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Sichere neue Welt

Prima Aussichten: Im Jahre 2064 ist der Kampf gegen den Terrorismus zwar noch nicht restlos gewonnen, aber die Lage scheint unter Kontrolle - und wie! Allerdings musste die Welt zu diesem Behufe ein wenig umgebaut werden. Die Vereinigten Staaten sind aus dem Rennen ausgeschieden. Anfangs des Jahrhunderts haben sie sich vergeblich verausgabt bei dem Versuch, die Welt mit dem, was sie Demokratie nennen, zu bombardieren, den Rest hat die enorme Verschuldung des Landes bewirkt.

Von Walter van Rossum | 12.01.2007
    Die USA fristen jetzt ein Dasein als Konkursmasse und Kornkammer der 1. Welt, die - kurz gesagt - aus einem Zusammenschluss Europas und großer Teile Asiens besteht - durch hohe Zäune und gefährliche Sperranlagen sorgfältig getrennt vom Rest der Welt. Jede terroristische, rebellische oder kriminelle Aktivität in der ersten Welt auszuschließen, darüber wachen die Mannen der Eurosecurity. Und die Speerspitze der Überwachung bilden die Leute vom Ashcroft-Team. Genannt nach einem Minister der US-Regierung zu Anfang des Jahrhunderts: John Ashcroft hatte nach dem 11. September 2001 die neuen Sicherheitsparameter des kommenden Jahrhunderts formuliert:

    "Let's crush the motherfuckers before they crush us. Ob Ashcroft, der für seinen tiefen christlichen Glauben und seine Sittenstrenge (...) bekannt gewesen war, wirklich im Beisein des amerikanischen Präsidenten oder sonst wem einen Satz mit Motherfucker gebildet hatte, habe ich immer bezweifelt, aber inhaltlich kam das natürlich hin. Im Grunde war in dem Satz alles enthalten, was es über unsere Arbeit zu sagen gab. Jedenfalls, wenn man mit ‚us' eine moderne, liberale, den Gedanken der Aufklärung verpflichtete Gesellschaft meint, die sich nicht nur technisch, sondern auch moralisch und spirituell ständig um Fortschritte bemühte. Nun crushte ein - sagen wir - Versicherungsbetrüger durch seine Tat zwar nicht gleich die ganze Gesellschaft, doch sorgte er zumindest unter einem kleinen Teil der Bevölkerung für Unbehagen und Misstrauen. Und viele kleine Teile ergeben, wie man weiß, irgendwann einen Großen. Dass es dazu nicht kam, dafür sorgten wir: die Frauen und Männer von Ashcroft."

    So erzählt uns Max Schwarzwald, ein Deutscher in Paris und Ashcroft-Agent. Zur Tarnung führt er ein schickes, "echt" Pariser Restaurant namens Chez Max, in dem deutsche Spezialitäten kredenzt werden. Max ist seit 15 Jahren dabei und ohne Ashcroft, könnte sich sein Lokal gar nicht halten. In letzter Zeit sind ihm allerdings nur wenige und ziemlich kleine Fische ins Netz gegangen. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, seinen Freund Leon preiszugeben, ein Maler, der ihm unvorsichtigerweise sein Herz ausgeschüttet hat, und eigentlich ging es zunächst nur darum, dass Leon unerlaubterweise rauchte, aber dann stellte sich noch heraus, dass er aus finanzieller Not drauf und dran war, Drogen zu verticken. Max ist über seinen Verrat furchtbar traurig, denn eigentlich ist er ein sentimentaler Typ, der leider, leider nur seine Pflicht tun musste. Max wäre am liebsten mit jedermann gut Freund und mit jederfrau noch ein bisschen mehr. Doch irgendwie klappt das nicht so richtig. Er wäre auch gerne ein schlauer, smarter Ashcroft-Mann und irgendwie klappt auch das nicht so richtig. Denn Max ist in Wahrheit das ganz normale Falschgeld und der Bodensatz einer hässlichen Gesellschaft, die sich den hübschen Wahlspruch verpasst hat: Liberté, egalité, securité. Ähnlichkeiten mit Personen, die im Jahre 2006 leben sind verblüffend und wahrscheinlich unvermeidlich.

