Donnerstag, 18. April 2024

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Sicherheit in Europa
"Nachrichtendienste müssen gestärkt werden"

Im Vergleich mit Franzosen und Briten habe Deutschland "sehr, sehr schwache Nachrichtendienste", kritisierte der Terrorexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Im DLF forderte er, die Überwachung und Kontrolle von bekannten gefährlichen Personen zu intensivieren.

Guido Steinberg im Gespräch mit Peter Kapern | 13.01.2015
    Porträtfoto von Guido Steinberg
    Die Professionalität von Polizei und Nachrichtendiensten in Deutschland sei "nicht immer sehr ausgeprägt", sagt Terrorexperte Guido Steinberg (picture alliance / dpa)
    Dirk Müller: Paris und die Folgen - brauchen wir auch in Deutschland schärfere Sicherheitsbestimmungen, Vorkehrungen, schärfere Sicherheitsgesetze? Darüber hat mein Kollege Peter Kapern mit dem Terrorexperten Guido Steinberg gesprochen von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
    Peter Kapern: Herr Steinberg, als 2001 nach den Terroranschlägen das Ausmaß der Hamburger Terrorzelle offenbar wurde, da hat die Politik ja mancherlei unternommen, um die Radikalisierung und Rekrutierung junger Muslime durch Terrororganisationen zu unterbinden. Und nun nach den Anschlägen von Paris hören wir, das alles war nicht ausreichend. Welche Sicherheitslücken sehen Sie?
    "Sehr, sehr viele Sicherheitslücken"
    Guido Steinberg: Ich sehe tatsächlich sehr, sehr viele Sicherheitslücken. Aber ich denke, man sollte sich in einer solchen Debatte nach einem ganz konkreten Terroranschlag die Frage stellen, was denn Paris für uns für Lehren bereithält. Und ich denke, die Wichtigste ist die, dass es da drei junge Leute, bei denen zwei einschlägig bekannt waren, einer sogar ganz enge Kontakte zu einem sehr wichtigen El-Kaida-Mann, hatte, dass es denen gelungen ist, der Überwachung der Sicherheitsbehörden zu entkommen, weil die der Meinung waren, dass die nun vielleicht doch nicht so gefährlich sind.
    Und das ist ein Muster, das es in Europa in den letzten Jahren immer wieder gegeben hat. Beispielsweise die Londoner Attentäter von 2005 waren auch den Behörden bekannt, aber sie wurden nicht prioritär überwacht, und auch in anderen europäischen Ländern hat es diesen Fall gegeben. Man wird also vor allem sich die Frage stellen müssen, wie man damit umgeht, dass es doch immer wieder sehr viele gefährliche Leute hier in Europa gibt, die anscheinend überhaupt nicht kontrolliert und überwacht werden, werden können möglicherweise.
    "Enorme Überbelastung der französischen Sicherheitsbehörden"
    Kapern: Haben Sie eine Erklärung dafür?
    Steinberg: Ja. Die Erklärung beim Pariser Fall ist ganz sicherlich die enorme Überlastung der französischen Sicherheitsbehörden. Die französischen Terrorismusbekämpfer, die gelten zurecht als neben den Briten die stärksten in Europa. Die dürfen sehr viel mehr als ihre deutschen Kollegen, die sind sehr, sehr viel robuster, teilweise kann man auch sagen rabiater. Aber die haben es gleichzeitig auch mit der stärksten dschihadistischen Terrorszene zu tun.
    Man kann das beispielsweise daran ablesen, dass über tausend Franzosen in den letzten drei Jahren bei verschiedenen Terrorgruppen in Syrien gekämpft haben, und diese enorm große Zahl, die erklärt, warum den Behörden da immer wieder Fehler unterlaufen. Nun ist das sicherlich nicht zu vermeiden. Man kann tatsächlich nicht alle diese Leute überwachen. Ich denke aber, es ist fast eindeutig, dass Überwachung und Kontrolle intensiviert werden muss. Es gelingt nämlich nur in ganz, ganz wenigen Fällen, tatsächlich bekannte gefährliche Personen über eine längere Frist hinweg zu überwachen.
