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Sicherheitsdebatte
"Der Rechtsstaat ist immer schwächer geworden"

Der Fall des Attentäters Anis Amri zeige, dass der Rechtsstaat in Deutschland derzeit versage, sagte der FDP-Fraktionschef in Niedersachsen, Christian Dürr, im DLF. Das liege auch daran, dass es vor allem in rot-grün regierten Bundesländern an politischer Unterstützung für die Sicherheitsbehörden mangele.

Christian Dürr im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.01.2017
    Der niedersächsische Fraktionschef Dürr während der Haushaltsdebatte im Dezember 2016
    Der niedersächsische Fraktionschef Dürr während der Haushaltsdebatte im Dezember 2016 (dpa)
    Nach dem Anschlag von Berlin sei klargeworden, dass im Umgang mit dem Asylbewerber und späteren Attentäter Anis Amri Recht und Gesetz nicht angewandt worden seien. Das Versagen rege die Menschen auf und hier wolle die FDP den Finger in die Wunde legen, kündigte Dürr an. Seine Partei sei mit dem Bundesvorsitzenden Christian Lindner und seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki sowie vielen weiteren Politikern gut aufgestellt.
    "Wir sagen, der Rechtsstaat muss stark sein", so Dürr. Mit Blick auf die Ausstattung der Sicherheitsbehörden wie Verfassungsschutzämter und Landeskriminalämter sagte er, der Rechtsstaat sei immer schwächer geworden. Dabei sei nicht das Geld das Problem, sondern die Prioritätensetzung. Dürr meinte, es reiche bei der Verwaltung zu kürzen, wodurch mehr Geld für die Sicherheitsbehörden bleibe.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Die FDP trifft sich immer am 6. Januar. Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart, das ist ein ganz besonderes Datum – in diesem Jahr natürlich noch besonderer, als es ohnehin schon ist, im Wahljahr. Wir haben Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, aber auch anderswo, und dann natürlich im Herbst die Bundestagswahl. Es ist klar, die FDP will reinkommen, und genau dafür hat gestern Christian Lindner, der Parteichef, geworben. Wir wollen heute über die Liberalen reden, über ihren Kurs, über das, was sie wollen, über das, was sie können. Wir wollen das tun mit Christian Dürr, dem FDP-Fraktionschef aus Niedersachsen, den ich erst mal am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Dürr!
    Christian Dürr: Guten Morgen, Herr Zurheide, ich grüße Sie!
    "Hier versagt zurzeit der Rechtstaat"
    Zurheide: Herr Dürr, heute die Kommentare, Christian Lindner, ich mach jetzt mal die Kurzfassung, da heißt es dann, na ja, das war wie immer eine gute rhetorische Vorstellung, und jetzt kommt das Aber, Sie ahnen es: Wofür steht er, was haben Sie mitgenommen gestern?
    Dürr: Also Christian Lindner hat gestern über eine Stunde gesprochen, und ich glaube, es ist sehr deutlich geworden, wofür die FDP im Wahljahr steht: für den Rechtsstaat auf der einen Seite, für die Durchsetzung von Recht und Gesetz. Das ist ja, nachdem wir jetzt neue Erkenntnisse haben nach dem Anschlag von Berlin, auch deutlich geworden, dass da Recht eben nicht angewandt worden ist. Ich höre aus der CSU, teilweise aus der CDU von Herrn de Maizière lauter Vorschläge, Gesetze zu verschärfen, jetzt die Verwaltungsstrukturen in Deutschland mit den Verfassungsschutzämtern zu ändern, frage ich mich, hätte man in der Regierungsverantwortung alles schon machen können, auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite, wer regt sich eigentlich darüber auf, dass da jemand ist mit 14 Identitäten, der unter der Beobachtung der Sicherheitsbehörden bereits stand, den man aber trotzdem nicht zurückhalten konnte. Der Innenminister Jäger in Nordrhein-Westfalen sagt, ja, er sei machtlos gewesen – hier versagt zurzeit der Rechtsstaat, und ich glaube, das regt die Menschen auf, und da braucht es eine Partei, die den Finger in die Wunde legt.
