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Sicherheitsexperte Mölling
"Die globale Ordnung muss sich erstmal neu schütteln"

Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten führt zu einem weltweiten Umbruch in der Außenpolitik, sagte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Deutschlandfunk. Nur: Wie der aussieht, lasse sich noch nicht sagen.

Christian Mölling im Gespräch mit Doris Simon | 17.02.2017
    Bundesaussenminister Sigmar Gabriel (SPD) eröffnet am 17.02.2017 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) die Abschlusssitzung der G20 Außenminister. Die Minister sitzen nebeneinander um eine große U-förmige Tafel. Im Hintergrund die Fahnen der Teilnehmerländer.
    Sigmar Gabriel eröffnet die Abschlusssitzung der G20-Außenminister in Bonn (dpa/Oliver Berg)
    Selten kamen so viele Außenminister persönlich zum G20-Treffen wie diesmal in Bonn. Der neue US-Präsident "bringt die Leute zumindest zusammen, weil alle gierig sind zu hören, was er und seine neue Administration denn den Europäern zu sagen haben", meint Christian Mölling.
    Er schätzt allerdings, dass es noch ein halbes Jahr dauern wird, bis klar ist, wie die neue amerkanische Außen- und Sicherheitspolitik aussieht. Die lasse sich nämlich nicht an der Rhetorik der amerikanischen Regierung festmachen, sondern nur an ihren Taten. Bis dahin, so Möllings Befürchtung, werde sich in den weltweiten Konflikten allerdings nicht viel bewegen. Auch die Ziele der deutschen G20-Präsidentschaft müssen man zurückstellen. Zurzeit seien das Krisenmanagement und der Umgang mit der US-Regierung vorrangig.
    Kritisch sieht Mölling den amerikanischen Vorwurf an die NATO, sie beteilige sich nicht am Anti-Terror-Kampf. Da sei die US-Regierung übers Ziel hinausgeschossen. Als wichtigstes Beispiel nennt Mölling den Afghanistan-Einsatz: "Es ist der große NATO-Einsatz, der seit über einem Jahrzehnt läuft, in dem die NATO sich gegen den Terrorismus einsetzt."

    Das Interview in voller Länge
    Doris Simon: Es geht um Syrien heute beim Treffen der Außenminister der G20 in Bonn. G20 - das sind die Europäische Union und 19 führende Industrie- und Schwellenländer. Das Außenministertreffen findet im Vorfeld statt vom G20-Gipfel in Hamburg in diesem Sommer. Sonst sind diese Vortreffen nur mäßig besucht; dieses Mal ist es ganz anders. 18 Außenminister sind nach Bonn gekommen, darunter besonders beäugt natürlich auch der neue US-Außenminister Rex Tillerson.
    Mitgehört hat Christian Mölling. Er ist Sicherheitsexperte und der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Tag, Herr Mölling.
    Christian Mölling: Guten Tag.
    Simon: Herr Mölling, wir haben es eben von unserem Kollegen gehört: So viele Außenminister in Bonn, und das ist ganz anders als früher. Bringt Donald Trump den Rest der Welt einander näher?
    Mölling: Er bringt die Leute zumindest zusammen, weil alle gierig sind zu hören, was er und seine neue Administration denn den Europäern zu sagen haben. Ich glaube, da besteht zurzeit das große Interesse. Aber auch deswegen dieses Interesse, weil so wenig klar darüber ist, wie die neue Administration Außenpolitik, Sicherheits- und Verteidigungspolitik eigentlich betreiben will.
    "Dass Trump mehr Gemeinsamkeit schafft, ist unwahrscheinlich"
    Simon: Schauen wir doch noch mal erst auf die anderen, bevor wir dann auf die neue Administration in den USA vielleicht eingehen. Die anderen, die jetzt da zusammenkommen, ist das eine Gemeinschaft der Besorgten, oder glauben Sie, dass wirklich mehr Zusammenarbeit auch tatsächlich jetzt dadurch entsteht, durch diesen, sage ich mal, Trump-Effekt?