    Kapern: Wenn Sie sagen, die Überwachung müsse intensiviert werden, dann will ich mal eine Zahl dagegenhalten, die das Vorhaben doch etwas fraglich erscheinen lässt. Es gab da Berichte aus Paris, da hieß es, dass man 30 Leute bräuchte, um einen Gefährder 24 Stunden lang lückenlos zu überwachen. Wenn das nun für Hunderte und aberhunderte potenzielle Gefährder gilt, dann müssten die Geheimdienste aufgeblasen werden auf ein Maß, das vielleicht eine demokratische Gesellschaft gar nicht erträgt und vielleicht auch ein Land gar nicht finanzieren kann?
    Deutsche Sicherheitsbehörden sind "ganz besonders schlecht"
    Steinberg: Ja, tatsächlich. Da muss man einen Mittelweg suchen. Und zwar liegt dieser Mittelweg darin, dass man zum einen die Polizei und die Nachrichtendienste fragt, was braucht ihr denn an neuen Observationsteams, was braucht ihr an Technik, um die Überwachung auszubauen. Aber gleichzeitig muss man die mit der Frage konfrontieren: Erstens, setzt ihr die vorhandenen Ressourcen richtig ein, und arbeitet ihr auch gleichzeitig professionell genug, und da gibt es eine ganze Menge Hinweise darauf, dass in Europa diese Professionalität nicht immer sehr ausgeprägt ist.
    Kapern: Was für Hinweise, wenn ich da kurz dazwischenfragen darf?
    Steinberg: Nun, ich denke im deutschen Fall natürlich an den ganz großen Skandal der deutschen Terrorismusbekämpfung. Das ist der Fall der NSU-Zelle, bei dem die Sicherheitsbehörden über zehn Jahre noch nicht einmal bemerkt haben, dass sie es mit Terrorismus zu tun hatten. Es gibt doch eine Menge Hinweise darauf, dass dieses grundsätzliche Problem, dass nämlich nicht erkannt wird, wer von den beobachteten Personen gefährlich ist, dass bei diesem frühzeitigen Eingreifen unsere Sicherheitsbehörden ganz besonders schlecht sind, dass dieses Problem fortbesteht.
    "Polizei und Sicherheitsbehörden fehlt es an Mitteln"
    Kapern: Nun scheint ja die Politik eher ihr Heil in neuen Gesetzen zu sehen. Wie bewerten sie diese Vorhaben, die da gerade in Berlin besprochen werden, also beispielsweise, dass sogenannten Gefährdern Pass und Personalausweis entzogen werden sollen, dass das Reisen ins Ausland mit dem Ziel, staatsgefährdende Gewalttaten zu verüben, unter Strafe gestellt werden soll? Wie viel kann das beisteuern zu einer tatsächlich stärkeren Eindämmung terroristischer Anschläge?
    Steinberg: Ich befürchte tatsächlich, dass diese Vorschläge, die im Moment diskutiert werden, mit dem eigentlichen Problem hier in Deutschland nichts oder nur sehr wenig zu tun haben. Wir haben schwache Sicherheitsbehörden. Die Polizei ist da durchaus stärker. Aber da gibt es einen weitgehenden Konsens zumindest unter den Betroffenen selbst, dass es ihnen an den Mitteln fehlt, also an Observationsteams und moderner Technik.
    Wir haben aber dem gegenüber und gerade im Vergleich mit den Franzosen und den Briten sehr, sehr schwache Nachrichtendienste. Das ist ein Teil unserer politischen Kultur. Das sind aber diejenigen Institutionen, die frühzeitig beobachten, die sich auch mal etwas Zeit lassen, die nicht so sehr wie die Polizei in ihrem Tagesgeschäft verfangen sind und deswegen keine Zeit haben, sich auch mit den möglicherweise weniger wichtigen Fällen zu befassen. Und ich denke, dass das ein Problem ist, das behoben werden muss, dass also, wenn man an eine Reform der Sicherheitsbehörden denkt, vor allem die Nachrichtendienste gestärkt werden müssen.
    Müller: Mein Kollege Peter Kapern im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Guido Steinberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.