    Zurheide: Das ist jetzt ein Thema, wir werden gleich noch über andere reden, auch über die Themen, wir haben Zeit genug dafür, ich will noch mal auf einen anderen Punkt kommen: Ist die FDP denn mehr als eine One-Man-Show, muss man in dem Moment sagen – Sie haben gerade angesprochen Christian Lindner, wie immer, er steht da vorne ohne Pult, er redet eine Stunde frei, er macht das so, wie er das kann. Er ist einer der wenigen in Deutschland, der das so kann –, ist es mehr als eine One-Man-Show, auch einer, der erst in Nordrhein-Westfalen gewählt werden will, um dann nachher in Berlin auch gewählt zu werden? Er macht so ein bisschen auf Gerhard Schröder – ist das eine richtige Strategie?
    Dürr: Mit Gerhard Schröder will ich ihn nicht vergleichen, allein die Dynamik ist eine andere bei Christian Lindner.
    "Wir wollen im Wahljahr deutlich machen, dass die FDP eine breite Mannschaft ist"
    Zurheide: Als Niedersachse liegt das doch fast nahe, von Gerhard Schröder lernen, heißt siegen lernen.
    Dürr: Nun kenne ich den Gerhard Schröder auf der einen Seite aus der Landespolitik auch aus Niedersachsen, aber auf der anderen Seite sag ich mal, wenn man sich gestern Dreikönig angeschaut hat, da war ja nicht nur Christian Lindner als Redner. Da war Wolfgang Kubicki, der in diesem Jahr auch in Schleswig-Holstein als Spitzenkandidat antritt, der nebenbei auch frei gesprochen hat. Wenn man sich die Reihen anguckt – mit Katja Suding in Hamburg als Wahlsiegerin, der Kollege Ulrich Rülke, mein Fraktionsvorsitzenderkollege aus Baden-Württemberg, dort der heimliche Oppositionsführer, der auch eine Wahl gewonnen hat dieses Jahr als Spitzenkandidat bei der Landtagswahl, der Kollege Michael Theurer, der gesprochen hat für die FDP Baden-Württemberg als Landesvorsitzender zur Bundestagswahl, und ich könnte die Reihe fortsetzen. Viele andere gestandene … Bürgermeisterin aus Düsseldorf, Marie-Agnes Strack-Zimmermann – Sie merken schon, da sind viele Namen in der FDP. Natürlich ist es in einer APO-Zeit schwieriger, ganz viele Namen zu transportieren, aber auf der anderen Seite ist es doch toll, dass man einen Vorsitzenden hat, der in Talkshows eingeladen wird und bekannt ist. Und ich glaube, gerade im Duo mit Wolfgang Kubicki haben wir da auch zwei, die auch den Menschen bundesweit bekannt sind. Wir wollen natürlich im Wahljahr noch mal deutlich machen, dass die FDP eine breite Mannschaft ist, aber das ist sie. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren viele, die in den Ländern angetreten sind und dann auch als Wahlsieger hervorgegangen sind, und das wollen wir als Gesamtpartei jetzt auch für den Bund natürlich schaffen.
    Zurheide: Ich hatte jetzt keine andere Antwort erwartet, aber das lassen wir auch gern so stehen. Kommen wir zurück, Herr Dürr, zu den Inhalten: Starker Start, Sie haben es gerade schon in Ihrem ersten Plädoyer angesprochen, kein Dissens, wir brauchen mehr Polizei, wir brauchen mehr Bildung respektive auch eine andere Bildung. Ich glaube, das ist unumstritten bei allen Analysen, die Deutschland kritisch betrachten, allerdings die Frage ist, woher kommen die Ressourcen, wenn man insgesamt nicht mehr Staat will, was Sie ja auch nicht wollen. Wir haben zwar vielleicht bei der Verwaltung noch die ein oder andere Luft, aber so viel Luft, dass wir mehr Polizei, mehr Bildung und so schaffen können, das geht für mich immer noch nicht auf. Klären Sie mich da auf – wie wollen Sie das schaffen und machen?
    Dürr: Sie haben gerade gesagt, kein Dissens, ich sehe den schon. Die Forderung jetzt nach dem Anschlag von Berlin…
    "Man muss die Sicherheitsbehörden auch politisch unterstützen"
    Zurheide: Ich wollte jetzt hier mit Ihnen keinen produzieren an dem Punkt.
    Dürr: Nein, um Gottes Willen, den haben wir beide nicht, aber ich sehe ihn ja zu anderen Parteien, zu anderen politischen Mitbewerbern. Nach den Anschlägen von Berlin höre ich jetzt Gesetzesverschärfung. Ich würde mir wünschen, wenn die Politik, wenn der Staat zunächst mal Recht und Gesetz anwendet an der Stelle. Es ist doch ein Irrwitz, dass die Staatsanwaltschaft in Duisburg erklärt hat, sie hätte das Verfahren, was ja gelaufen ist dort gegen Herrn Amri, eingestellt, weil er keine Meldeadresse hatte.