    Mölling: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, wenn man sich die G20 genau anguckt, ist das ja eine sehr heterogene Gruppe, die vor allen Dingen darüber definiert wird, dass es die 20 wichtigsten Wirtschaftsstaaten sind. Die haben von vornherein teilweise sehr diametrale unterschiedliche Interessen. Man kommt dann meist zusammen zu diesen Treffen, um die dringendsten Probleme anzugehen. Dass Trump mehr Gemeinsamkeit schafft, ist, glaube ich, unwahrscheinlich, denn zurzeit ist es ja eher so, dass die amerikanische Regierung mit der Idee spielt, allen anderen bilaterale Möglichkeiten anzubieten. Ich kann mir gut vorstellen, dass die G20 wieder auseinandergeht und nicht mehr Gemeinsamkeiten gefunden hat.
    Simon: Was wird denn dann mit den Zielen der deutschen G20-Präsidentschaft, Entwicklungsziele, Afrika, Krisenprävention? Was lässt sich davon überhaupt machen mit der neuen amerikanischen Regierung?
    Mölling: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, das sind Dinge, die man jetzt erst mal wahrscheinlich perspektivisch zurückstellen muss. Zurzeit ist, glaube ich, das Krisenmanagement und die Frage, wie geht man denn mit der neuen amerikanischen Regierung auf der einen Seite um und was bedeutet die amerikanische Regierung für den Rest der Welt. Wie schüttelt sich eigentlich die globale Ordnung neu, ist, glaube ich, die Frage, und danach erst kann man sagen, wie kann man möglicherweise unter dieser neuen Schüttelung der globalen Ordnung weiterhin die langfristigen Ziele der Bundesregierung, Klimaschutz, Bekämpfung von Fluchtursachen, vorantreiben, was ist das für eine Art von Politik. Denn klar ist: Sowohl die Deutschen als auch andere in Europa bleiben darauf angewiesen, für all diese Probleme internationale Partner zu gewinnen.
    "Zurzeit betreiben wir alle Kaffeesatzlesen"
    Simon: Wie lange, Herr Mölling, glauben Sie denn, braucht es, bis sich das zurechtgeschüttelt hat und wir mehr wissen?
    Mölling: Ich denke, wir brauchen sicherlich noch ein halbes Jahr, bis wir wirklich sicher sagen können, das ist tatsächlich eine US-amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik, weil sie sich nicht durch die Rhetorik der amerikanischen Regierung festmachen lässt - da sehen wir ja, dass sich die alle halbe Tage ändert -, sondern sie wird sich tatsächlich an den Aktivitäten klarmachen, da wo man wirklich neue Muster erkennen kann. Zurzeit betreiben wir alle ein bisschen Kaffeesatzlesen und hoffen, aus der Handbewegung des amerikanischen Präsidenten oder seiner Administration herauslesen zu können, wie sie sich denn in Zukunft verhalten werden. Aber die letzten Wochen haben ja gezeigt, dass das alleine nicht reicht, um beurteilen zu können, wie denn der nächste Tag aussehen wird.
    Simon: Dann bleiben wir mal bei was Konkretem: bei Syrien. Das ist das Thema heute gewesen, auch am Rande des G20-Außenministertreffens. Wir haben es gerade gehört. Bis jetzt null Fortschritte, auch nicht zwischen Rebellen und syrischer Regierung bei den Gesprächen in Astana. Wir haben die Sorge des französischen Außenministers gehört, Russland mache seinen Einfluss nicht geltend. Sehen Sie, dass sich da in absehbarer Zeit etwas ändert daran?
    Mölling: Zumindest nicht entlang der Linien, die Europa und vielleicht auch die USA für sich definiert haben, was sie ganz gerne als Ziel raushaben möchten. Wenn man den Russen entgegenkommt, dann sicherlich schon, aber dann akzeptiert man natürlich einen Frieden, der im Wesentlichen zu russischen und iranischen Bedingungen funktioniert.
    Simon: Und das heißt, erst mal wird sich nichts ändern?
    Mölling: Ich glaube nicht, denn gleichzeitig würde das ja wiederum, ich sage mal, im westlichen Lager, wenn man davon überhaupt so sprechen kann, dazu führen, wenn die Amerikaner jetzt zum Beispiel viel stärker auf Russland zugingen, dass man im Grunde genommen große Verunsicherung wiederum für die Europäer auslösen würde, wo denn die USA eigentlich stünden.
