspunkt in der nahegelegenen Wassserstraße haben. Dort ist die Parteizentrale der CDU. Und deren Generalsekretär Oliver Wittke zündelt:

    "Wer aus der Kernenergie herauswill, und ich will schnell aus der Kernenergie heraus, der muss Datteln schnell realisieren."

    Rückblende: Herbst 2009. In Düsseldorf regierten CDU und FDP. Sie hatten den Neubau des Kohlekraftwerks in Datteln genehmigt. Doch dann stoppte das Oberverwaltungsgericht in Münster die Bauarbeiten. Begründung: Der Mega-Bau verstoße gegen das Planungsrecht und den Umweltschutz. Ministerpräsident Rüttgers passte daraufhin nicht etwa das Bauvorhaben dem rechtlichen Regeln an, sondern verfuhr genau anders herum: Das Planungsrecht wurde passend gemacht, damit in Datteln weiter gebaut werden konnte. Und während juristisch wie politische der Streit um Datteln noch tobte, verlor Schwarz-Gelb die Landtagswahl.

    Die rot-grüne Minderheitsregierung übernahm die Geschäfte und erbte damit auch den Konflikt um das Kohlekraftwerk. Damit nicht genug, bei Datteln sind SPD und Grüne auch noch gänzlich unterschiedlicher Meinung. Um in der noch jungen Koalition den Dissens nicht offen austragen zu müssen, beschlossen sie, den Streit ums Kraftwerk einfach auszusitzen. Gutachten nach Gutachten werden in Auftrag gegeben: von der Stadt, von Umweltverbänden und von Eon selbst. Und am Ende, so der Plan Koalitions-intern , sollen Gerichte urteilen, was die Minderheitsregierung nicht entscheiden kann - oder will. SPD-Fraktionschef Norbert Römer:

    "Jede Entscheidung, egal wie sie aussieht, wird vor Gericht landen. Also kommt es darauf an, dass man tatsächlich prüft: Gibt es eine Genehmigungsfähigkeit dieses Kraftwerk und würde dann, wenn es eine solche Genehmigung geben sollte, diese auch gerichtsfest sein. In diesem Prüfungsverfahren befinden wir uns und das muss man einfach abwarten."

    Die Landesregierung will sich an Datteln also nicht die Finger verbrennen. Deshalb setzt auch Reiner Priggen auf Zeit, um diesen Konflikt zu entschärfen:

    "Es ist doch letztendlich so, dass sich weder Sozialdemokraten noch Grüne diesen Kraftwerksstandort und dieses Problem gewünscht haben. Und warum sollen wir in einer Koalition Krach kriegen, die beide nicht einstielen wollten, sondern die auf Planungsfehler anderer zurückzuführen ist."

    Abwarten und auslagern. Etwa an das Regionalparlament Ruhr, ein untergeordnetes Gremium, in dem Kommunalpolitiker das Sagen haben. Auch die handeln wie gewünscht. Und gaben - erst kürzlich - ein Gutachten in Auftrag. Eine weitere Expertise, die klären soll, ob man nicht doch irgendwie einen neuen Bebauungsplan möglich machen kann. Das Ergebnis liegt frühestens im Sommer vor. Und damit ist das wichtigste Ziel erreicht: Zeit. Während derer die SPD weiter die Kohleverstromung propagieren kann, und ihr grüne Koalitionspartner auf den Neubau von Windrädern und Gaskraftwerken setzt:

    "Wir haben endlich den Raum für die Gaskraftwerke. Die Atomkraftwerke haben mit der Grundlast alles blockiert, was wir eigentlich technisch brauchten."

    Zurück nach Datteln. Baustellenbesuch. Eon, der Kraftwerksbetreiber, lässt weiter arbeiten. An all jenen Kraftwerksteilen, die nicht vom Baustopp betroffen sind. Etwa an der Rauchgasreinigung. 900 Arbeiter sind auf der Großbaustelle im Einsatz. In Datteln produziert der Energiekonzern bereits mit drei alten Kraftwerksblöcken Fernwärme und Strom für die Bahn. Eigentlich sollten sie 2012 vom Netz gehen. Eon hat aber angekündigt, sie länger weiterbetreiben zu wollen, solange der Neubau in der Schwebe ist. Vor 2013 erwartet man dort keine Klarheit. Die Wartezeit aber schmerzt den Konzern, denn er muss aufgrund des dreimonatigen Moratoriums zwei Atomreaktoren vom Netz nehmen. Eon drängt deshalb auf eine schnellere Entscheidung. Nur die Anwohner im Schatten des Kraftwerkneubaus, die das Projekt mit ihren Klagen gestoppt hatten - sie wollen nicht klein beigeben. Zurück in die Küche von Irmtrud Hintz mit freiem Blick auf den neuen Kühlturm. Ihr Nachbar Rainer Köster ist vorbeigekommen, auch er ein Baugegner. Er ahnt, dass am Ende nicht Gutachter und Kommunalpolitiker entscheiden werden, sondern eben doch die Landesregierung:

    "Denn Eon wird weiter klagen und wir werden auch Druck machen. Deshalb wird die Entscheidung bei der Landesregierung - und nicht zuletzt bei Frau Kraft liegen."