    Zurheide: Ja, stopp, in dem Fall ging es um 160 Euro, das wichtigere Verfahren lief bei der Bundesanwaltschaft, und die hat gesagt, wir machen nichts. Das ist ja ernst zu nehmen, oder?
    Dürr: Das ist allerdings ernst zu nehmen, ganz genau, und da stelle ich mir halt die Frage, ob der Rechtsstaat da die richtigen Prioritäten setzt. Sie haben nach den Ressourcen gefragt, da will ich mich nicht drum drücken um die Frage: Die kann man vernünftig setzen, auch in den Ländern. Ich bin selbst Fraktionsvorsitzender in Niedersachsen, und ich merke, wie eine rot-grüne Landesregierung sich verzettelt. Die subventionieren die Stiftung Rockmusik beispielsweise, da frage ich mich, was hat Politik mit Rockmusik zunächst mal zu tun, sondern die verzetteln sich bei der Bildung beispielsweise, die verzetteln sich aber ausdrücklich bei der Polizei. Ich hab als Fraktionsvorsitzender bereits 2013, Ende 2013 Vorschläge gemacht, wie man die Polizei aufstocken kann, zusätzlich tausend Polizisten. Das war die FDP, die das gefordert hat, weil wir sagen, der Rechtsstaat muss stark sein, aber er darf nicht in der Verwaltung sich verzetteln. Wir haben immer mehr Bürokratie, immer mehr Bürokratismus, immer mehr allgemeine Verwaltungsstellen, aber da, wo der Rechtsstaat stark sein muss, nämlich bei der Verteidigung der inneren Sicherheit, also bei den Verfassungsschutzbehörden, bei den Landeskriminalämtern, bei den Polizeibehörden, da ist er immer schwächer geworden. Also die finanziellen Ressourcen dorthin stecken, sich nicht an anderer Stelle verzetteln, aber – und das merken wir nach Köln, das merken wir aber insbesondere auch nach den Anschlägen in Berlin – man muss halt auch politisch die Sicherheitsbehörden unterstützen, die müssen das Gefühl haben, dass die Politik hinter ihnen steht, wenn sie agieren, und das ist zurzeit jedenfalls gerade in rot-grün regierten Ländern nicht der Fall. Ich kann da aus Niedersachsen ein Lied von singen.
    "Das Problem ist nicht das Geld, sondern die Prioritäten"
    Zurheide: Herr Dürr, Problem ist, die Frage, die präzise lautete: Ist so viel Verwaltung da, dass wenn man da kürzt, reicht das bei den anderen, das Mehr, was notwendig ist, zu bezahlen. Also in NRW werden 2.000 Polizisten mehr eingestellt zum Beispiel, das war in anderen Regierungszeiten, auch mit Ihrer Parteibeteiligung, nicht so. Ich will jetzt nicht über NRW diskutieren, aber die Frage ist, reicht das, bei der Verwaltung zu kürzen, und da hat man so viel, dass man mehr Bildung und mehr Polizei macht? Ich glaube, das geht nicht.
    Dürr: Ausdrücklich ja. Wir haben das in Niedersachsen, und auch andere Fraktionsvorsitzendenkollegen, die sind ja in den Ländern zurzeit stark, haben das bewiesen mit Haushaltsanträgen. Wir reden ja nicht nur darüber, sondern wir machen das ganz konkret in Haushaltsberatungen, legen das titelscharf vor. Gerade jetzt im Dezember habe ich Haushaltsberatungen mit der rot-grünen Landesregierung im Landtag gehabt und haben konkrete Vorschläge dazu gemacht. Rot-grün hat gesagt, sie würden tausend Polizisten einstellen, sie drehen jetzt bei uns in Niedersachsen ein bisschen was bei der Ausbildung, aber die zu finanzieren, das haben wir belegt … es gibt ein schönes Zitat des Rechnungshofpräsidenten in Niedersachsen: Der Politik steht das Geld zurzeit bis zum Hals in Deutschland. Das Problem ist nicht das Geld, sondern die Prioritäten.
    Zurheide: Das war der Fraktionsvorsitzender der niedersächsischen FDP, Christian Dürr. Ich bedanke mich für das Interview und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Dürr: Vielen Dank, Herr Zurheide, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.