    In Syrien wird sich erstmal nichts ändern
    Und es geht ja nicht nur um die ganz pragmatische Idee von Frieden im Sinne von kein Krieg mehr, sondern es geht ja auch um die Frage, wie erreiche ich denn eigentlich so etwas wie einen Waffenstillstand. Wenn wir uns zurückerinnern, wie der Waffenstillstand von Aleppo zustande gekommen ist, dann ist das ein Flächenbombardement gewesen, das keinen Unterschied gemacht hat zwischen Zivilisten und Kämpfern, und diese Art von Herbeiführung von Nichtkrieg ist sicherlich nicht das, was der Westen und Deutschland insbesondere als gut empfinden kann.
    Simon: Sie sprechen von der großen Verunsicherung unter den Europäern. In diesen Tagen hat ja hierzulande und auch sonst wo in Europa jeder mitbekommen, dass von ihnen, vor allem auch von Deutschland erwartet wird, dass sie nicht nur mehr Geld ausgeben für Verteidigung, sondern dass die Amerikaner fordern (und das recht ultimativ), dass die Europäer militärisch mehr Verantwortung übernehmen. Was heißt das für Deutschland, wenn wir jetzt zum Beispiel auf Syrien schauen?
    Mölling: Ich glaube, dass die Deutschen sich zurzeit erst mal der Frage öffentlich entziehen würden, was das denn für Syrien bedeutet. Zurzeit sind wir ja nicht in der Situation, darüber nachzudenken, wie Syrien am Tag nach einem Waffenstillstand aussehen würde, der die gesamte Region umgibt.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Christian Mölling, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DW-H. Kiesel)
    Perspektivisch hat man vor langer Zeit schon mal darüber nachgedacht, dass Deutschland sehr wohl eine größere Rolle spielen könnte in dem Zusammenhang, also auch im Rahmen einer UN-Friedenstruppe, aber diese Ideen sind alle entstanden, bevor Russland so aktiv in den Konflikt eingegriffen hat auf der einen Seite und bevor ein neuer amerikanischer Präsident gewählt worden ist, der Trump heißt, der wiederum auch mit so etwas wie der UN offensichtlich nicht so wahnsinnig viel anfangen kann. Das heißt, da ist die Frage, wie Deutschland seine Rolle gestaltet, schon mit einem großen Fragezeichen versehen. Da sind wir darauf angewiesen, auch den Rahmen erst mal zu sehen, in dem globale Ordnungspolitik in Zukunft stattfinden kann, um Deutschlands Rolle dann zu definieren.
    "Die amerikanische Regierung ist übers Ziel hinausgeschossen"
    Simon: Jenseits unserer Rolle sind die Forderungen aber sehr konkret nach mehr militärischem Einsatz, zum Beispiel auch im Kampf gegen den Terror. Sie sagten eben schon, in Deutschland würde man das jetzt in dieser Situation erst mal bei Seite schieben. Ist das hierzulande überhaupt politisch durchzusetzen, auch wenn kein Wahlkampf ist?
    Mölling: Ich glaube, man muss zwei Dinge trennen. Die Forderung, die die US-Amerikaner eingebracht haben in die NATO, dass alle Länder und damit auch Deutschland die zwei Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Verteidigung leisten sollen, bedeutet nicht automatisch eine Beteiligung an dem Kampf gegen den Terror. Da geht es erst mal darum, dass alle mehr Geld ausgeben sollen. Ob das sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt Papier. Das ist da und das ist sozusagen eine Art ultimative Forderung. Der Kampf gegen den Terror ist etwas, wo man, wenn man in die Realität der deutschen Einsätze guckt, sagen muss, dass die letzten Operationen, an denen Deutschland sich beteiligt hat, alles Anti-Terror-Einsätze sind. Deutschland ist sehr wohl daran beteiligt, und nicht erst seit jüngstem, denn auch der Afghanistan-Einsatz, wenn wir uns zurückerinnern, ist ausgelöst worden durch einen Terrorangriff. Es ist der große NATO-Einsatz, der seit über einem Jahrzehnt läuft, in dem die NATO sich gegen den Terrorismus einsetzt. Hier ist die amerikanische Regierung etwas über das Ziel hinausgeschossen zu sagen, die NATO würde sich nicht am Kampf gegen den Terrorismus beteiligen, und Deutschland ist mit über tausend Soldaten in dem Einsatz in der Anti-IS-Koalition über Syrien engagiert.
    Simon: … sagt Christian Mölling, der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Herr Mölling, vielen Dank dafür!
    Mölling: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.