    Niemand gibt Max sein Wichtsein mehr und verletzender zu spüren als Chen, sein Ashcroft-Partner, mit dem er sich Büro und Überwachungsrevier teilen muss.

    "Während ich am Schreibtisch darauf wartete, dass Chen sich zu mir setzte, damit wir Verdachtsmomente austauschten und eventuelle gebietsübergreifende Einsätze miteinander abstimmten, stand er mit einer Plastikschüssel voll Nudeln und einer Gabel am Fenster, hatte mir den Rücken zugewandt und sah hinüber zum Eiffelturm. Mit halbvollem Mund sagte er: ‚Die Menschen sind nun mal Schweine, das war schon immer so, das wird auch immer so bleiben, und die Welt, die sie sich schaffen, ist eine Schweinewelt. Und ein Lasersystem, das künstliche Regenbogen an den Himmel wirft, oder sonst irgendein neuer Technik-Scheiß ändert daran gar nichts.'

    Er schob sich die nächste Gabel in den Mund und machte beim Kauen laute schmatzende Geräusche. Kaum etwas interessierte mich im Moment weniger als irgendein neuer Chen-hasst-die-Welt-Erguss, trotzdem dachte ich: Ich sollte ihm sagen: Wenn ich dich so essen sehe und höre, muss ich dir zustimmen. Die Menschheit hat, seit sie in Höhlen hockte und Wildviecher fraß, wenig Fortschritte gemacht. (...) Doch etwas in der Richtung Chen gegenüber zu bemerken, traute ich mich nicht."

    Versteht sich, denn Max ist zwar kultiviert, doch feige und der Kollege asiatischer Abstammung hat alles, was Max' deutsches Gemüt bis aufs Blut reizt: intellektuelle Brillanz, überwältigenden Erfolg im Dienst, die Sicherheit im Auftreten, und dann dieser Zynismus, der ein generöses Innenleben nach außen zu schützen versteht. Chen ist einer, der kein Geheimnis daraus macht, was er vom Stand der Dinge hält, aber durch seine großartigen Erfolge gilt er als schier unangreifbar. Dummerweise glaubt ausgerechnet Max, er könnte Chen ins Handwerk pfuschen, um so den unangenehmen Partner aus dem Weg zu räumen und zugleich seine persönliche Erfolgsstatistik um einen wirklich dicken Fisch bereichern.

    Jedenfalls bietet diese Intrige Jakob Arjouni nicht nur die Gelegenheit, uns mit Details der schönen, neuen, sicheren Welt vertraut zu machen, ganz nebenbei zeichnet er auch ein herzlich fieses Portrait vom hässlichen Deutschen: der plumpe, aber bei Bedarf heimtückische Mitläufer entpuppt sich als Idealcharakter jener entlegenen Zukunft - oder ist die am Ende gar nicht so fern? Die staatstragende Propaganda ähnelt jedenfalls verblüffend den ideologischen Prinzipien unserer Tage, angefangen bei den friedensstiftenden Kriegen über die Demokratiebomber mit ihrem humanitären Napalm bis zur sonderbaren Phantasie von der totalen Freiheitsüberwachung. Arjounis Ironie ist dabei so fein dosiert, dass sich manch gläubig erfüllter Zeitgenosse fragen mag: wo ist hier der Witz? Der Witz, so würde Arjouni vielleicht antworten, der Witz ist längst verboten. Doch insgeheim hat er überlebt, notdürftig als Realität getarnt. Doch das reicht, dass eine Menschheit von der Güteklasse des Max Schwarzwald ihn nicht entdeckt. Mit kostbarer Leichtigkeit erzählt Arjouni vom kommenden Totalitarismus, der in unseren Tagen das Licht der Welt erblickte.

    Jakob Arjouni, Chez Max. Roman. Diogenes Verlag. 2006, 224 S.